Krise bei FSV Mainz 05:Verbunden durch ein gemeinsames Erweckungserlebnis

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Muss seine erste Krise moderieren: Mainz-Coach Bo Svensson. (Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Ein Klub wie der FSV Mainz 05 ist es gewohnt, immer wieder Tiefpunkte zu durchlaufen. Deshalb wollen Sportdirektor Schmidt und Vorstand Heidel unbedingt an Trainer Bo Svensson festhalten.

Von Frank Hellmann, Mainz

Wenn ein Sportdirektor in seinem Leben schon ein bisschen herumgekommen ist, hat das selten geschadet. Martin Schmidt, seit bald drei Jahren in jener Funktion beim FSV Mainz 05 angestellt, muss hin und wieder selbst darüber schmunzeln, wer gerade wieder seine Wege kreuzt. Zu Wochenanfang hat der Schweizer mit der facettenreichen Vita in seinem geräumigen Büro im Bruchwegstadion den Fußballer Joshua Guilavogui begrüßt, über den er aus seinem kurzen Intermezzo als Trainer des VfL Wolfsburg 2017/2018 nur Gutes wusste.

Der langjährige VfL-Kapitän habe "nicht nur auf dem Platz, sondern auch abseits davon gezeigt, was für eine große Persönlichkeit er ist", findet Schmidt. Dennoch wollten die Niedersachsen den Vertrag mit dem beliebten Franzosen nicht verlängern, angedachte Anstellungen in Japan oder Saudi-Arabien zerschlugen sich, weshalb der vereinslose Defensivallrounder gar nicht groß überredet werden musste, sich nun dem Bundesliga-Schlusslicht anzuschließen.

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Die Mainzer gaben Guilavogui, 33, einen Einjahresvertrag mit Option und das Trikot mit der Nummer 23, welches er in acht von neun Bundesliga-Jahren in Wolfsburg trug. Netter Nebeneffekt, dass der Neue auch Führungsqualitäten einbringt. Schmidt sagt: "Er ist ein positiver Typ, der fünf Sprachen spricht und in der Kabine gut ankommt."

Einen Matchplan von Anfang bis Ende zieht das Team seit geraumer Zeit nicht mehr durch

Die zweite Mainzer Nachverpflichtung eines arbeitslosen Profis - zuvor war bereits der Außenstürmer Anwar El Ghazi, 28, unter Vertrag genommen worden - ist zuallererst die direkte Reaktion auf eine lange Verletztenliste und nicht auf eine "Kaderfehlplanung", wie Schmidt betont. "Zwei Jahre lang haben wir da recht viel Glück gehabt. Jetzt sind es leider gleich mehrere unserer Spieler, die länger ausfallen", sagt der 56-Jährige. In Andreas Hanche-Olsen (Knöcheloperation) ist soeben die nächste Abwehrstütze auf Monate weggebrochen.

Generell ist seit geraumer Zeit kein stabiles Korsett mehr zu erkennen. Saisonübergreifend zehn Bundesligaspiele ohne Sieg sind kein Zufallsprodukt mehr, erst ein Punkt steht in dieser Saison auf dem Konto der Mainzer. Einen gemeinsamen Matchplan von Anfang bis Ende zieht das Team seit geraumer Zeit nicht mehr durch. Woran die ständigen Zerfallserscheinungen liegen? "Wir strotzen nicht vor Selbstvertrauen", sagt Schmidt.

Trainer Bo Svensson, 44, machen vor allem die vielen Defensivaussetzer seiner stets neu formierten Abwehrkette zu schaffen, in der Routinier Stefan Bell als letzter gelernter Innenverteidiger vergeblich um Halt ringt. "Der Gegner muss extrem wenig machen, um gegen uns Tore zu schießen", kritisierte der ehrgeizige Svensson nach der jüngsten Niederlage beim FC Augsburg (1:3), als eine frühe Führung ebenso wenig half wie eine spätere Überzahl. Doch mit der Frage, ob der Däne noch der richtige Fußballlehrer für diese Mannschaft sei, soll den Verantwortlichen bitte niemand kommen.

"Wir brauchen dem Trainer nicht den Rücken zu stärken, weil sich die Frage nicht stellt", betont der Sportdirektor Schmidt. Wohl an keinem anderen Bundesliga-Standort ist eine Führungstroika durch ein gemeinsames Erweckungserlebnis derart eng miteinander verschweißt wie beim selbsternannten Karnevalsverein. Die Nullfünfer standen mit anderthalb Beinen bereits in der zweiten Liga, als zu Weihnachten 2020 erst Christian Heidel als Vorstand, dann Schmidt als Manager und eben Svensson als Trainer zurückkehrten. Abgeschlagen mit dem FC Schalke 04 lagen die Mainzer auf einem Abstiegsplatz. Der mehr von Thomas Tuchel als von Jürgen Klopp inspirierte Svensson orchestrierte mit seiner klaren Ansprache und direkten Art eine im Rückblick wundersame Aufholjagd.

"Bo Svensson macht seit zweieinhalb Jahren einen super Job", sagt Heidel

Auch wegen dieser Verdienste versichert Schmidt jetzt: "Wir nehmen solche Phasen hin. Intern herrscht Ruhe." Sein Glaube an den Kader ("Die Mannschaft kommt da raus") und den Coach ("Bo findet den Triggerpunkt") wackelt nicht. Der bisweilen immer noch sehr impulsive Fußballlehrer werde auch an dieser Herausforderung wachsen. Ohnehin sind temporäre Tiefpunkte beim FSV 05 ja eingepreist: "Mainz kennt diese Szenarien alle", beteuert der Sportchef.

Wenn alles gut laufe, sei ein Platz unter den Top Ten möglich. Doch die andere Richtung eben auch. Die Gegner in den nächsten beiden Heimspielen haben es allerdings in sich: Erst kommt der Tabellenzweite Bayer Leverkusen (Samstag 15.30 Uhr), dann wird der Rekordmeister FC Bayern in der Arena am Europakreisel (21. Oktober) vorstellig. Zwischendrin geht's zu Borussia Mönchengladbach (6. Oktober).

Doch erst einmal möchte Schmidt nur über die Aufgabe gegen die Werkself sprechen: "Das sind die Spiele, in denen Mainz 05 sehr oft über sich hinausgewachsen ist." Und selbst wenn das nicht gelingt, hat Vorstandschef Heidel in einem Interview bereits vorsorglich beteuert: "Bo Svensson macht seit zweieinhalb Jahren einen super Job, hat uns vor zwei Jahren vor dem zu 99 Prozent sicheren Abstieg gerettet und uns danach zweimal fast nach Europa gebracht." Svensson fühle "Mainz und Mainz 05. Jetzt ziehen wir das Ding gemeinsam durch. Ende der Durchsage". Ob das wirklich das letzte Wort ist, werden die nächsten Wochen zeigen.

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