Marco Cecchinato:Heikle Nachrichten vom Handy gelöscht

Lesezeit: 4 min

Kann sein Glück kaum fassen: Marco Cecchinato bei den French Open. (Foto: REUTERS)
  • Der Italiener Marco Cecchinato, 25, hat Novak Djokovic besiegt und steht im Halbfinale der French Open.
  • Wäre Cecchinato wegen Wettbetrugs gesperrt worden, hätte er es sicher nicht ins Hauptfeld des Turniers geschafft.
  • Doch ein Verfahrensfehler ersparte ihm die fällige Sperre.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Marco Cecchinato, 25, aus Palermo, von Beruf Tennisprofi, schwebt gerade obenauf. Er spielt an diesem Freitag im Halbfinale der French Open, des berühmten Sandplatzturniers. Das letzte Mal kam ein Italiener 1978 so weit, Corrado Barazzutti. Cecchinato ist noch die Nummer 72 in der Weltrangliste. Vor diesen zwei Wochen hat er noch nie ein Match bei einer Grand-Slam-Veranstaltung gewonnen. Als er am Dienstag den zwölfmaligen Grand-Slam-Champion Novak Djokovic aus Serbien dramatisch besiegt hatte, legte er sich mit feuchten Augen auf die rote Asche. Er wisse nicht, ob er träume oder schlafe, sagte er fassungslos. In seiner Heimat füllte er Titelseiten. In Paris wurde er gefeiert. In den USA hieß es: eine "Cinderella-Story".

Aber jetzt ziehen Schatten auf. Wegen des Themas Matchfixing. Cecchinato hatte 2015 ganz offensichtlich Partien verschoben und war an Wetten auf diese Partien beteiligt gewesen. 2016 sperrte ihn der italienische Verband, für 18 Monate. Doch ein Fristversäumnis legte das nationale olympische Komitee in letzter Instanz so aus, dass die Sanktion nicht greife. Cecchinato kam frei, musste nicht bis Januar 2018 aussetzen. Die Anklage sei zu spät gekommen.

Die Ermittler fischten gelöschte Nachrichten vom Handy

Wettbetrug und Manipulationen sind ein bekanntes Geschwür im Tennis, das aber als Problem kleinerer Turniere auf der zweiten und dritten Ebene gesehen wird. Mit Cecchinato erreicht dieses Thema die größtmögliche Bühne, das Halbfinal- und möglicherweise Finalwochenende eines Grand-Slam-Events. Der Sizilianer ist zwar nunmehr als unbescholten zu betrachten. Die Akte ist geschlossen. Fragwürdig bleibt der Fall. Mit der offensichtlich berechtigten Strafe hätte es Cecchinato nie ins Hauptfeld der French Open geschafft. Cinderella hätte es nicht gegeben.

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Der Hauptvorwurf gegen Cecchinato betraf ein Match bei einem Challenger 2015 in Mohammedia. In Whatsapp-Nachrichten hatte dieser laut der New York Times seinem Profikollegen Riccardo Accardi, einem Freund aus Palermo-Zeiten, geklagt, ihm sei bei einer Fußballwette Geld verloren gegangen. Er wüsste, wie er diesen Verlust ausgleichen könne. In Marokko hoffte er, gegen einen niedrig geführten Marokkaner zu spielen, der nur mit einer Wildcard starten durfte. Er deutete eine Wette an. Er traf aber auf einen Polen. Kaum ein Mensch interessierte sich für dieses Duell weit weg von Wimbledon und Paris. Aber es gab auffällige Wetteinsätze, registriert von einer Behörde in Italien.

In der Regel werden 50 bis 100 Euro bei solchen Spielen gesetzt. Bei Cecchinatos Match tauchten, so die New York Times, 800 Euro bei einem Wetter auf. Es war ein vertrauter Name: Accardi und dessen Vater hatten gleich bei mehreren Wettplattformen gesetzt, auf eine Niederlage Cecchinatos. Die Quote: 4:1. Bei glatter Zweisatzniederlage: 7:1. Für einen Euro erhielt man sieben zurück. Cecchinato verlor als haushoher Favorit. 1:6, 4:6 in 66 Minuten.

Cecchinato geriet ins Visier. Er hatte zwar Nachrichten auf dem Handy gelöscht, die Ermittler fischten sie jedoch wieder heraus. Auch bei einem Doppel 2015 in Prostejov soll Cecchinato manipuliert haben. Der italienische Verband sperrte ihn schließlich im Juli 2016 für 18 Monate, 40 000 Euro sollte er zahlen. Accardi wurde ein Jahr gesperrt und erhielt eine Strafe von 20 000 Euro. Ein dritter Kollege, Antonio Campo, kassierte vier Monate und 10 000 Euro als Strafe. Cecchinato legte Widerspruch ein beim italienischen NOK (Coni) und erwirkte tatsächlich die Aufhebung aller Sanktionen. Aber eben nicht, weil er als unschuldig betrachtet wurde.

Wider Erwarten konnte Cecchinato seine Karriere, die schleppend begonnen hatte, sofort fortsetzen. Mehrere Jahre spielte der Sohn eines Managers und einer Sekretärin auf unteren Touren, nahm an Challenger- und Future-Turnieren teil. 2013 bestritt er sein erstes ATP-Match, in jenem Jahr gewann er ein Challenger. Aber erst ab 2016 rückte er wirklich hoch in der Rangliste. Cecchinato stand erstmals in Italiens Davis-Cup-Team. 2018 sein Durchbruch. In Budapest holte er den Titel, als Lucky Loser war er überhaupt erst ins Feld gerückt.

In Paris war Cecchinato auf seine Vergehen angesprochen worden. Stets sagte er: "Ich will darüber nicht reden." Für ihn zähle nur der Moment. Der internationale Tennisweltverband ITF verwies am Donnerstag auf die Zuständigkeit der Tennis Integrity Unit (TIU). Die Behörde soll Betrug im Tennis bekämpfen und wurde personell und finanziell aufgerüstet, nachdem 2016 bei den Australian Open das Thema Wettbetrug nach Medienberichten ins öffentliche Interesse gerückt war. Hinter der TIU stehen die Grand Slams, Frauen- und Männertour, ITF.

Zum Start der French Open hatte die TIU zwei Meldungen PR-wirksam verkündet, die Profis Nicolas Kicker und Federico Coria wurden bis zu einer Urteilssprechung aus dem Verkehr gezogen, wegen Match-Betrugs und mangelnder Kooperation. Auf Anfrage teilte nun ein TIU-Sprecher mit, er sei auf Reisen und verwies auf das Büro in London. Dort verwies man schriftlich auf die Vertraulichkeitspolitik. Telefonisch hieß es, selbst eine allgemeine Frage am Hörer sei nicht gestattet.

Für Cecchinato geht die märchenhafte Reise erst mal weiter. Donnerstagfrüh trainierte er erstmals im Hauptstadion von Roland Garros, auf dem imposanten Court Philippe-Chatrier. 15 000 Zuschauer werden ihn beklatschen. Im Halbfinale trifft er auf den Österreicher Dominic Thiem, wieder ist er in der Rolle des Außenseiters. Gustavo Kuerten, der in Paris so geliebte dreimalige Champion, schwärmte von der tollen einhändigen Rückhand Cecchinatos. "Das sind die zwei Wochen seines Lebens", sagte der Brasilianer. Der italienische NOK-Präsident Giovanni Malago sagte Medien: "Cecchinatos Durchmarsch tut nicht nur dem Tennis gut, sondern dem gesamten italienischen Sport. Ein verdienter Erfolg, errungen mit Fleiß und Opfergeist." Malago war im Amt, als seine Organisation die Sperre Cecchinatos einkassierte.

In Palermo ist nun auch ein Riesenfest geplant. Mit Public Viewing.

© SZ vom 08.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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