Jörg Schmadtke in der Premier League:Er soll Klopp den Rücken freihalten

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Alte Bekannte aus der Bundesliga: Jörg Schmadtke (li.), seinerzeit Sportchef in Hannover, im Jahr 2012 mit dem damaligen Dortmund-Trainer Jürgen Klopp. (Foto: Revierfoto / Imago)

Manager Jörg Schmadtke wollte eigentlich in den Ruhestand, nun steht er vor einem Engagement beim FC Liverpool - und soll als Transferberater den größten Kader-Umbruch seit vielen Jahren mitgestalten.

Von Sven Haist, London

Einer der oft unterschätzten Erfolgsfaktoren des FC Liverpool ist Kontinuität. Seit Jürgen Klopp im Oktober 2015 als Trainer am River Mersey ankam, haben sich die Personalwechsel im Spielerkader und auch im Klubmanagement in Grenzen gehalten. Klopp selbst ist inzwischen mit mehr als siebeneinhalb Jahren im Amt der dienstälteste Trainer in Englands Premier League.

Allerdings ging die innere Stabilität in Liverpool zuletzt verloren, weil der Verein mehrere Weggänge in der sportlichen Leitung verkraften musste. Im Sommer 2022 nahm sich der langjährige Sportchef Michael Edwards eine Auszeit. Der ihm intern nachfolgende Julian Ward reichte kurz darauf überraschend seinen Abschied zum Saisonende ein - ebenso wie Ian Graham, der den Bereich der Datenanalyse verantwortet, auf der viele gute Transfers basierten. Weil solche Verluste in so kurzer Zeit mit eigenem Personal kaum aufzufangen sind, war der Klub genötigt, sich extern nach neuer Kompetenz umzusehen. Und nun ist Liverpool wohl fündig geworden: bei Jörg Schmadtke, 59, zuletzt einer der prägenden Manager der Bundesliga.

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Laut übereinstimmenden Medienberichten soll Schmadtke, der im Januar 2023 als Geschäftsführer beim VfL Wolfsburg zurücktrat und sich eigentlich in den Ruhestand begeben wollte, zeitnah in Liverpool vorgestellt werden. Dem Vernehmen nach erhält er erst mal einen Vertrag über die Sommermonate hinweg, der bei erfolgreicher Zusammenarbeit verlängert werden könnte. Schmadtke soll die Transfers des Vereins beaufsichtigen und mitgestalten - und vor allem: seinem Landsmann Klopp den Rücken freihalten.

Zu Schmadtkes Abschied vom VfL hatte Klopp der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung gesagt, dass er schon früher gern mal mit Schmadtke "zusammengearbeitet" hätte und er sich sicher sei, dass dies "gut funktionieren" würde. Denn Schmadtke sei "ein Top-Kerl mit einem guten Humor", der sich in all den Jahren im Profigeschäft "nie verändert" habe. Vom Herbst 2021 an hatte zudem Klopps Berater Marc Kosicke vermehrt mit Schmadtke zu tun, nachdem dieser den Kosicke-Klienten Florian Kohfeldt als Trainer nach Wolfsburg geholt hatte.

Zwischen Klopp und Schmadtke, die noch nie zusammen in einem Klub tätig waren, entwickelte sich über all die Jahre im deutschen Fußball ein beachtliches Vertrauensverhältnis. Nach ihren Spielerkarrieren starteten sie 2001 fast gleichzeitig in der zweiten Liga: Klopp als Trainer von Mainz 05, Schmadtke als Sportdirektor in Aachen. Die Alemannia führte Schmadtke mit vielen geschickten Käufen eher unbekannter Spieler in die Bundesliga, ins DFB-Pokal-Finale 2004 und in den Uefa-Cup. Auch auf seinen späteren Stationen Hannover 96 und 1. FC Köln konnte er ähnliche Resultate vorweisen. Beide Vereine qualifizierten sich unter Schmadtkes Regie für den Europapokal - mit vergleichsweise geringem Budget. Gleiches lässt sich von Klopp sagen, dem mit Borussia Dortmund und Liverpool noch weitaus größere Erfolge gelangen.

Zuletzt versäumten es die eher sparsamen Klubbesitzer, den Kader fortlaufend zu verstärken

Wegen der ähnlichen Herangehensweise vertraut Klopp nun offenbar Schmadtke den größten Umbruch im Liverpooler Kader an, seit die Mannschaft nach seinem eigenen Einstieg mit vielen Zugängen komplett neu aufgestellt wurde. Damals kamen international noch unscheinbare Spieler wie Mohamed Salah, Sadio Mané und Andrew Robertson, die sich bei Klopp zu Spitzenspielern entwickelten. Sie begründeten die seit Jahrzehnten erfolgreichste Ära - mit dem Champions-League-Titel 2019, gefolgt von der ersten englischen Meisterschaft seit 30 Jahren.

Doch die US-Eigentümer um John Henry, Tom Werner und Mike Gordon, die mit ihrer in Boston ansässigen Fenway Sports Group die Vereinsanteile halten, schienen sich ob der guten Arbeit des deutschen Trainers bisweilen finanziell ein wenig zurückzuhalten. Klopp akzeptierte die Strategie seiner Vorgesetzten, dass sich der Klub wirtschaftlich weitgehend selbst tragen soll. Deshalb versäumte es Liverpool, das Team fortlaufend zu verstärken und den Konkurrenzdruck im Kader hochzuhalten. Oft wurden nur diejenigen Spieler ersetzt, die den Verein verlassen hatten.

Für diese Klubpolitik zahlte Liverpool in dieser Saison wohl den Preis. Erstmals seit 2015/16 wird man als aktueller Tabellenfünfter der Liga aller Wahrscheinlichkeit nach die Teilnahme an der Champions League verpassen. Dadurch würden zu einem ungünstigen Zeitpunkt wichtige Einnahmen wegbrechen - zumal die Besitzer entgegen ihrer Ankündigung vor einem halben Jahr, einen (Teil-)Verkauf zu eruieren, bisher offenbar keinen passenden Neu-Investor gefunden haben.

Weil zum Saisonende nun obendrein mehrere Ergänzungsspieler ablösefrei gehen - darunter der einstige Weltklassestürmer Roberto Firmino und der frühere Leipziger Naby Keita, der sich als einer der wenigen Transfer-Enttäuschungen entpuppte -, hat Liverpool plötzlich sowohl in der Spitze als auch in der Tiefe des Kaders Defizite. Die Klopp-Elf benötigt mindestens einen torgefährlichen Mittelfeldspieler, zudem einen weiteren Innenverteidiger vom Format des Abwehrchefs Virgil van Dijk. Ferner gilt es, die Substanz auf bestimmten Positionen (zum Beispiel Außenverteidiger) zu verbessern - mit brauchbaren Alternativen zum Stammpersonal. Wie viel Budget die streng auf die Ausgaben achtenden Besitzer für Aktivitäten freigeben werden, ist nicht bekannt.

Bevor die Suche nach Zugängen in die heiße Phase geht, hat sich Liverpool nun also die Marktkenntnis von Jörg Schmadtke gesichert. Wie Klopp damals als Trainer, wirkt nun auch Schmadtke auf seinem Gebiet wie ein deutscher Pionier in England. Vom Erfolg seiner Mission wird auch abhängen, ob bei Liverpool bald wieder Kontinuität einzieht.

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