Favoriten der Leichtathletik-EM:Fotoshootings stören nicht

Schönheitsspringerin, Überläufer und wandelnde Verheißung: Bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Zürich treten schillernde Personen als Favoriten an. Ein Überblick.

Von Thomas Hahn

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(Foto: AFP)

Schönheitsspringerin, Überläufer und Mutter-Sport: Bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Zürich, die an diesem Dienstag beginnen, stellt sich ein buntes Volk von Favoriten vor. Von Thomas Hahn Usain Bolt kommt auch als Wettläufer nach Zürich, allerdings erst nach den Europameisterschaften im Letzigrund, die an diesem Dienstag beginnen. Der Sprintweltrekordler und sechsmalige Olympiasieger ist zwar der berühmteste Leichtathlet der Welt. Kürzlich erst hat er als Gold-Staffelläufer bei den Commonwealth Games in Glasgow bewiesen, dass er schon durch bloße Anwesenheit Medien und Menschen in Aufregung versetzen kann. Er wäre also sicher auch bei der EM zu etwas zu gebrauchen. Aber Mister Bolt kommt aus Jamaika, und eine Westerweiterung der EU Richtung Karibik ist nicht einmal in den kühnsten Träumen der fanatischsten Europa-Freunde geplant. Nein, Usain Bolt wird erst am 28. August im Letzigrund erwartet, zum Züricher Diamond-League-Meeting. Die EM muss ohne ihn auskommen, was kein Problem sein sollte. Denn auch Europas Leichtathletik hat ein paar schillernde Favoriten im Gepäck. Ein Überblick.

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(Foto: Adrian Dennis/AFP)

Weltrekord-Alarm Zur Osterweiterung der EU verbieten sich blöde Witze, aber Fakt ist nun mal: Die Ukraine ist startberechtigt bei der EM und damit auch Bogdan Bondarenko, 24, aus Charkow, der die Würde des aktuellen Hochsprung-Weltmeisters trägt sowie die Bürde, eine wandelnde Verheißung zu sein. Seit Bondarenko im vergangenen Jahr angefangen hat, regelmäßig 2,40 Meter und höher zu überfloppen, befinden sich die Leichtathletik-Historiker in Alarmbereitschaft. Weltrekord-Warnungen gibt es mittlerweile jedes Mal, wenn Bondarenko seine Spikes schnürt, natürlich auch in Zürich. Dass ihm dort der nötige Konkurrenzdruck fehlen würde für die alte Bestmarke des Kubaners Javier Sotomayor von 2,45 Meter (1993), muss niemand befürchten. Mutaz Essa Barshim aus Katar, der im Juni in New York mit 2,42 höhengleich hinter Bondarenko Zweiter wurde, darf zwar kein EM-Teilnehmer sein, der Russe Ivan Uchow (2,41) aber schon - und natürlich auch Bondarenkos Landsmann Andrij Protsenko (2,40). "Wie eine WM" sei die EM, sagt Bondarenko deshalb, was eine Übertreibung ist. Aber für seine Disziplin nur eine kleine. Es kann sein, dass der Weltrekord die Voraussetzung wird, um in Zürich Hochsprung-Europameister zu werden.

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(Foto: imago sportfotodienst)

Schönheitsspringerin Die Kunststoffbahn ist kein Laufsteg, insofern bringt es der russischen Weitspringerin Daria Klischina, 23, in Zürich gar nichts, dass sie die schlanke 1,80-Meter-Figur eines Topmodels besitzt. Vielleicht sogar im Gegenteil? Die Frau war 2007 Junioren-Weltmeisterin, mit 20 steigerte sie ihre Bestleistung auf 7,05 Meter, sie galt als Supertalent mit Charisma. Aber der ganz große Durchbruch ist ihr im Sport noch nicht gelungen. WM-Siebte war sie vergangenes Jahr in Moskau mit 6,76, immerhin. Aber weil sie nebenbei als Mannequin arbeitet, ist bei ihr die Frage groß, ob sie nicht etwas zu sehr abgelenkt sei durchs eitle Geschäft mit ihrer Schönheit. Sie findet: nein. "Die ganzen Fotoshootings stören das Training nicht", sagt sie in der Sportzeitung L'Équipe, Verletzungen hätten sie gebremst bei ihrem Vorhaben, Olympiasiegerin und Weltrekordlerin zu werden. Daria Klischina findet es großartig, dass sie nicht nur Sportlerin sein muss, ihre Tennis-Landsfrau Maria Scharapowa nennt sie "mein Vorbild": "Die entwickelt neben dem Sport ihr Geschäft." Daria Klischina macht nicht den Eindruck, als wolle sie ihre Doppelrolle aufgeben. Geht eigentlich auch gar nicht. Daria Klischina kann ihre Schönheit ja schlecht abbestellen.

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(Foto: Getty Images)

Überläufer Manche Wege sind schon lustig, und den seines Landsmannes und Olympiasieger-Kollegen Greg Rutherford wird der britische Langstreckler Mo Farah, 31, sicher mit großer Neugier weiterverfolgen. Der Weitspringer Rutherford hat angekündigt, nicht nur in Zürich EM- und 2016 in Rio Olympia-Gold gewinnen zu wollen, sondern anschließend sein winterolympisches Glück als Skeleton-Pilot zu suchen. Warum nicht? Farah ist zuletzt auch zwischen den Welten gependelt. Im April gab er sein Marathon-Debüt auf der Straße, das er mit der europäischen Jahresbestzeit von 2:08:21 Stunden beendete. In Zürich ist er wieder auf der Bahn unterwegs, über 5000 und 10 000 Meter, auf jenen Strecken also, auf denen Farah 2010 Doppel-Europameister, 2012 Doppel-Olympiasieger und 2013 Doppel-Weltmeister wurde. Im Grunde müsste Mo Farah wieder doppelt zuschlagen - sofern ihn das Marathon-Abenteuer nicht zu viel Kraft gekostet hat.

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(Foto: Stringer/Reuters)

Selbst ist der Herausforderer Der Stabhochspringer Renaud Lavillenie, 27, ist dem Hochspringer Bondarenko ein bisschen voraus. Denn der Franzose hatte in diesem Jahr schon sein Weltrekord-Erlebnis, im Februar, in der Ukraine, beim Heim-Meeting des früheren Stabhochsprung-Dominators Sergej Bubka (Bild). Dessen Hallenweltrekord verbesserte Lavillenie damals um einen Zentimeter auf 6,16 Meter mit einem Sprung, den er und sein Trainer Philippe d'Encausse so gut fanden, dass sie nur "ein oder zwei Details zu verbessern" entdeckten. Und nun? Ist der Weltrekordler auch der sichere Europameister? Grundsätzlich nein, in diesem Fall aber vielleicht doch. Jedenfalls hat Lavillenie in diesem Sommer noch nicht verloren, er hält die Weltjahresbestleistung mit 5,92, und die Deutschen, die ihn in den vergangenen Jahren herausforderten, sind unpässlich. Weltmeister Raphael Holzdeppe setzt aus, der Olympia-Zweite Björn Otto auch. Zuletzt hat der Hallen-WM-Zweite Malte Mohr seinen Start zurückgezogen, weil er seine Technik nicht in den Griff bekommt. Und trotz Rekord ist Renaud Lavillenie keineswegs satt. Sein ultimatives Ziel: "An der Spitze meiner selbst zu sein."

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(Foto: Getty Images)

Mutter-Sport Die Tschechin Barbora Spotakova ist auch so eine Hochdekorierte der europäischen Leichtathletik. Weltmeisterin, zweimalige Olympiasiegerin, Weltrekordlerin. Die Speerwerferin Spotakova ist Herrin einer Ära. Aber in Zürich kann sie ihre Karriere noch zusätzlich veredeln. In Zürich kann Barbora Spotakova ein Beispiel geben für all die werdenden oder gewordenen Mütter, die nach der Geburt zurück in den Leistungssport streben. Janek kam im Mai 2013 zur Welt, danach war Barbora Spotakova erstmal weg von der Leistungssportbühne. In diesem Jahr ist sie zurück und hat auch schon wieder ein paar schöne Meeting-Erfolge gesammelt. Kann so eine junge Mutter ihr erstes EM-Gold gewinnen? Absolut. Und mit besonderem Interesse schaut dabei zu: Christina Obergföll, Speerwurf-Weltmeisterin 2013, seit Juni 2014 Mutter von Marlon.

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(Foto: dpa)

Europas Afrikaner Die Freunde Afrikas könnten meinen, sie müssen bei der EM auf ihre geschmeidigen Lauf-Idole verzichten. Dabei steckt in dieser EM gar nicht so wenig Afrika drin. Europa ist ein Sehnsuchtsort für Glückssucher vom Schwarzen Kontinent, davon profitiert ihre Leichtathletik. Den Deutschen ist aus Äthiopien Homiyu Tesfaye, 21, zugelaufen, der in Zürich Medaillenchancen über 1500 Meter hat. Die größten Hoffnungen der Gastgeber ruhen auf Marathonmann Tadesse Abraham, 31, der 2004 aus Eritrea in die Schweiz kam und in diesem Sommer die Schweizer Staatsbürgerschaft erhielt. Und seit dem vergangenen Jahr gewinnt die gebürtige Äthiopierin Abeba Aregawi, 24, aus Adigrat (im Bild) über 1500 Meter Gold für Schweden, erst bei der Freiluft-WM 2013 in Moskau, dann bei der Hallen-WM 2014 in Sopot. Europa ist bunt, fast so bunt wie die ganze Welt.

© SZ vom 11.8.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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