Klosterhalfen bei der Leichtathletik-WM:Läuft nicht mehr

Konstanze Klosterhalfen

Schmerzhafte Erfahrungen: Konstanze Klosterhalfen scheidet bereits im Vorlauf über 5000 Meter aus.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Die Weltmeisterschaften in Eugene sollten für Konstanze Klosterhalfen Heimspiel und Comeback sein. Nach dem Vorlauf-Aus über 5000 Meter hinterlässt die 25-Jährige mehr Fragen als Antworten: zu ihrer Form und zu ihrem Umfeld.

Von Johannes Knuth, Eugene

Drei Runden vor Schluss wusste Konstanze Klosterhalfen, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie hatte sich gut gefühlt vor diesem Vorlauf über 5000 Meter, viele Mitstreiterinnen hatten schon die 10 000 Meter in den Beinen, die Klosterhalfen ausgelassen hatte nach einer Covid-Infektion vor ein paar Wochen. Selbst die Hitze am Mittwochnachmittag in Eugene - man fühlte sich schon als Spaziergänger wie in einem Backofen - "macht mir ja nicht so viel aus", sagte sie später. Sie hatte sich rasch eine gute Position freigeräumt, um später, im Spurt, einen der Plätze abzubekommen, die zur Finalteilnahme berechtigten. Kein Problem für Klosterhalfen, in Normalform.

Und dann, "von jetzt auf gleich", als die anderen das Tempo verschärften und Klosterhalfen dachte, dass es jetzt vorangeht: "Ging einfach gar nichts mehr."

Für Konstanze Klosterhalfen sollten diese Weltmeisterschaften auch ein Heimspiel sein, sie lebt und trainiert seit rund drei Jahren in Portland, Oregon, zwei Stunden nördlich von Eugene, am Stammsitz ihres Ausrüsters Nike. Es sollte auch eine Art Comeback werden: Nach zwei von Verletzungen durchzogenen Jahren "hätte ich gerne gezeigt, dass ich wieder zurück bin", sagte sie. Das misslang gewaltig mit ihren 15:17,78 Minuten, 17 Sekunden langsamer als die letzte Läuferin, die in den Endlauf vorrückte.

Vor drei Jahren hatte Klosterhalfen noch WM-Bronze gewonnen

Seit der WM vor drei Jahren in Doha, wo Klosterhalfen Bronze über die 5000 Meter gewann, hatte man nicht mehr viel gesehen und gehört von ihr. Als die Sommerspiele in Tokio mit einjähriger Verspätung anbrachen, hatte sie eine Überbelastungsreaktion in der Hüfte hinter sich. Nach Platz acht über 10 000 Meter saß sie in den Katakomben, frierend und weinend. Im vergangenen Winter wärmte sie sich vor einem Hallen-Wettkampf in einem Parkhaus auf und stürzte.

Bei der Diamond League Ende Mai unterbot sie Paula Radcliffes Europarekord über die selten gelaufenen zwei Meilen, in 9:16,73 Minuten, die nächste Bestmarke auf ihrem prall gefüllten Briefkopf. Dann, im Höhentrainingslager in der Schweiz: coronapositiv. "Vielleicht", sagte sie in Eugene, "sind es am Ende diese zwei Wochen Trainingspause, die gefehlt haben." So genau wisse sie das aber nicht. Das müsse sie jetzt erst einmal analysieren.

Das andere ist ihr Umfeld, aus dem seit Jahren nicht mehr allzu viel nach außen dringt. Als sie sich 2018 dem Nike Oregon Project (NOP) anschloss, von Cheftrainer Alberto Salazar und dessen Intimus Pete Julian, setzten ihre Betreuer sie auch in einer Gruppe ab, die - das hatten Ex-Athleten und -Trainer längst kundgetan - über Jahre zumindest im Graubereich betrieben wurde. Oliver Mintzlaff, Geschäftsführer von RB Leipzig und im Nebenjob Klosterhalfens Mentor, tat das als "irgendwelche Mutmaßungen" ab; er sah allein ein Umfeld, das die Begabung seiner Athletin freilegen würde. Kurz vor Doha bekamen es Salazar - und Mintzlaff - schwarz auf weiß, dass der Trainer das Anti-Doping-Protokoll gebrochen hatte, als er Testosteronsalben und Infusionen an Mitarbeitern und seinem erwachsenen Sohn Alex ausprobierte.

Die Vorfälle ereigneten sich Jahre, bevor Klosterhalfen in die USA umzog. Aber wer in einer Branche aktiv ist, die aus Athleten um jeden Preis Leistung herausquetscht, rückt sich so auch in einen sehr langen Schatten. Travis Tygart, der Chef der amerikanischen Anti-Doping-Agentur, sagte jetzt erst wieder in Eugene, als er zu den einstigen NOP-Mitgliedern gefragt wurde: "Für jeden Athleten gilt die Unschuldsvermutung, solange er nicht gerichtsfest verurteilt ist. Aber ich trichtere es schon meinem Kind ein: Du wirst auch nach deinem Umfeld beurteilt, mit dem du dich umgibst."

Jetzt geht es erst einmal darum, ob die 25-Jährige überhaupt für die EM in rund drei Wochen in Fahrt kommt

Als das NOP nach Doha abgewickelt wurde, entschieden sich Klosterhalfen (und Mintzlaff) dafür, jenem Umfeld treu zu bleiben, das Pete Julian unter neuer Flagge weiterführte. Seitdem bleiben Anfragen vieler deutscher Medien, vor allem von jenen, die kritisch über Klosterhalfen berichteten, unbeantwortet. Bei ihren wenigen Interviews spult sie meist das Gleiche ab: Die Trainer in Oregon seien großartig, sie messe sich jeden Tag mit den besten Athleten der Welt, unerlaubte Methoden lehne sie strikt ab.

Dass Mary Cain und andere Ex-NOP-Läuferinnen berichteten, Salazar habe sie mit abfälligen Kommentaren überzogen - schrecklich, ihr selbst sei im NOP-Umfeld aber nur Positives widerfahren. Das Center for Safe Sports, eine unabhängige US-Institution, die Missbrauchsfälle untersucht, hat Salazar mittlerweile lebenslang als Trainer gesperrt, wegen "sexualisierten Fehlverhaltens". Als ein Reporter Klosterhalfen in Eugene zu den Turbulenzen rund ums NOP fragte, blockte sie ab: Das sei eine Sache aus der Vergangenheit.

Und der Deutsche Leichtathletik-Verband, seit Jahren von Nike alimentiert? Man hat nicht unbedingt das Gefühl, dass die Verantwortlichen dort echten Einfluss auf Klosterhalfens Umfeld haben - auch wenn sie dem widersprechen. Man berate Klosterhalfen eng, beteuert der DLV stets, auch im Fall ihres Gewichts, das bei 48 Kilogramm auf 1,74 Meter Körpergröße oft für Debatten und Ferndiagnosen sorgte. Die "inhaltliche Verantwortung" dafür, dass Klosterhalfen in Portland trainiere, schulterten aber Athletin und Management, hieß es immer. Als der DLV zuletzt mitteilte, es sei noch ungewiss, ob Klosterhalfen in Eugene auch die 10 000 Meter bestreite, hatte ihre Trainingsgruppe in den Sozialen Medien längst verkündet: Klosterhalfen startet über 5000 Meter, fertig.

Und jetzt? Geht es erst einmal darum, ob die 25-Jährige überhaupt für die EM in rund drei Wochen in Fahrt kommt. Sie habe in diesem Jahr sehr lange in der Höhe trainiert, meinte Klosterhalfen in Eugene, auch die drei Wochen vor der WM, nach ihrer Covid-Auszeit, habe sie "sehr intensiv" gearbeitet. Sie habe eigentlich gedacht, sagte sie, dass die schlechteren Rennen hinter ihr lägen.

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Leichtathletik
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