Löw nach dem WM-Viertelfinale:Ohne ästhetischen Ballast

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Hat nur noch bedingt Lust auf dritte Plätze: Joachim Löw (Foto: AP)

Hat es etwas zu bedeuten, wenn Joachim Löw auf der Pressekonferenz in Rio de Janeiro ein weißes Billig-Shirt trägt? Zumindest spielt seine Elf, wie ihr Trainer aussieht: zweckmäßig, auf den Kern reduziert. So kann man Weltmeister werden.

Von Claudio Catuogno, Rio de Janeiro

Es kann natürlich sein, dass einfach kein sauberes Designer-Hemd mehr im Trainerköfferchen war. Und jenes Exemplar, das Joachim Löw während des Spiels getragen hatte (wie üblich farblich abgestimmt mit seinem Co-Trainer Hansi Flick), war einfach nicht mehr vorzeigbar nach diesem schweißtreibenden Viertelfinale gegen Frankreich (1:0) in Rios Mittagshitze. Oder es hatte einen Espressofleck. Seinen Kaffee, ohne den er nicht überlebensfähig wäre, muss Löw in Brasilien ja immer in diesen kleinen Plastikbechern mit sich herumtragen, da geht schnell mal was daneben.

Was auch immer der Grund war: Joachim Löw kam am Freitagnachmittag zur Pressekonferenz im Estádio do Maracanã, nahm Platz, grüßte freundlich. Und jedem fiel sofort auf: Dieser ansonsten so gut angezogene Trainer saß da in einem weißen T-Shirt, das aussah, als hätte er es bei KiK oder H&M für maximal 4,99 Euro erstanden. Genau genommen sah es sogar fast wie ein Unterhemd aus, bloß mit Ärmeln.

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Nach dem frühen Tor fährt die deutsche Nationalmannschaft im Viertelfinale ihre Dornen aus und nimmt den Franzosen in der Hitze des Maracanã-Stadions den Spaß am Spiel. Die Glückseligkeit über den Einzug ins Halbfinale endet aber bereits in der Kabine.

Von Thomas Hummel

Es gibt Trainer, die tragen im Dienst aus Prinzip einen Trainingsanzug, andere tragen an Spieltagen aus Prinzip einen Ausgehanzug. Aber so wie der deutsche Bundestrainer ist bei der WM noch niemand vor die Weltöffentlichkeit getreten.

Und selbst, wenn Joachim Löw mit diesem schmucklosen Auftritt gar keine Botschaft verbunden haben sollte, bekommt dieses weiße T-Shirt jetzt eine Bedeutung fürs große Ganze. So ein weißes T-Shirt an einem Mann, der sonst immer taillierte Hemden trägt, sendet ja ein Signal aus: Es geht bei diesen Deutschen jetzt nicht mehr um die Ästhetik. Es geht nicht mehr darum, gut auszusehen. Es geht nur noch um eines: um Zweckmäßigkeit.

In dieser Hinsicht hat die DFB-Reisgruppe in Rio ein verblüffend einheitliches Gesamtbild abgegeben, ehe sie am Freitagabend wieder nach Porto Seguro zurückflog, um sich nun auf das Halbfinale gegen Brasilien am Dienstag einzustimmen. Vielleicht 50 Meter vom Pressekonferenzraum entfernt liegt im Maracanã die Mixed Zone, jener Bereich, in dem sich Spieler und Reporter begegnen.

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Vor nicht einmal einem Jahr entfernte Joachim Löw Mats Hummels aus der Startformation. Im WM-Viertelfinale gegen Frankreich ist die Leistung des 25-Jährige an Klasse kaum zu überbieten. Hummels ist zu einem der Chefs in der DFB-Elf aufgestiegen - weil er seinen Führungsstil angepasst hat.

Von Thomas Hummel

In der Mixed Zone standen nach dem Duschen die Spieler, Deutsche wie Franzosen, Gewinner wie Verlierer. Die Franzosen trugen weiße Hemden, nachtblaue Anzüge und schwarze Salonschleicher. Die Deutschen sind vor der WM ebenfalls von einem Herrenausstatter offiziell eingekleidet worden. Aber sie standen dort nun in ihren Trainings-Shirts und ihren Jogginghosen, sie hatten Sportschuhe an den Füßen, bei denen zum Teil die Schnürsenkel offen waren.

Ihr Auftritt war nun so, wie ihr Fußball zuvor gewesen war. Zweckmäßig. Auf den Kern reduziert. Gewissermaßen von der Last befreit, dem Publikum um jeden Preis gefallen zu wollen.

Als der T-Shirt-Jogi gebeten wurde, dieses Spiel mit ein paar Sätzen zusammenzufassen, sagte er als erstes: "Ich denke, es gab nicht allzu viele Torchancen. Wir haben wenige Torchancen zugelassen, aber wir hatten auch nicht so viele." Er schien damit ausgesprochen zufrieden zu sein. Schließlich hat man von den wenigen Torchancen eine mehr rein gemacht als die Franzosen. Darum geht's.

Es hat sich etwas verändert in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, das ist spätestens seit diesem Arbeitssieg gegen Frankreich unübersehbar. Einerseits kurzfristig: Hatte die Elf im Achtelfinale gegen Algerien (2:1 n.V.) anfangs noch ziemlich desorientiert gewirkt, ehe sie sich mit der Zeit ins Spiel biss, so bearbeitete sie die Franzosen jetzt wieder aus einer abgeklärten Defensive heraus. "Die Mannschaft ist gefestigt, stabil, gut drauf", sagte Löw, "und dann verkraftet man eben auch mal so ein Spiel wie gegen Algerien."

Trotziger Pragmatismus für den Titel

Es hat sich aber auch langfristig etwas verändert. Die Vorstellung, dass man nur lange genug schön spielen muss, dass man die Özils und Götzes im Team nur lange genug ihr Talent entfalten lassen muss, und dann wird es ganz von alleine klappen mit einem Titel - diese Vorstellung ist einem fast trotzigen Pragmatismus gewichen. Egal, welchen deutschen Spieler man in Rio gefragt hat: Sie wollen jetzt nicht etwa ein ordentliches Halbfinale gegen Brasilien spielen und dann mal weitersehen. "Spiel um Platz drei brauch' ich nicht mehr", sagte zum Beispiel der Kapitän Philipp Lahm. Spiel um Platz drei, das hatte Lahm schon 2006 und 2010. Sie wollen jetzt diesen Titel, völlig egal, wie. Und auch völlig egal, mit wie viel Aufregung Öffentlichkeit und Medien das alles begleiten.

Exakt so kann Joachim Löw das natürlich nicht sagen. Sonst heißt es wieder: "Löw fordert WM-Sieg." Das kann ihm auch nicht recht sein. Er muss die Erwartungen also noch ein bisschen dämpfen. Und vermutlich will er auch die Entschlossenheit, die dieser Mannschaft nach dem Viertelfinale anzumerken war, noch ein bisschen verschleiern. Ob diese Elf jetzt nicht mal einen Titel brauche, wurde Löw gefragt. "Ach ja, Titel, Titel", antwortete er. "Titel sind immer wunderbar, klar, Titel sind immer irgendwie was Besonderes." Aber jetzt "gilt es erst mal, ein Halbfinale zu bestreiten".

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Man hätte Joachim Löw auch fragen können, ob er sich nicht mal ein Hemd anziehen will, wahrscheinlich hätte er dann gesagt: "Ach, Hemden. Hemden sind immer irgendwie wunderbar, klar."

Am Dienstag, 17 Uhr Ortszeit in Belo Horizonte, wird Joachim Löw vermutlich wieder eins tragen. Gebügelt und farblich abgestimmt mit Hansi Flick. Wie immer. Aber seine Elf wird wohl wieder diesen T-Shirt-Fußball spielen, bei dem es egal ist, wie er aussieht, Hauptsache er passt. Ein 4:1 gegen England oder ein 4:0 gegen Argentinien wie 2010 in Südafrika hat diese Elf wohl nicht mehr im Programm, aber es passiert ihr halt auch kein 4:4 nach 4:0-Führung mehr wie gegen Schweden im Oktober 2012. Dafür kultiviert diese Elf wieder das 1:0, das unter Löw zwischendurch abgeschafft zu sein schien zugunsten launiger Zirkusabende mit Toren hüben wie drüben.

Viele seiner ästhetischen Dogmen hat Joachim Löw dem Erfolg geopfert. Das muss für die deutschen WM-Ambitionen nicht die schlechteste Botschaft sein.

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