Finale der Champions League:Klopps schier unfassbare Trainerleistung

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Liverpools Trainer muss mit dem Vorwurf leben, dass er sechs Endspiele verloren hat. Aber: Man tut Trainern Unrecht, wenn man sie nur an Pokalen misst.

Kommentar von Christof Kneer

Wenn man tiefer in Jürgen Klopps Biografie hineinschaut, dann versteht man erst so richtig, warum er die Finanzabteilung seines Arbeitgebers so viel Geld für einen Torhüter ausgeben ließ. 70 Millionen Euro hat der FC Liverpool im vorigen Sommer für den Brasilianer Alisson bezahlt, viel Geld für einen Spieler, der mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht das Siegtor im Champions-League-Finale schießen wird. Aber es geht Klopp um etwas anderes: Er braucht einen Torwart, der gut genug ist, um ihm nicht wieder einen Titel zu vermasseln.

Es geht darum, dass sein Torwart dem Gegner nicht wieder einladend den Ball hinwirft, wie Loris Karius im Champions-League-Finale 2018. Dass er sich keinen Distanzschuss ins Netz patscht, wie ebenfalls Karius 2018. Dass er keinen Schuss unterm Körper durchrutschen lässt, wie Simon Mignolet im englischen Liga-Cup-Finale 2016. Dass er den Ball nicht wieder zum Gegner prallen lässt, wie Mitch Langerak im DFB-Pokalfinale 2015.

Oha! Sechs Endspiele, alle verloren! Das hat Jürgen Klopp in dieser Woche wieder überall lesen dürfen, und er hat dabei noch so oft betonen können, dass es im Champions-League-Finale zwischen Tottenham Hotspur und seinem FC Liverpool nicht um ihn, Klopp, gehe: Man hat ihm selbstverständlich kein Wort geglaubt. Natürlich geht es Klopp auch um Klopp, eine gewisse Eitelkeit gehört auf diesem Niveau zum Jobprofil, ohne diese Art des Eigenantriebs könnte ein wirklich guter Trainer kein wirklich guter Trainer sein.

Ist Klopp ein wirklich guter Trainer?

Natürlich ist so eine Frage blasphemisch, weil sie an St. Jürgen zweifelt, dem Oberhaupt der Glaubensgemeinschaft der Kloppos, und es gibt ja tatsächlich keinen vernünftigen Grund, diesen Trainer infrage zu stellen - außer eben jene furchtlose Statistik, die sich nicht mal von einer jener Klopp-Grimassen schrecken lässt, für die man auf offener Straße ein Bußgeld kassieren würde. Ja, Klopp hat zuletzt sechs Endspiele verloren, drei mit Dortmund, drei mit Liverpool - und der Statistik ist es auch egal, dass da Torwart- und Schiedsrichterpannen dabei waren, für die ein Trainer nichts kann.

Klopp und die Finals: Dieses Boulevardthema führt auf eine fast philosophische Ebene. In Wahrheit muss die Frage ja lauten: Was ist ein guter Trainer überhaupt? Könnte nicht - zum Beispiel - Christian Streich ein besserer Trainer sein als Zinédine Zidane, obwohl er tendenziell seltener die Champions League gewinnt und auch nicht ganz so oft Real Madrid trainiert? Wobei wiederum für Zidane spricht, dass er seltener fragt: "Was machet ihr mit uns kleine Freiburger?"

Man tut Trainern grundsätzlich Unrecht, wenn man sie nur an Pokalen misst; Klopp hat mit dem BVB übrigens zwei Meisterschaften und ein Double gewonnen. Natürlich holt ein großer Trainer große Titel, aber er kann mehr: Ein großer Trainer schafft es, Teams so nach seinem Bild zu formen, dass sie den Charakter ihres Coaches spiegeln; ein großer Trainer kann eine ganze Stadt prägen, er schafft es, dass die Leute in 20 Jahre sagen: War das eine coole Zeit, als Kloppo noch hier war! Das sagen sie in Mainz und Dortmund, und sie werden das auch in Liverpool sagen. Klopp hat allen drei Städten das Gefühl gegeben, dass er ausschließlich einer von ihnen ist. Und das ist in diesem Emotionsgewerbe eine schier unfassbare Trainerleistung.

Klopps größte Qualität ist es, dass Spieler an ihn und seinen leidenschaftlichen Fußball glauben, selbst Spieler wie Divock Origi, die er selten spielen lässt und die ihm dann trotzdem das Halbfinale gegen Barcelona gewinnen. Aber gerade weil Klopp vom Glauben lebt, sollte er sicherheitshalber mal wieder ein Finale gewinnen - nicht, dass seine Spieler irgendwann doch vom Glauben abfallen.

© SZ vom 01.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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