Meinung:Warum nicht Käser oder Heringsfischer?

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Bald wieder da: Ronald Koeman wird nach der Katar-WM zum zweiten Mal niederländischer Nationaltrainer. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Der niederländische Fußballverband bleibt seiner Reaktivierungswut treu und ersetzt 2023 Bondscoach Louis van Gaal durch Vorgänger Ronald Koeman. Aber Besserwisser sollten wissen: Fortschritt ist keine Frage des Alters.

Kommentar von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

Kees van Hasselt war nur ein Mal Bondscoach. Er war 1905 der erste Trainer der niederländischen Fußball-Nationalmannschaft. Drei Jahre und elf Länderspiele später (davon acht gegen Belgien) wurde er anlässlich der Teilnahme am olympischen Fußballturnier 1908 in London durch den Engländer Edgar Chadwick ersetzt - und später auch nie wieder ins Amt zurückgeholt.

Das lag nicht daran, dass er damals nicht twittern konnte, nie in eine Fernseh-Talkshow eingeladen wurde und auch keine medialen Fürsprecher namens Youri Mulder oder Bert van Marwijk besaß. Kees van Hasselt gründete nach dem Ersten Weltkrieg mit seinem Sohn eine Kunsthandlung und organisierte zudem die Blumenausstellung "Primavera" in Rotterdam.

Was zu der Frage führt: Warum haben eigentlich Dick Advocaat, Guus Hiddink, Louis van Gaal und Ronald Koeman keine schönen Hobbys? Vielleicht spendiert der Königlich-Niederländische Fußball-Verband (KNVB) seinen verdienten Nationaltrainern ja mal eine Fortbildung zum Käser, Tulpenzüchter oder Heringsfischer. Das Leben bietet so viele Möglichkeiten - und der Fußball eigentlich doch ein so vielfältiges Potenzial, dass die tatsächliche ständige Reaktivierung ehemaliger Bondscoachs für das seit 34 Jahren titellose Team der Niederlande anmutet wie die x-te Ausstrahlung des WM-Finals von 1974 im Münchner Olympiastadion, verbunden mit der Hoffnung, dass der Siegtorschuss des deutschen Stürmers Gerd Müller in der 43. Minute diesmal ja vielleicht vorbeigeht.

Beenhakker, Hiddink, Advocaat, van Gaal - es waren immer wieder dieselben Namen

Nationaltrainer des Verlierers war damals Rinus Michels. Und mit ihm ging Oranjes Reaktivierungswut los: Ausgangs seiner dritten von vier Amtszeiten machte er die Niederlande 1988 (im Münchner Olympiastadion!) zum Europameister. Damals sah sich der Verband offenbar darin bestätigt, dass ein Bondscoach immer mindestens eine zweite Chance verdient. In den vergangenen vier Jahrzehnten hat der KNVB Leo Beenhakker zweimal, Dick Advocaat dreimal, Guus Hiddink zweimal sowie Louis van Gaal im vergangenen August zum dritten Mal zum Bondscoach ernannt. Anfang 2023 erhält dann Ronald Koeman seine zweite Chance, wenn van Gaal nach der WM in Katar aufhört.

Manchmal erscheint einem der KNVB wie ein geschlossener Zirkel, wie die Bruderschaft des Fußballs. So viel Familiarität erhöht freilich die Gefahr, zwischen Tradition und Fortschritt stecken zu bleiben. Die verpasste EM 2016 und die verpasste WM 2018 waren dunkelorangefarbene Warnzeichen. Die Modernisierung überlässt man in den Niederlanden gerne altgedienten, vertrauten Trainern, aber wenn einer zur zweiten oder dritten Amtszeit zurückkehrt, dann ist er weder jünger geworden noch hat er den Fußball neu erfunden.

Doch Obacht vor solcher Besserwisserei! Bei der WM 2014 ist Oranje Dritter geworden. Mit van Gaal als Trainer. Womöglich zeigt er ja in Katar all den jüngeren Trainern den Fußball der Zukunft. Dann wüsste man, dass Fortschritt nichts mit dem Alter zu tun hat und dass Oranjes Reaktivierungswut erneut Erfolg gehabt hätte. Schwierig wäre das allerdings für Ronald Koeman. Alle seine Vorgänger säßen ihm dann schon wieder im Nacken. Hören wir Kees van Hasselt etwa gerade seufzen?

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