David Storl bei der Leichtathletik-EM:Gold gewonnen, gegen sich selbst verloren

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Einsam an der Spitze: David Storl. (Foto: Getty Images)

David Storl gewinnt in Zürich das erste EM-Gold für den Deutschen Leichtathletik-Verband - und schüttelt entnervt den Kopf. Der Fall des 24-Jährigen zeigt, wie schwer es ist, wenn einem Athleten die Gegner ausgehen.

Von Johannes Knuth, Zürich

David Storl war an der Reihe, aber er ließ sich noch ein wenig Zeit mit seinem nächsten Versuch. Storl spazierte am Kugelstoßring vorbei, er betrat den Rasen, der sich vor dem Ring ausbreitete. Dann hielt er inne. Für wenige Sekunden stand er da und blickte in die Ferne, dorthin, wo zwei Plastikboxen einsam auf dem Feld standen. Auf den Boxen prangte eine Zahl, stellvertretend für die Weite an dieser Stelle.

22 Meter.

Der Kugelstoßer David Storl hat am Dienstagabend die erste Entscheidung der Leichtathletik-EM in Zürich gewonnen. Nach 21,41 Metern landete seine Kugel auf dem Rasen im Letzigrund-Stadion; der Zweitplatzierte Borja Vivas (Spanien/20,86) und Bronze-Gewinner Tomasz Majewski (Polen/20,83) folgten mit respektvollem Abstand. Storl ist jetzt nicht nur zweifacher Weltmeister, sondern auch zweifacher Europameister, er besitzt zudem eine Silbermedaille von den Olympischen Spielen 2012 in London. Man vergisst schnell, dass der Mann aus Chemnitz erst 24 Jahre alt ist.

Storl freute sich am Dienstag etwa wie ein Schüler am ersten Tag nach den Sommerferien. Der 24-Jährige schüttelte kurz den Kopf, presste ein Lächeln hervor, lief ein paar Meter vor der Tribüne auf und ab, die deutsche Fahne lag schlapp auf seinen Schultern. Die restliche Ehrenrunde ließ er ausfallen. Als Storl später in den Katakomben des Stadions über seinen Titelgewinn sprach, stellte er fest: "Ich bin ein Athlet, als Athlet vergleiche ich mich auch immer mit mir selbst." Der Vergleich mit sich selbst - damit meinte er diese verdammten 22 Meter.

Je länger Storl seine mäßige Laune in schöne Worte kleidete, desto mehr drängte sich der Eindruck auf: Er hatte weniger gegen seine Gegner gewonnen, sondern mehr gegen eine Weite verloren. Im Vorfeld der EM hatte er 21,97 Meter gestoßen, Bestleistung. Nun wollte er die 22 Meter nachreichen, denen er seit Monaten hinterherjagt. "Ich freue mich schon über die Goldmedaille", beteuerte Storl, aber 21,41, "da muss ich hier keine Emotionsausbrüche zeigen".

Den Titel hatte er sich mit jenen 21,41 Metern bereits im ersten Stoß verdient, und dann, gab er zu, "habe ich mich schon etwas einsam an der Spitze gefühlt." Was folgte war eine Feldstudie, die zeigte, was mit einem Athleten geschieht, der nur noch gegen eine ominöse Marke stößt.

Storls zweiter Versuch: zu kurz, ungültig. Der dritte: Storls linkes Knie knickte weg, jenes Knie, in dem Storl eine entzündete Patsellasehne plagt. Der 24-Jährige fiel auf die Tartanbahn, er verzog das Gesicht. "Ich denke, dass er danach ein wenig Angst hatte, die Beine richtig hinzustellen", sagte sein Trainer Sven Lang. Diese Angst begleitete Storl im vierten Versuch, im fünften, im sechsten. Gleichzeitig mischte sie sich mit dem Willen, die Kugel doch noch einmal weit zu wuchten, irgendwie. "Das hat ihn verkrampfen lassen", vermutete Lang. "Er wollte diese 22 Meter mit aller Macht zum Saisonhöhepunkt stoßen".

Storl selbst hatte die Zahl in den Raum geworfen, und so langsam stellen sie in seinem Umfeld fest, dass eine derartige Marke nicht nur motiviert. Sondern dass sie belastet, wenn sie zu lange in den Medien und im Kopf des Athleten herumspukt. "Wenn man das einmal in der Öffentlichkeit äußert, dann wartet da halt jeder darauf. Das macht die Sache nicht gerade einfacher", sagt Lang.

Leichtathletik definiert sich wie kaum eine Sportart über sogenannte Schallmauern, über Menschen, die daran scheitern und die sie durchbrechen. Dieter Baumann gewann 1992 Olympia-Gold, erst fünf Jahre später unterbot er die 13 Minuten über die 5000 Meter. Die deutschen Sprinter warten bis heute auf einen Läufer, der die 100 Meter in weniger als zehn Sekunden zurücklegt. Und Storl will eben diese 22 Meter überbieten, in der jüngeren Leichtathletik haben das nur wenige geschafft. Storl will einer dieser wenigen Auserwählten sein.

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Aber wie fordert man einen, dem dabei langsam die Herausforderer ausgehen?

"Wir hatten das gleiche mit den 21 Metern", erinnert sich Lang, "und jetzt fliegt die Kugel ständig drüber. Letztlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die 22 fällt", glaubt er. Lang versucht, Storl durch neue Reize zu kitzeln, mit Skilanglauf im Training, vielleicht lässt er ihn demnächst einmal gegen die Diskuswerfer antreten, bei einem kleinen Wettkampf.

2015 findet die Leichtathletik-WM in Peking statt, dann gesellen sich die ebenbürtigen Amerikaner wieder dazu. Zum Beispiel Ryan Whiting, "der wird uns noch einige Jahre beschäftigen", sagte Lang. Zuletzt hatten sich Storl und Whiting bei der Hallen-WM im vergangenen März getroffen, Whiting gewann. Er stieß 22,05 Meter.

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