Leichtathletik-WM: 100 Meter:Feinde unter sich

Lesezeit: 3 min

Ist Asafa Powell wütend genug, um nach dem Streit im Team Jamaika seinem 100-Meter-Widersacher Bolt gefährlich zu werden? Und was macht Tyson Gay?

Thomas Hummel, Berlin

Usain Bolt schritt durch die Katakomben des Olympiastadions, den Kopf etwas nach hinten geworfen, die Arme ausladend hin und her werfend. Eine junge Helferin bot ihm eine Plastikflasche Wasser an, er nahm sie und bedankte sich mit seinem strahlendweißen Usain-Bolt-Lächeln. Der 22-jährige Jamaikaner schritt weiter, hinter einer Brüstung riefen jamaikanische Reporter "Usain", doch Usain klatschte dem Journalisten vom Observer nur seine große Hand zwei, dreimal auf die Brust und sagte irgendwas wie: "Da, da, da, daaa." So viel wie: Du weißt, der Meister wird nichts sagen.

Asafa Powell hat Probleme bei großen Wettkämpfen. (Foto: Foto: AP)

Er setzte seine Runde fort, hinter ihm sein Trainingspartner Daniel Baley aus Antigua. Der kleinere Baley amüsierte sich über die Show des großen Usain, spottete mit seinen Blicken über die heischende Masse an Menschen, die hilflos nach einem Satz, nach einem Wort des großen Usain gierten. Baley wirkte stolz, diesem großen, starken Meister so nah sein zu dürfen.

Baley und Bolt hatten am Samstag ihren Spaß auf der blauen Laufbahn gehabt. Nach 60 Metern sahen sie sich im Zwischenlauf erstmals an, erkannten, dass die Konkurrenz zurück lag. Bei 80 Metern sah es aus, als würden sie sich zum Dominospielen, nach dem Sprinten der zweite jamaikanische Nationalsport, später am Abend verabreden. Bailey sah hinauf zum großen Bolt, zog das Tempo noch mal an, als wollte er sagen: Schau her, Meister, auch ich kann laufen! Und der Meister zeigte sein Meister-Grinsen und ließ ihn gewähren. Bailey kam nach 10,02 Sekunden ins Ziel, Bolt joggte mit 10,03 hinterher. Es war beeindruckend und gleichzeitig fast erschreckend.

Usain Bolt, der Weltrekordhalter, Olympiasieger mit dem Talent zum Schauspieler, hat sich bislang einen Spaß gemacht mit den Gegnern. Das gehört zur Show des 22-Jährigen: sein Selbstbewusstsein, die Ausstrahlung des Unbesiegbaren - nicht nur gewinnen, sondern auch einschüchtern.

Im Halbfinale nur zweieinhalb Stunden vor dem großen Endlauf das gleiche Bild. Bolt erwischte gegen seine Gepflogenheiten einen sehr guten Start, lief schnell voraus, blickte sich um, nahm das Tempo raus, blickte sich um - und kam mit der Weltklassezeit von 9,89 Sekunden ins Ziel.

Nach seinem Halbfinale blieb er sogar kurz stehen, in der Nähe der Journalisten-Meute, die wieder um ein Wort des Meisters baten. Doch sagen wollte er natürlich nichts, er verweilte nur kurz vor einem Bildschirm, um sich das zweite Halbfinale anzusehen. Dort liefen seine größten Gegner, Asafa Powell (Jamaika) und Tyson Gay (USA). Die beiden qualifizierten sich ebenfalls leicht für den Endlauf, sahen aber keineswegs so locker aus wie Meister Bolt. Gay siegte in 9,93 vor Powell in 9,95 Sekunden.

Asafa Powell hatte immerhin schon mal Einblick gegeben in sein Seelenleben: "It feels good" - es fühlt sich gut an, erzählte Asafa Powell am Samstag. Dabei hätte der frühere Weltrekordler diese zweite Runde um eine Brusthaarlänge fast verpasst. Im ersten Lauf am Vormittag hatte er noch früher das Tempo rausgenommen, am Ende rauschten die Gegner heran und Powell wurde gerade noch Dritter. Er trudelte mit einer Bummel-Zeit von 10,38 Sekunden ins Ziel, zwei Hundertstel später, und Powell wäre draußen gewesen.

Dann wäre der 26-Jährige nicht nur zur Lachnummer des Wochenendes verkommen, er wäre wohl endgültig zum psychologischen Problemfall erklärt worden. Powell konnte bislang seine Schnelligkeit noch nie bei einem großen Wettkampf umsetzen, immer brach der unter dem Druck und den aufreizenden Gesten der anderen zusammen. Jetzt wird in der jamaikanischen Mannschaft auch noch ein unschöner Zwist ausgetragen, in dem Powell vom eigenen Verband bekämpft wird.

Weil er und fünf andere Läufer aus der Trainingsgruppe von Stephen Francis nicht zum WM-Trainingslager in Herzogenaurach erschienen sind, warf sie der Verband JAAA am vergangenen Mittwoch kurzerhand aus dem Team. Vordergründig, weil das Erscheinen im Camp Pflicht gewesen sei und eventuell Anti-Dopingkämpfer die Athleten nicht hätten finden können. Erst auf Intervention des internationalen Verbands jedenfalls hatten die Jamaikaner ihre Entscheidung rückgängig gemacht.

Trainer Francis betreibt eine unabhängige Trainingsgruppe und sagte nun der Süddeutschen Zeitung, dass Jamaikas Verband (JAAA) ihm und seinen Läufern seit langem die Unterstützung verweigere. Es ging sogar soweit, dass die JAAA Powell nahelegte, den Trainer zu wechseln. Nun der Höhepunkt mit der vorübergehenden Suspendierung. "Das hat Asafa sehr wütend gemacht", sagt Francis. Und er hofft, dass sein Athlet nun besonders motiviert sei, weil er nun wisse, dass er auch "gegen die Feinde vom Verband auf der Tribüne" laufe.

Und was macht Tyson Gay, der amerkanische Weltmeister und Herausforderer der Jamaikaner? Er sah am Samstag im Zwischenlauf vergleichsweise angestrengt aus, bei seinen 9,98 Sekunden schien er lange nicht so viel Luft zu haben wie Bolt oder Powell. "Es lief ganz gut, aber meine verletzte Leiste schmerzte", erklärte Gay.

Der Amerikaner sprach wie immer leise und blickte kaum einen in die Augen. Kurz danach schritt Usain Bolt durch die Katakomben schenkte einer jungen Helferin sein Usain-Bolt-Lächeln.

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