Fokussiert stehen die zwei Kletterer vor der 15 Meter hohen Wand. Ihr Blick ist auf zwei identische Routen mit roten Griffen und kleinen Fußtritten gerichtet. Der Moderator fordert sie auf, sich in Startposition zu begeben. Jan Hojer steht links, sein Herausforderer Yannick Flohé rechts von ihm. "Drei, zwei, eins", zählt der Moderator im Kletterzentrum Augsburg an. Plötzlich ertönt ein lauter Piepton. Am Ende der linken Route blinkt dann jedoch "False" auf dem Display auf. Fehlstart! Jan Hojer hatte zu früh mit seinem Fuß Druck auf den Starttritt ausgeübt. Beim Speedklettern belegt er nur Platz zwei. Trotzdem wird er erster deutscher Meister in der neuen olympischen Disziplin "Olympic Combined". Hojer und Flohé gelten neben dem Erlanger Alexander Megos als deutsche Olympiahoffnungen. Bei den Frauen errang Frederike Fell (Freising) den Meistertitel.
Das Format mischt die Karten im Wettkampfklettern neu. Nicht alle sind darüber glücklich, dass seit August 2016 feststeht, dass Klettern in zwei Jahren in Tokio erstmals Teil der Olympischen Sommerspiele ist. Der Deutsche Alpenverein (DAV) hat sich als deutscher Kletterverband das Ziel gesetzt, den Sport nun auch auf Leistungsebene voranzutreiben.
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Seit 1989 führt der DAV Kletterwettkämpfe durch. Olympia könnte nun die Krönung jahrelanger Bemühungen zur Anerkennung des Sports als wettkampffähige Disziplin bedeuten. Diese Entwicklung verläuft aber nicht ganz ohne Spannungen, denn der Alpenverein ist gleichzeitig der größte Naturverband Deutschlands - und dem Schutz der Natur verpflichtet. "Der DAV muss ständig einen Spagat hinbekommen", sagt Sunnyi Mews, DAV-Bundesjugendleiterin. Das fange schon beim Thema E-Bike-Fahren an: Ständig stellt sich die Frage, wie die sportlichen Ansprüche des modernen Menschen naturverträglich bedient werden können - und wo eine Grenze gezogen gehört. Diese Ambivalenz spiegelt sich auch in der Entscheidung des DAV im Jahr 2014 wider, gegen eine Münchner Bewerbung um die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele zu stimmen. Jetzt wird der DAV ein Teil von Olympia.
Die Strukturen, um die 17 Athleten und Athletinnen des Olympia-Kaders auf die Qualifikation vorzubereiten, stehen. Erklärtes Ziel der drei Bundestrainer Urs Stöcker, Maxi Klaus und Friederike Kops ist es, zwei Männer und eine Frau nach Tokio zu schicken. Seit der Einführung der neuen olympischen Kombination habe sich der Trainingsaufwand nahezu verdoppelt, sagt Jan Hojer. Das IOC entschied, nicht die Einzeldisziplinen Bouldern, Lead und Speedklettern olympisch zu bewerten, sondern eine Kombination daraus. "Olympic Combined" verlangt Generalisten und vereint die Disziplinen zu einem Wettbewerb.
So wird also der Dreikampf zur vierten Disziplin im Wettkampfklettern. Im olympischen Wettbewerb werden demnach Schnellkraft, Maximalkraft und Ausdauerkraft in der Kombination abgefragt. "Das kombinierte Training aller drei Disziplinen hat positive Aspekte", sagt Bundestrainerin Kops. "Ich bin überzeugt davon, dass es allen Athleten mal gut tut, aus ihrem Schwerpunkt rauszukommen und sich den anderen Disziplinen zu widmen." Die praktische Umsetzung im Training hat demnach den größten Kritikpunkt der Profis ausgehebelt. Speedklettern gilt in der Szene als unliebsames Anhängsel. Die Tatsache, dass es bei der Disziplin auf Schnelligkeit ankommt und weniger auf Kreativität und Technik, macht den Sport eher uninteressant. Populär ist das Speedklettern vor allem in der Ukraine, in Russland und Frankreich. Der Weltrekord bei den Männern liegt bei 5,60 Sekunden, der deutsche Rekord von Hojer bei 7,19 Sekunden. Ziel für Olympia ist eine mittlere Sechserzeit.
Die Meisterschaft vor zwei Wochen in Augsburg war eine Art Testlauf in Deutschland. "Vor allem der zweite Tag war aus sportlicher Sicht spannend", resümiert Jan Hojer. Am ersten Tag, der Qualifikation seien die Pausen noch zu lang gewesen. "Das anspruchsvollste und das schwierigste an der neuen olympischen Kombination ist, dass man über zwei Tage immer konzentriert bleiben muss, um sechs Mal die Leistung abrufen zu können." Zudem müsse man seine Ressourcen sehr gezielt einsetzen. Dazu zählt auch die Ressource Haut an den Fingern und Handflächen. Ist die einmal runter, geht nichts mehr.
"Olympia ist mit Sicherheit die größte Bühne, die einer Sportart geboten werden kann"
Durch die neuen Wettbewerbe ist die Saison deutlich länger geworden. Ruhepausen werden nun auch mit Trainings gefüllt. Im Sommer trainieren die meisten Athleten in Innsbruck. Die Halle dort ist im Jahr 2017 eröffnet worden und gehört zu den modernsten der Welt. Routen auf Wettkampfniveau gibt es in deutschen Hallen nur wenige. In Innsbruck gibt es 45 dieser Art, die auch regelmäßig von Wettkampfschraubern umgebaut werden. Das fehlt dem DAV. "Die Trainingsmöglichkeiten sind aktuell noch nicht optimal", sagt Martin Veith, Sportdirektor für Leistungssport. Seine Position ist eigens für Olympia im September 2017 geschaffen worden.
Ein Natursport wie Klettern scheint im ersten Moment nicht kompatibel mit dem größten Sportevent der Welt, der für Gigantismus, Korruption, Doping und Umweltprobleme steht. Für Veith stehen aber die positiven Aspekte von Olympia im Vordergrund: gegenseitiger Respekt und Völkerverständigung. Aber natürlich bringe es "nichts, Umweltschäden schön zu reden". Man müsse daraufhin arbeiten, diese in Zukunft zu vermeiden. Wie Veith sehen auch die Sportler die Vorteile des Großevents: "Olympia ist mit Sicherheit die größte Bühne, die einer Sportart geboten werden kann", sagt Jan Hojer. Für ihn wäre eine Teilnahme in Tokio 2020 eine Ehre. Seine Chancen dafür stehen jedenfalls gut. "Das wird auch meine einzige Chance sein, mich für Olympia zu qualifizieren", sagt er. Am Tag, an dem er sich zum ersten deutschen Meister in der neuen olympischen Kombination gekürt hat.