Deutsches Team bei der Leichtathletik-WM:Der Gegenwind wird stärker

Lesezeit: 4 min

Zuletzt deutsche Meisterin mit 67,10 Metern, bei der WM mit 59,97 im Vorkampf raus: Kristin Pudenz ist bedient. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Der Auftritt der ersten deutschen Leichtathleten mit Medaillenhoffnungen bringt wenig Linderung - im Gegenteil. Die Debatten um die enttäuschende Bilanz in Eugene nehmen an Fahrt auf.

Von Johannes Knuth, Eugene

25 Jahre ist Claudine Vita alt, und die Diskuswerferin vom SC Neubrandenburg hat sich in dieser Zeit einen schnörkellosen Blick auf die Dinge antrainiert. Sie gewährte am Mittwoch, wie man das nach einem gelungenen WM-Finale so macht, klaglos Einblicke in ihr Athletenleben. Sie sprach vom großartigen Gefühl, wenn man einen Diskus nach eineinhalb gelungenen Drehungen loslasse; enthüllte zudem, dass sie auch deshalb zu ihrem Sport kam, weil sie zu faul zum Laufen sei. Und so geradeheraus ordnete Vita nun auch ihren Auftritt in Eugene ein: 64,24 Meter, Platz fünf, das bereite ihr "definitiv" Freude. Aber dass es mit den Medaillen nichts werden würde: Das hatte sie schon nach den ersten Würfen der Konkurrenz geahnt, die ein Finale beendet hatten, bevor es richtig begonnen hatte.

Klosterhalfen bei der Leichtathletik-WM
:Läuft nicht mehr

Die Weltmeisterschaften in Eugene sollten für Konstanze Klosterhalfen Heimspiel und Comeback sein. Nach dem Vorlauf-Aus über 5000 Meter hinterlässt die 25-Jährige mehr Fragen als Antworten: zu ihrer Form und zu ihrem Umfeld.

Von Johannes Knuth

Sie hatten den Mittwochabend im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) als einen Tag des Umkehrschubs ausgerufen, tatsächlich standen sie am Ende schärfer im Wind als ohnehin. Shanice Craft und die zuletzt so starke Kristin Pudenz hatten es nicht einmal in den Endkampf geschafft. Allein Vita überzeugte mit dem besten Resultat ihrer Karriere, was ihr auch ein Mitgliedskärtchen für die Weltspitze einbrachte. "Ich hätte vor der WM definitiv nicht gedacht, dass ich zu diesem Zeitpunkt das beste deutsche Ergebnis haben würde", sagte sie. Sie meinte: der gesamten WM! "Ich hoffe, das gibt der Mannschaft noch ein bisschen Aufschwung. Bis jetzt", fügte Vita an, "läuft es ja noch nicht so gut." Das war eine arg freundliche Rezension.

Tatsächlich wirkte das Diskusfinale wie eine weitere Fallstudie darüber, wie sich die deutsche Auswahl in Eugene präsentiert. Vita hat als eine von ganz wenigen Kräften erfüllt, was sie sich im DLV von der Mehrheit erhofft hatten: eine Saisonbestleistung beim Saisonhöhepunkt (64,98 Meter in der Qualifikation). Sie staunte noch ein wenig über das Niveau, vor allem über Weltmeisterin Bin Feng aus China, die ihre Bestmarke im Finale mal eben um drei Meter gesteigert hatte, auf 69,12. "Ich möchte hier niemandem etwas unterstellen", sagte Vita, "aber das muss man erst mal schaffen: Zwei Jahre keine Wettkämpfe machen, dann so eine Bestleistung raushauen." Wie das möglich sei? "Das", fand Vita, "bleibt ihr Geheimnis."

Bestes deutsches WM-Resultat nach sechs Wettkampftagen: Claudine Vita wird im Diskusfinale Fünfte. (Foto: Andrej Isakovic/AFP)

Pudenz wiederum hatte zumindest die Olympiasiegerinnen auf den Rängen zwei und drei, die Kroatin Sandra Perkovic (68,45) und Gastgeberin Valarie Allman (68,30), ein wenig näher beschatten wollen. "66 Meter plus", das habe sie schon erwartet, trug sie mit tränenbelegter Stimme vor. 59,97 und Platz elf waren ein Tiefschlag. In Tokio hatte Pudenz noch Olympiasilber gewonnen, aus dem Windschatten der Außenseiterin heraus. Nun hatte sie sich vergeblich an der noch diffizileren Aufgabe abgemüht, diesen Lohn zu bestätigen - und räumte ein, dass die Hoffnungen, die sie als eine von wenigen deutschen Medaillenanwärterinnen geschultert hatte, doch auf ihr gelastet hatten. "Das ist etwas", sagte Pudenz, "das ich so noch nicht hatte."

Und Shanice Craft, die EM-Dritte von 2014, die nach Jahren des Stillstands als Neunte (62,35) ins Ziel kam? Sie hatte, wie so viele Kolleginnen und Kollegen in den vergangenen Tagen, ihr Mindestziel verfehlt, in ihrem Fall das Finale der besten Acht. "Sehr enttäuscht", sei sie, sagte Craft, ehe sie an ein Dauerthema der vergangenen Tage herangeführt wurde: die Europameisterschaften in München, die vielen deutschen Athleten angeblich schwer im Kopf herumspuken. "Ich kann das langsam nicht mehr hören", fand Craft, "dass alle sagen: Es kommt noch München, wir haben für die EM geplant. Das hier sind Weltmeisterschaften, das Zweithöchste, was man als Sportler erreichen kann. Wenn man hier nicht seine Topleistung erreichen will - wo sonst?"

Die Mängelliste wirft die Frage auf, wie stimmig die Vorbereitung auf allen Ebenen begleitet wurde

Das war insofern eine spannende Wortmeldung, als dass DLV-Cheftrainerin Annett Stein kurz zuvor just dieses Leitmotiv bemüht hatte. Man habe WM und EM, rund dreieinhalb Wochen auseinander, "von der Verbandsseite, mit Bundestrainern, gut anmoderiert und vorbereitet, auch die Trainingsgestaltung und Erholung zwischen den Wettkämpfen", sagte Stein. Frei übersetzt: Der Verband habe den Job getan, der Fehler liege wohl bei Athleten und deren Trainer-Teams. Wahrscheinlich sei es nicht gelungen, so Stein, "diese WM in den Fokus der meisten Athleten zu setzen, weil die EM doch sehr präsent ist".

Leichtathletik-WM
:"Ich will einfach keine Mörder auf der Bahn sehen"

Ukrainische Leichtathleten wie die Hochspringerin Jaroslawa Mahutschich erinnern daran, dass der Krieg alle Ebenen des gesellschaftlichen Lebens in ihrer Heimat zerstört - und was sie von einer Rückkehr russischer Sportler halten.

Von Johannes Knuth

Das mochte hie und da stimmen - und erschien zugleich als arg vereinfachte These. Hochspringer Tobias Potye, zuletzt mit 2,30 Metern deutscher Meister in Berlin, bemängelte nach seiner missglückten Qualifikation in Eugene, dass man seit dem 3. Juli im Trainingslager in Santa Barbara geweilt habe (wo Stein zuletzt das "optimale Setup" lobte). "Das hat sich echt gezogen", fand Potye, die Spannung aus Berlin sei "irgendwie futsch". Manche Athleten beklagten, ihnen steckten zu viele Wettkämpfe in den Knochen, bei denen sie sich für die Qualifikation abgerackert hatten (Dreispringerin Neele Eckhardt-Noah), andere bemängelten fehlende Wettkampfpraxis. Manche, wie 800-Meter-Läufer Marc Reuther, wirkten ratlos, weshalb sie ein moderates Tempo im Vorlauf überforderte. Letztlich warf diese Mängelliste schon die Frage auf, wie stimmig die Vorbereitung wirklich auf allen Ebenen begleitet worden war - auch im Lichte vieler Verletzungen, die viele Leistungsträger zuletzt wieder geschwächt hatten.

Noch haben die besten DLV-Kräfte die WM noch vor sich - allen voran Weitspringerin Malaika Mihambo am Sonntag - die Bilanz wird das aber kaum reparieren können. Einstige Hoffnungen wie Gesa Krause (9:52,66 Minuten) und Konstanze Klosterhalfen erlebten am Mittwoch ebenfalls schwarze Stunden. Und Claudine Vita fing eine der größten verbliebenen deutschen Hoffnungen in Eugene ein, als sie den Wunsch aussprach, "dass wir es in München bei der EM anders machen".

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: