Leichtathletik-EM:"Jetzt kommen die Springer aus ihren Ecken"

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Malaika Mihambo nach ihrem Sieg im Weitsprung bei der Leichtathletik-WM in Berlin. (Foto: REUTERS)

Die deutschen Leichtathleten können nicht nur werfen. Wie die Sprung-Europameister Mateusz Przybylko und Malaika Mihambo ihre Wettkämpfe erlebten.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Mateusz Przybylko redete immer noch, zwei Stunden, nachdem er sich im Stadion heiser geschrien hatte. Er stand auf der Bühne im sogenannten EM-Club, in dem die deutschen Medaillengewinner noch einmal vor ausgewähltem Publikum gefeiert werden, als die Bilder von seinem Wettbewerb auf Großleinwand eingespielt wurden. Wie er mit dem Publikum im Berliner Olympiastadion gespielt hatte, seine Stadionrunde mit Fahne drehte. Und dann musste er anfangen zu weinen, das schonte immerhin die Stimme.

Przybylko und Malaika Mihambo sind keine Speer- oder Diskuswerfer, sie sind im Hoch- und im Weitsprung Europameister geworden. "Wir waren immer so eine Werfergeneration", sagte Przybylko, "jetzt kommen so langsam auch die Springer aus ihren Ecken." Aus allen drei Sprungdisziplinen haben die Athleten in Berlin Medaillen mitgenommen, sie kamen im Hoch, Weit- und Dreisprung insgesamt fünfmal auf das Siegertreppchen. Zuletzt war das 1998 der Fall.

Wie unterschiedlich Przybylko und Mihambo mit ihrem Wettbewerb und den Gefühlen nach ihrem größten internationalen Erfolg umgingen, das war spannend anzusehen. Mihambo etwa blieb ganz ruhig, sie sagte: "Ich werde den Abend wie in Trance erleben."

Anders Przybylko: Schon unter der Woche hatte er sich im Olympiastadion umgeschaut und war bei den Vormittagswettbewerben vor kleiner Kulisse von der Atmosphäre beeindruckt. "Ich war eine Stunde da und hatte die ganze Zeit Gänsehaut. Ich wusste gar nicht, wenn ich da unten stehe, ob ich das schaffe", sagte er. Am Samstagabend hatte er schließlich mit 60 500 Zuschauern im Stadion zu tun - und nahm sie alle mit auf seinem Weg zu Gold. Er sog allen Anfeuerungsbeifall in sich auf, auch wenn mancher dem Weitsprung gegolten hatte.

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:"Ey, die haben mich beflügelt"

Zweimal Gold, einmal Silber, einmal Bronze: Vor 60 500 Zuschauern überragen die deutschen Athleten bei der Leichtathletik-EM. Überraschungssieger Mateusz Przybylko springt so hoch wie erst einmal zuvor.

Von Saskia Aleythe

Przybylko: "Man will ja nicht - wie sagt man so schön - verkacken"

"Wenn die Leute mitklatschen, kann ich mich fokussieren. Das gibt mir noch mehr Adrenalin. Ich will immer höher springen - bis zum Himmel." Und weil er fast ununterbrochen redete, formulierte er es auch so: "Man will ja nicht - wie sagt man so schön - verkacken." Dass Mihambo in der anderen Ecke des Stadions ebenfalls um Gold kämpfte, bekam er gar nicht mit: "Ich war die ganze Zeit so auf die Matte fokussiert."

Und das brachte ihm den perfekten Wettkampf, wie er selber betonte. Er sprang jede seiner Höhen bis zum Titel ohne Fehlversuch, "besser geht es nicht". Als der Weißrusse Maxim Nedasekau nach zwei Fehlversuchen über 2,35 Meter auch seine letzte Chance über 2,37 Meter nicht nutzen konnte, sackte Przybylko zu Boden. "Ich habe geheult wie ein kleines Kind", gab er zu Protokoll.

Der letzte EM-Sieg war Dieter Mögenburg 1982 gelungen. Am Samstag wäre der Favorit auf den Titel eigentlich Danil Lyssenko aus Russland gewesen, doch er bekam keine Startberechtigung vom Leichtathletik-Weltverband IAAF, weil er in der Trainingsphase nicht ausreichend über seine Aufenthaltsorte für Dopingkontrollen informiert haben soll.

Die Medaille des 26-Jährigen hätte eigentlich eine für Polen sein können: Seine Eltern, die ehemalige Leistungssportler sind, stammen beide aus Polen und fragten beim Verband nach einer Förderung, als er 17 war. Der verzichtete darauf, also startete Przybylko weiter für den deutschen, bei ihm ist das aber heute kein Thema mehr, "ich bin stolzer Deutscher".

Als einziger von drei Brüdern ist aus ihm kein Fußballer geworden, Kacper Przybylko spielte zuletzt bei Kaiserslautern, Jakub in der Regionalliga Bayern. "Meine Brüder waren immer so auf den Ball fokussiert. Ich war nicht so, ich habe immer ein bisschen geträumt"; sagte er nun, "ich mag es nicht so gern zu laufen. Ich war fix und fertig, als ich hier die 400 Meter auf der Stadionrunde gelaufen bin."

Heike Drechsler fegte am Samstag die Sandgrube

Auf dieser Stadionrunde hatten sich dann auch seine Wege mit denen von Malaika Mihambo gekreuzt. Ihr Wettbewerb war ein ganz anderer als seiner, beinahe hätte sie nach dem dritten Versuch den Medaillenkampf beenden müssen: Nach den ersten beiden Sprüngen lag sie zu weit hinten für die Runde der letzten acht. "Mein Problem ist manchmal, dass ich nicht mein Bestes geben kann, wenn ich nicht dazu gezwungen bin", sagte sie nach ihrem Wettkampf, ziemlich gefasst und ganz anders als Przybylko.

Der dritte Versuch landete dann bei 6,75 Metern und bedeutete die Führung. 6,99 Meter ist sie in diesem Jahr schon gesprungen, doch es waren schwierige Bedingungen am Samstagabend, es war kühl und windig. Der Jubel um Przybylko habe auch sie motiviert, doch so richtig durchdringen wollte er nicht. "Ich war sehr angespannt, weil ich auch nicht erwartet habe, dass 6,75 Meter reichen, um zu gewinnen."

Und dann musste die 24-Jährige auch nochmal bibbern, im letzten Versuch kratzte die Ukrainerin Marina Bech an ihrer Tagesbestweite, die sie schließlich nur um zwei Zentimeter verfehlte. Titelverteidigerin Ivana Spanovic aus Serbien war eigentlich die Favoritin auf Gold gewesen, doch sie verletzte sich in der Qualifikation an der Achillessehne und konnte nicht antreten. Heike Drechsler, die in der DDR ins Dopingsystem eingebunden war, fegte am Samstag die Sandgrube, sie hat als letzte Deutsche 1998 mit 7,15 Meter EM-Gold geholt.

Erst am Sonntag bei der Siegerehrung werden bei ihr die Tränen kullern, prophezeite Mihambo, wenn die Anspannung abfällt. "Dann freue ich mich auf die Abschlussfeier, da kann ich tanzen und mich freuen." Sie ist ja ohnehin ein musikalischer Typ, vor zwei Jahren hat sie das Klavierspielen für sich entdeckt, das helfe ihr auch bei der Koordination im Weitsprung. "Wenn du dein Instrument gefunden hast, ruft es nach dir", sagte sie noch. Am Samstag rief erstmal die Sandgrube.

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