Deutsche Eishockey Liga:Karneval schon im September

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"Wer hier spielt, muss groß denken": Kölner Fans bringen sich vor dem rheinischen Derby gegen Düsseldorf am Kölner Dom in Stimmung. (Foto: Revierfoto/Imago)

Nach dem überraschend starken Saisonstart schlägt Tabellenführer Kölner Haie große Euphorie vom frenetischen Anhang entgegen - ein bisschen zu viel des Guten?

Von Christian Bernhard

Jürgen Metz hat ganz nah miterlebt, was ein Eishockey-Meistertitel in Köln auslösen kann. Knapp 25 Jahre fuhr er die Kölner Haie als Busfahrer durch die Republik, und damals, im Jahr 2002, als die Haie letztmals die deutsche Meisterschaft gewannen, stiegen die Spieler auf seinen Bus und präsentierten von dort oben den Pokal. "Vor lauter Fans" habe er die Straße nicht mehr gesehen, erzählte Metz dieser Tage, nachdem er die Mannschaft zum letzten Mal gefahren hatte.

Das erste Spiel ohne Jürgen Metz verloren die Haie, 3:4 nach Penaltyschießen mussten sie sich am vergangenen Sonntag im Derby gegen die Düsseldorfer EG geschlagen geben. Ihr Saisonstart ist dennoch sehr gelungen, besonders die zwei Siege gegen den ERC Ingolstadt (4:1) und den EHC RB München (5:2), die zwei Topmannschaften der vergangenen Saison aus der Deutschen Eishockey Liga (DEL), haben für Aufsehen gesorgt. Die Haie sind Tabellenführer - und inmitten einer großen Euphorie.

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"Unglaublich" sei diese, sagt Trainer Uwe Krupp, ein Ur-Kölner, der in der Domstadt geboren ist, dort beim KEC seine Profikarriere begann, zweimal Meister wurde und nun zum zweiten Mal den Klub seiner Heimatstadt trainiert. Er sagt: "Wir schulden den Titel Köln als Stadt." Die Zahlen zum Boom liefert die Ticketabteilung des Klubs. Zu den ersten drei Heimspielen kamen mehr als 54 000 Zuschauer. Europarekord. Für die zwei kommenden Heimspiele sind bereits jeweils um die 16 000 Karten verkauft. "Für den Sport insgesamt ist das eine tolle Sache", sagt Haie-Kapitän Moritz Müller, "das wir das erleben dürfen, ist umso besser."

Die Corona-Pandemie sei "ein reiner Existenzkampf" gewesen

Den Haien schlägt aktuell sehr viel Liebe in Köln entgegen, und die Frage, die sich daraus ergibt, lautet: Kann aus zu viel Liebe auch zu großer Druck entstehen? "Kann zu viel Liebe etwas Negatives sein?", hält Haie-Geschäftsführer Philipp Walter dagegen, er lacht dabei im Presseraum der Münchner Olympia-Eishalle, wo er auch über schwierige Zeiten redet. Die Corona-Pandemie war ein "Tiefschlag, ein reiner Existenzkampf" für den Klub, erzählt er. Sie habe die wirtschaftliche Entwicklung "komplett" gestoppt. Das Tal war damals nicht nur wirtschaftlicher Natur, sondern auch sportlicher, zweimal qualifizierten sich die Haie nicht für die Playoffs. Nun stehen sie ganz anders da - und blicken mutig nach vorne. Trotz des Zuschauer-Rekords in der Vorsaison von mehr als 14 000 Besuchern im Schnitt, sieht Walter "das Potenzial von weiteren 4500 Zuschauern, die noch nicht da sind".

Im Klub wollen sie trotzdem Entspanntheit ausstrahlen, denn die Verantwortlichen wissen, dass das emotionale Kölner Umfeld und der lokale Boulevard die Euphorie schon alleine köcheln lassen. Auch Krupp kennt sich damit aus. Deshalb zäunte er nach dem Sieg in München die Euphorie gleich mal fleißig ein. Man müsse aufpassen, dass nicht zu schnell der Karneval eingeläutet werde, "das geht ja dann schnell bei uns", sagte er. Passend dazu ertönte beim Haie-Sieg in München während der Partie ein "Deutscher Meister wird nur der KEC" aus dem Gästefanblock. Bis zum Ende der Saison laufe noch viel Wasser den Rhein runter, entgegnete Krupp, wichtig sei deshalb, wer zum Ende der Hauptrunde gut spiele. "Da wird abgerechnet."

Seit 2003 bei den Haien: Kapitän Moritz Müller ist Ansprechpartner in vielen Fragen. (Foto: Eibner-Pressefoto/Imago)

Moritz Müller sieht das ähnlich. Köln sei eine sehr emotionale Stadt, "die Leute sind mit Herzblut dabei, in beide Richtungen", sagte er nach dem Sieg in München vor dem Haie-Mannschaftsbus, in dem zum letzten Mal Jürgen Metz am Steuer saß. "Hier ist wenig Mittelmaß. Wer hier spielt, muss groß denken." Der Kapitän ist seit 2003 im Verein, er hat die bis dato letzte Kölner Meisterschaft also nur knapp verpasst. "Mo hat hier im Klub schon alle Zeiten erlebt", sagt Geschäftsführer Walter. Er hat auch schon einige Euphoriewellen um die Haie schwappen sehen, so früh im Jahr aber "wahrscheinlich noch nicht", sagt Müller. Trotzdem: All das gelte es "in den richtigen Kontext zu packen". Zweimal sagt er das.

"Dieses Jahr ist Köln auf jeden Fall dabei", sagt Münchens Yasin Ehliz

Er weiß natürlich auch, dass die diesjährigen Haie sehr gut aufgestellt sind. "Ich glaube, dass wir unglaublich an Qualität gewonnen haben", sagt er, "letztes Jahr waren wir vom Scoring her doch sehr stark von einer Reihe abhängig." Diese Angriffsreihe ist immer noch da (Andreas Thuresson, Maximilian Kammerer, Louis-Marc Aubry), doch in WM-Silbermedaillengewinner Justin Schütz, 23, Tim Wohlgemuth, 24, sowie Gregor MacLeod, 25, sind vielversprechende Angreifer dazugestoßen, dazu in Frederik Storm, 34, und Alexandre Grenier, 32, zwei erfahrene und nicht minder gefährliche. Die offensive Last sei nun auf viele Schultern verteilt, sagt Müller, "alle können produzieren". Die Konkurrenz hat die Haie deshalb auf dem Schirm. "Dieses Jahr ist Köln auf jeden Fall mit dabei", sagt Münchens Nationalspieler Yasin Ehliz.

Moritz Müller will trotz der vielen guten Sachen im Moment "nicht zu sehr links und rechts schauen". Es werde auch Phasen geben, in denen es nicht so gut laufen wird, sagt er - und verweist auf den großen Kader, der viele Möglichkeiten bietet, in dem man zugleich alle bei Laune halten müsse: "Wir wissen, dass es ein langes Jahr ist." Ein Jahr, das im Idealfall erst im April endet, wenn das Playoff-Endspiel stattfindet. Jürgen Metz wäre dann sicher wieder mit von der Partie.

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