Langstreckenläuferin Jo Pavey:Genusslauf der Super-Mami

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Jo Pavey war nicht aufzuhalten - auch nicht auf ihrer Ehrenrunde. (Foto: AP)

Kann eine Frau mit 40 Jahren - nur zehn Monate nach der Geburt ihres zweiten Kindes - noch einmal Leichtathletik-Europameisterin werden? Selbstverständlich. Der Sieg der Britin Jo Pavey in Zürich beweist es.

Von Johannes Knuth, Zürich

Um kurz vor 22 Uhr erhebt sich das Publikum geschlossen von seinen Sitzen im Letzigrund - zum ersten Mal an diesem Abend. Die letzte Runde über die 10 000 Meter ist gerade angebrochen, und die Züricher Zuschauer, durchaus fachkundig im Umgang mit großen Leichtathletik-Momenten, spüren, dass sich hier etwas Großes anbahnt: Joanne Pavey, hat sich gerade an die Spitze des Feldes gesetzt.

Sekunden später sind sie nur noch zu zweit: Pavey, Jahrgang 1973, die zweifache Mutter aus der südenglischen Kleinstadt Honiton, und Clémence Calvin, Jahrgang 1990 aus Frankreich . Pavey verschafft sich ein wenig Luft, erst ein Meter, dann drei. Es ist nicht besonders viel. Calvin kommt langsam wieder näher. Doch als die Französin auf der Gegengerade ausschert, zieht Pavey davon. Nach 32:22,39 Minuten überquert sie als Erste die Linie - und irrt dann für ein paar Sekunden etwas ratlos durch den Zielbereich.

Sie schüttelt jedem brav die Hand, der ihr über den Weg läuft, als käme sie gerade von ihrer spätabendlichen Joggingrunde. Kurz darauf ist Pavey dann standesgemäß ausgestattet: mit britischer Fahne, mit den Fotografen im Schlepptau, dazu mit einem historischen Titel: Die 40-Jährige hat sich gerade als älteste Europameisterin der Leichtathletik-Historie verewigt.

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"Ich hätte nicht gedacht, dass es so lange dauert", sagt Pavey fast entschuldigend, als sie etwa eine Stunde später vor die Presse tritt, um ihren Triumph einzuordnen. 2012 gewann sie bei der EM in Helsinki Silber über 10 000 Meter, vor zwei Wochen lief sie über die halb so lange Distanz bei den Commonwealth Games in Glasgow überraschend als Dritte ein. Aber einen Titel bei einem der großen Branchentreffen, bei einer EM, WM oder gar Olympischen Spielen, hat sie bisher trotz mittlerweile ungefähr 25 Jahren Berufserfahrung nicht erreicht. "Lustig", sagte Pavey, "dass es ausgerechnet jetzt passiert ist. Es gab ja so viele Faktoren, die gegen mich sprachen."

Vor elf Monaten kam Tochter Emily zur Welt, ihr zweites Kind. Während sich ihre Teamkolleginnen für die neue Saison rüsteten, stillte Pavey ihre Tochter - bis in den April hinein. "Ich wusste gar nicht, ob ich die Zeit finden würde, mich für die EM zu qualifizieren", sagte Pavey. Ab und zu wagte sie sich auf die Bahn, "aber meine Zeiten waren furchtbar, ich lag danach auf dem Boden und wusste gar nicht, wie ich so langsam sein konnte."

Pavey musste zudem für jede Einheit eine Stunde bis zur nächstgelegenen Sportstätte pendeln, das Stadion in ihrem Heimatort war monatelang geschlossen, weil die Behörden die Laufbahn austauschten. Im Mai, einen Monat, nachdem Pavey mit dem Stillen aufgehört hatte, stand sie bei den britischen Meisterschaften an der Startlinie. Die Rückkehrerin tat sich schwer, aber es reichte für einen EM-Startplatz.

"Als viel beschäftigte Mutter lernt man einiges dazu", sagte die 40-Jährige am Dienstagabend. "Ich bin dauernd im Haushalt gefordert, vielleicht gibt mir das die nötige Ausdauer im Sport." Wenn sie denn überhaupt zum Training komme, sagte sie, das sei schwierig genug. "Umso mehr genieße ich es, wenn ich laufen kann."

In Zürich konnte man das während der 24,5 Runden ausgiebig studieren. Nicht wenige hatten Pavey nach ihrem jüngsten Auftritt über die 5000 Meter von Glasgow für einen Endspurt im Nachteil gewähnt. Auf der letzten Runde zeigte sich dann allerdings, dass Paveys Wettkampfhärte überwog. Dass sie nach neun Kilometern im gedrosselten Tempo nun ihre Spurtstärke ausspielen konnte gegenüber den Langstrecken-Spezialistinnen wie Sabrina Mockenhaupt, die am Ende Sechste wurde.

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"Dat gibt einem noch Hoffnung"

Mockenhaupt war während der ersten, gemächlichen Runden mit einer anderen Läuferin aneinandergeraten, die Spikes ihrer Konkurrentin hatten sich in Mockenhaupts Knie gebohrt. "Ein, äh, though erkämpfter sixth place" - diesen Satz diktierte die 33-Jährige einem britischen Reporter in den Block. Mockenhaupt war trotzdem zufrieden und sprach in ihrem unverwechselbaren rheinischen Singsang über das Projekt Marathon, das sie mit Blick auf die Heim-EM 2018 in Berlin wieder aufnehmen wolle. "Jo Pavey ist 40, dat gibt einem noch Hoffnung", sagte Mockenhaupt.

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Joanne Pavey hat übrigens auch noch Projekte. Unmittelbar nach ihrem Sieg spricht sie davon, "von Tag zu Tag" zu planen. Sie wolle jetzt erst einmal die 5000 Meter in Zürich laufen, das sei ja eigentlich ihre Lieblingsstrecke. Am Ende des Abends fasst Pavey dann noch einen Entschluss: Sie will die Olympischen Spiele 2016 in Brasilien ihr Programm aufnehmen. "Die letzten Wochen haben mir Hoffnung für Rio gegebe. Vielleicht auch für ein, zwei Jahre mehr."

Am Ende des Tages war Pavey dann wieder ganz fürsorgliche Super-Mami: Um ihre Teamkollegin Goldie Sayers bei der Rückkehr ins Hotelzimmer nicht aufzuwecken, schlief die Europameisterin in ihrem Wettkampfdress.

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