ManCity Stürmer Mario Balotelli:Er versteht es nicht

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Wenn heute Abend Manchester City auf Wolverhampton trifft, wird ein Mann wieder im Fokus stehen: Mario Balotelli. Der italienische Stürmer ist bekannt für seine Eskapaden auf und neben dem Platz. Doch hinter dem Kindskopf steckt ein junger Mann, der nicht damit umgehen kann, dass er sein ganzes Leben gehasst wurde.

Thomas Bierling

Mario Balotelli streichelt den Ball, millimetergenau kullert das Spielgerät an David de Gea vorbei in das Tor von Manchester United. Es steht 1:0 für Manchester City gegen den Stadtrivalen, die Fans toben. Doch Balotelli jubelt nicht, er erstarrt, dreht sich um und zieht sich sein Trikot über den Kopf. Auf dem T-Shirt darunter steht: "Why always me" - warum immer ich?

Nach seinem Tor gegen den Manchester United lupfte er sein Trikot um die Aufschrift "Why always me" zu präsentieren - und bekam dafür die gelbe Karte. (Foto: AFP)

Zwei Nächte vor dem historischen 6:1-Sieg gegen ManU war in seinem Haus ein Feuer ausgebrochen. Um ein Uhr nachts hatte ein Böller einen Brand verursacht - in seinem Badezimmer. Balotelli schob die Schuld auf seine Besucher. "Einer meiner Freunde und ein Freund meines Bruders waren verantwortlich dafür", sagte er. Die Feuerwehr musste mit zwei Löschmannschaften anrücken, verletzt wurde niemand. Balotelli erschien am nächsten Tag pünktlich zum Training, musste seinem Trainer aber erklären, warum um ein Uhr nachts in seinem Haus ein Feuerwerk veranstaltet wurde. "Vielleicht sollte ich besser darauf achten, wen ich in mein Haus lasse", sagte er.

Der Stürmer von Bayern-Gegner Manchester City hat überragende Fähigkeiten, beim Sieg gegen den Stadtrivalen schoss er zwei Tore. Heute Abend im Ligapokal gegen die Wolverhampton Wanderers wird nicht weniger von ihm erwartet. Doch aufgrund seiner Eskapaden stellen sich viele die Frage: Ist der 21-Jährige einfach nicht der Schlaueste oder nur ein unreifer Kindskopf?

Zu befürchten ist beides. Doch hinter dem arrogant wirkenden Jungprofi steckt mehr als nur ein verzogenes Jüngelchen, das es nicht besser weiß. Auf Mario Balotelli Barwuah ist bereits in jungen Jahren so viel Hass eingeprasselt, wie auf andere im ganzen Leben nicht. Doch verstehen konnte er es nie.

Als Sohn ghanaischer Einwanderer wurde er im sizilianischen Palermo geboren. Seine leiblichen Eltern gaben ihn zur Adoption frei, er kam in die Obhut der italienischen Pflegefamilie Balotelli, die ihn großzog, aber nicht adoptierte. Seine sportlichen Fähigkeiten wurden schnell deutlich, er wechselte in die Jugend von Inter Mailand. An seinem 18. Geburtstag erhielt er die italienische Staatsbürgerschaft und darf seitdem für die Nationalelf auflaufen. Doch obwohl er wahrscheinlich der begabteste Stürmer Italiens ist, verschmähen ihn bis heute viele Anhänger. Denn Balotelli hat etwas, das viele italienische Fußballfans nicht akzeptieren: dunkle Haut.

"Es gibt keine schwarzen Italiener" hallte es oftmals von den Rängen. Und das ist noch eine harmlose Übersetzung. In italienischen Stadien ist Rassismus Alltag. Damals und heute ist Balotelli das Feindbild für jene, die am liebsten die Augen davor verschließen, dass Italien ein Einwanderungsland ist. Und dass es sehr wohl dunkelhäutige Italiener gibt.

Sein Klub hat sich zwar die Weltoffenheit in den Namen geschrieben, Internazionale Milano, teilweise war Balotelli der einziger Italiener im Aufgebot der Mailänder. Doch auch dort wurde er nicht nur von gegnerischen, sondern teilweise auch von den eigenen Fans ausgepfiffen. Zugegeben, seine Einstellung im Training bei Inter Mailand war zeitweise nicht die Beste, er galt als faul. Doch er besserte sich, bemühte sich und schoss Tore. Dass nicht seine Leistung, sondern seine Hautfarbe das Hauptproblem ist, hat er nie wirklich verstanden. "Ich habe es satt, rassistische Sprüche selbst dann zu hören, wenn ich mich auf dem Platz gut verhalte", sagte Balotelli. Manchmal wurden sogar in anderen Stadien rassistische Schmähgesänge gegen ihn angestimmt. Obwohl seine Mannschaft gar nicht spielte, obwohl er nicht einmal im Stadion war. Diesen irrationalen Hass konnte er nicht begreifen, doch er prägte ihn.

Er legte sich die Attitüde und das Aussehen eines Musikstars zu, mit offen zur Schau getragener Arroganz - und versteckte sich dahinter. Doch die Rassisten in den Stadien sahen sich und ihr Bild nur bestätigt: Der Unwillige, der Selbstsüchtige, der Verzogene.

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Nicht alle Vorwürfe gegen ihn haben direkt mit seiner Hautfarbe zu tun, sondern mit seinem störrischen und eigenwilligen Verhalten. Im Champions-League-Halbfinale gegen den FC Barcelona wurde er beim Stand von 3:1 für Inter eine Viertelstunde vor Schluss eingewechselt. Er knallte aus 40 Metern einen Ball über das Tor, als Ballbesitz wichtig war. In einem Dribbling überlupfte er zweimal gegnerische Verteidiger, einmal mit der Hacke.

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Nach einem Fehlpass flippte sein Trainer José Mourinho wegen den taktischen Undiszipliniertheiten aus und ließ sich zu einer wüsten Beschimpfung hinreißen. Ähnlich reagierten die Zuschauer im Stadion, es entlud sich eine lange aufgestaute Antipathie, die mit voller Wucht auf den jungen Spieler einschlug. Wieder einmal verstand Balotelli nicht, was er falsch gemacht hatte - und hörte einfach auf zu spielen. Nach dem Motto: Ihr wollt nicht, dass ich für euch spiele? Dann tue ich es auch nicht. Nach dem Schlusspfiff zog Balotelli auf dem Platz sein Trikot aus und warf es den Fans verächtlich vor die Füße.

"Das, was Mario getan hat, war öffentlicher Selbstmord. Mario hat gut begonnen, dann ist die Welt über seinem Kopf zusammengebrochen", sagte Inters Präsident Massimo Moratti. Nach dem Spiel wurde Balotelli von einigen Ultras in der Tiefgarage des Giuseppe-Meazza-Stadions attackiert und von seinem Verein beurlaubt. "Als ich über den Platz gegangen bin und die Pfiffe und die Rufe vom Trainer gehört habe, habe ich einfach den Kopf verloren", sagte der damals erst 19-Jährige über seinen Aussetzer. "Ich entschuldige mich dafür, dass ich nicht in der Lage war, den Frust, der mich seit Monaten bedrückt, zu kontrollieren. Das ist eben eine der schwierigsten Phasen meines Lebens."

Im Sommer 2010 flüchtet er von Inter zu Manchester City, für 15 Millionen Euro Ablöse. Zu Roberto Mancini, der ihn als Vorgänger von Mourinho in Mailand trainiert hatte. In England ist seine Hautfarbe nichts Erwähnenswertes. Doch auch dort produzierte er nicht nur Tore, sondern auch Skandale.

In einem Spiel gegen Dynamo Kiew sah er nach einem Tritt gegen die Brust seines Gegenspielers die rote Karte. Im Vorbereitungsspiel gegen LA Galaxy setzte er den Ball alleine vor dem Tor mit einer aufreizenden Hackendrehung daneben. Nicht nur Sturmpartner Edin Dzeko reagierte vollkommen verständnislos, Mancini wechselte Balotelli sofort aus. Aber statt seinen Fehler einzusehen, stritt er sich mit seinem Trainer, winkte verächtlich ab und ließ ihn stehen. Verstanden hat er es nicht.

Sein Auto wurde knapp 30-Mal abgeschleppt, weil er es falsch geparkt hatte. Auf dem Traninigsgelände in Manchester bewarf er Jugendspieler mit Dartpfeilen. Bei einem Autounfall mit einem ManCity-Dauerkartenbesitzer hatte er 5000 Pfund in bar in der Hosentasche. Als ein Polizist danach fragte, warum er so viel Geld bei sich habe, antwortete er verständnislos: "Weil ich reich bin."

Dazu ist er wohl der einzige Fußballprofi, der jemals in ein Frauengefängnis eingebrochen ist. Im Sommer 2010 preschte er mit seinem Bruder auf den Hof des Frauengefängnisses in Brescia. Im anschließenden Verhör sagte Balotelli aus, dass er neugierig gewesen sei und nicht gewusst hätte, dass man für das Betreten des Frauengefängnisses eine Erlaubnis brauche. Aus Neugier ließ er sich auch von bekannten Mafiabossen ein berüchtigtes Drogenviertel in Neapel zeigen. Dumm nur, dass er dabei fotografiert wurde.

Kurz nach seinem Wechsel nach Manchester verkündete er, dass mit der Mannschaft alles in Ordnung sei, aber die Stadt fände er ausgesprochen hässlich. So oft wie möglich fährt er zurück nach Italien, das Land seiner Geburt, das Land, das ihn wegen seiner Hautfarbe nicht akzeptiert.

Sein unreifer Charakter sorgt dafür, dass er mit irrsinnigen Aktionen auffällt. Mit seinen 21 Jahren kann er sein Verhalten nicht reflektieren, er versteht die Reaktionen nicht. Ob er sich gut oder schlecht aufführte, er wurde angefeindet. Als er daran scheiterte, ein Trainingsleibchen anzuziehen, wurde er als Witzfigur abgestempelt. Also benimmt er sich, wie es seinem kindlichen Gemüt gerade passt. "Ich hoffe für ihn und den Fußball allgemein, dass er irgendwann zur Vernunft kommt", sagt Roberto Mancini. Dass er irgendwann einschätzen kann, welche Kritik unbegründet ist, und welche berechtigt. "Dann gehört er zu den drei besten Fußballspielern der Welt - so wie Messi und Cristiano Ronaldo", sagte Mancini.

Er scheint es zumindest langsam zu verstehen, einen ersten richtigen Schluss hat er gezogen: Ab sofort wirbt er für eine Kampagne, die Jugendliche vor Feuerwerkskörpern warnt.

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