Kommentar:Zerreißen für Ancelotti! Aber wie?

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Carlo Ancelotti beim Spiel in Rostow. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Carlo Ancelottis Trainer-Konzept basiert auf Zusammenhalt und Emotion. Doch im Moment klappt das beim FC Bayern nicht.

Kommentar von Claudio Catuogno

Es spricht für ein gesundes Selbstbewusstsein, wenn eine Führungskraft, bevor sie ein neues Arbeitsverhältnis eingeht, noch rasch ein Buch darüber auf den Markt bringt, wie prima es in den alten Jobs immer lief. Carlo Ancelotti allerdings kann für sich in Anspruch nehmen, dass es in seinem Werk "Quiet Leadership - Wie man Menschen und Spiele gewinnt" gar nicht er selbst ist, der sich mit Lob überschüttet. "Ich habe mit den besten Trainern gearbeitet. Und Carlo ist der allerbeste" - Zlatan Ibrahimovic. "Ancelotti ist ein Trainer, unter dem jeder Fußballer liebend gern spielen würde" - David Beckham. "Ein großer Trainer und ein fabelhafter Mensch" - Cristiano Ronaldo.

Beim FC Bayern würden sie auf die Frage, ob sie für eine 2. Auflage ebenfalls einen Superlativ besteuern könnten, derzeit wohl nur "Schau'n mer mal" sagen.

In jedem Fall hatten sie sich das anders vorgestellt, ihr erstes halbes Jahr mit dem stillen Leader. Einfacher. Aber wenn ein FC Bayern binnen fünf Tagen zweimal verliert, ist in diesem Klub gar nichts mehr einfach. Und wenn sie ihren Ancelotti jetzt so Kaugummi kauend am Spielfeldrand stehen sehen, dann schleicht sich schon die Frage ein: Wieso ist an dem Mann gerade so viel "quiet" und so wenig "Leadership"?

Das Gute ist aber: Während man die Lehre seines Vorgängers Pep Guardiola mühsam dechiffrieren musste, liegt Ancelottis Verständnis vom Trainerberuf auf 316 Seiten zur Lektüre bereit. Im Kern geht es so: Ancelotti versucht, mit seinen Spielern ein derart persönliches Verhältnis aufbauen, dass jeder einzelne bereit ist, sich für den Trainer "zu zerreißen". Guter Plan. Bloß: Funktioniert der moderne Fußball noch so? Über Loyalität und Emotion? Zumal in einer Elf, die unter Guardiola in einer Art Taktikdruckkammer gelebt hat? Wenn man den Bayern gerade zuschaut, sieht das nicht nach Zerreißen aus, eher nach Hilflosigkeit. Frei nach Karl Valentin: Zerreißen mögen hätten sie sich schon wollen, aber können haben sie nicht gewusst wie.

Das lenkt den Blick auf das zweite wiederkehrende Element im Ancelotti-Buch. In all seinen großen Klubs - beim AC Mailand, Paris Saint-Germain, dem FC Chelsea und Real Madrid - sei seine Art der Führung der Grund gewesen, ihn zu holen, schreibt er. Irgendwann sei aber genau diese Art auch der Grund gewesen, ihn zu hinterfragen - und zu entlassen. Trotz all der schönen Titel. So weit ist es bei Bayern noch lange nicht. Womöglich muss sich der stille Herr Ancelotti aber als Trainer noch mal neu erfinden, damit es nicht so weit kommt.

© SZ vom 25.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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