DFB-Elf bei der EM 2021:"Die Trainer machen sich wahnsinnig viele Gedanken"

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Lukas Klostermann könnte rechts spielen - wenn er fit wäre. (Foto: Federico Gambarini/AFP)

Dreierkette? Viererkette? Vor dem Spiel gegen Portugal diskutiert die deutsche Nationalmannschaft Systemfragen - ein Ausfall von Lukas Klostermann könnte die Optionen allerdings einschränken.

Von Philipp Selldorf, Herzogenaurach

Die erste Frage- und Antwortrunde im Lager der Nationalmannschaft nach der Niederlage gegen Frankreich widmete sich nicht nur der Gemütslage der Spieler und den Erwartungen an das zweite Turnierspiel, das am Samstagabend den Gegner Portugal beschert. Sie hinterließ auch Überlegungen über den aktuellen Verbleib des Managers von Borussia Mönchengladbach. Ob Max Eberl wohl wieder, wie schon wochenlang im Januar, auf einer Skihütte in Österreich Abstand vom Fußball sucht?

Tatsache ist jedenfalls, dass sich nach der Begegnung mit der Weltmeister-Equipe kein Verantwortlicher der Borussia bei Matthias Ginter gemeldet hat, obwohl der VfL-Verteidiger einen ausgesprochen gelungenen Auftritt hingelegt hatte.

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Ginter hat das Ausbleiben von Glückwunsch- oder auch Trostnachrichten auf Nachfragen bestätigt, aber er hat nicht gesagt, was er davon hält, dass ihn sein Arbeitgeber nicht kontaktiert hat, und so darf nun in Gladbacher Fachkreisen weiterhin über den Stand des Verhältnisses zwischen Spieler und Verein spekuliert werden. Herrscht vorsätzliche Sprachlosigkeit? Stimmt es womöglich wirklich, dass die Borussia den Vorzeigespieler Ginter - Vertrag bis 2022 - auf den Transfermarkt zu bewegen versucht?

Freunde der Nationalmannschaft dürfen diese Debatte als beruhigend empfinden. Solange ein solches Thema mit Fragen und Nachhaken auf der Pressekonferenz des DFB erörtert wird, kann es um das Team nicht ganz so schlimm stehen. Am Tag nach der Niederlage hatte das Fernsehen von der späten Heimkehr aus München nach Herzogenaurach Bilder gesendet, die in der mitternächtlichen Finsternis den Rückzug einer geschlagenen Truppe zu dokumentieren schienen.

Eingedenk des souveränen Auftritts der Franzosen, dem Schwanengesang der Experten, und äußerst unschmeichelhaften Pressestimmen aus aller Welt (die britische Sun etwa bemerkte, die Deutschen hätten ja "überraschend gut mitgehalten") konnte man beim DFB glatt glauben, die Operation EM 21 sei schon vorbei, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat. Und ein wenig war das auch die Ansicht in den beiden Mannschaftsbussen , erklärte Ginter: "Ich muss ehrlich sagen: Der Abend und der Morgen nach der Niederlage waren schon bitter, da waren alle sehr enttäuscht."

Andererseits wären die deutschen Spieler für den Profisport schlecht geeignet, wenn sie nach einer knappen Niederlage gegen den amtierenden Champion der Welt bereits resignieren würden. Es bedurfte daher weder einer Sprechstunde beim Teampsychologen noch einer Motivationsrede des Bundestrainers, um die Mannschaft wieder in bessere Laune zu versetzen.

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Mit etwas Abstand zum Ereignis und etwas Bewegung beim ersten Training habe sich das Befinden schon wesentlich gebessert, berichtete Ginter, ein "Jetzt-erst-recht-Gefühl" konnte er ausmachen. Man sei jetzt wieder bereit, gegen Portugal "voll auf Sieg zu spielen", versicherte der aufrechte Verteidiger, eigentlich kein Mann von großen Worten.

Dazu ist allerdings zu sagen, dass den Deutschen nicht viel anderes übrig bleibt. Nicht nur der Spielplan hat mit dem Auftaktspiel gegen Frankreich ungünstige Fakten geschaffen. Auch der Turniermodus, der den vier besten Gruppendritten das Weiterkommen ermöglicht, setzt einen trügerischen Anreiz. Da Deutschland die bei Weitem schwierigste der sechs Gruppen erwischt hat, fällt die Ausbeute für den Dritten womöglich besonders mager aus. Ein einzelner Sieg gegen den Außenseiter Ungarn könnte nicht genug sein, um das Achtelfinale zu erreichen.

Bisher hält sich die Alarmstimmung in den deutschen Städten und Gemeinden noch in Grenzen, es wird vor allem diskutiert, ob der Bundestrainer nicht zügig das System ändern sollte, um eine klarere Struktur herzustellen. Favorit vieler Experten ist eine Vierkette, in der jeder Einzelne seine definierte Position hätte. Aus dem Innenverteidiger Matthias Ginter könnte dann ein Rechtsverteidiger werden, Joshua Kimmich dürfte zurückkehren ins Zentrum, und der Angriff hätte mit zwei Flügelstürmern und einem Mann in der Mitte eine konkrete Gestalt.

"Die Trainer machen sich wahnsinnig viele Gedanken", erklärte Ginter, als er auf solche Überlegungen angesprochen wurde. Seine Antwort gab jedoch zu erkennen, dass die Spieler die Systemfrage für weniger bedeutsam halten als die Frage der Interpretation durch jeden einzelnen. Ob Dreier- oder 4er-Kette - "da sind die Übergänge sowieso fließend, das kann man nicht auf eine statische Systematik festlegen", so Ginter.

Was feststeht: Einen Rechtsverteidiger Lukas Klostermann (der auch eine denkbare Alternative wäre) wird es wegen einer Muskel-Verletzung ebenso wenig geben wie einen rechten Außenbahnspieler Jonas Hofmann (Knie). Klostermann könnte wegen eines Faserrisses bis zu zwei Wochen ausfallen, berichtet der kicker. Nicht nur den Betroffenen würde das hart treffen - auch für Joshua Kimmich wäre es möglicherweise eine schlechte Nachricht.

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