Union Berlin:Behrens macht Ding-dang-dong

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Mit Wucht und Präzision: Die Kopfbälle von Kevin Behrens (li.) finden oft ihr Ziel - gegen Mainz sogar dreimal. (Foto: O. Behrendt/Contrast/Imago)

Erstmals seit der Datenerfassung erzielt ein Spieler einen Hattrick per Kopf: Kevin Behrens beweist eine Qualität, die es aktuell nicht oft im deutschen Fußball gibt. Ist er sogar einer für Hansi Flick?

Von Javier Cáceres, Berlin

Am Sonntag hatte Kevin Behrens den vielleicht stärksten Auftritt seiner Karriere, doch sein ökologischer Fußabdruck war kaum wahrnehmbar. Am Mittag gab es eine Fahrt im Mannschaftsbus zum Sportplatz namens Stadion An der Alten Försterei, vor dem Saisonauftaktspiel gegen den FSV Mainz 05. Doch nach der Partie, die Union mit 4:1 gewann, fuhr Behrens per Fahrrad heim zur Familie. Im leichten Gepäck: der Spielball, den ihm Aissa Laidouni - noch so ein Spieler aus Unions Kader, der nach der Schicht mit dem Fahrrad wegfuhr - übergeben hatte. Damit er, der Matchwinner Behrens, eine greifbare Erinnerung an ein Spiel behält, das in die Annalen der Bundesliga eingeht.

Und zwar nicht allein deshalb, weil Behrens drei Tore zum Sieg beisteuerte (das vierte für Union erzielte Milos Pantovic in der Nachspielzeit). Sondern wegen der Bauart seiner Treffer: Behrens erzielte alle drei Tore per Kopf. Laut Kicker hatte damit erstmals seit Beginn der detaillierten Datenerfassung (1998/99) ein Bundesligaspieler den Ball dreimal in einer Partie mit dem Schädel ins Tor gewuchtet. Und dennoch brummte dieser Kopf nicht: "Alles gut", versicherte Behrens, "solche Kanonen waren es ja auch nicht".

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In der Tat: Es waren eher spektakulär gut platzierte, bloß hinreichend vehement geköpfelte Bälle - nach hervorragend getimten Flanken von Jérôme Rousillon (1.), Laidouni (9.) und dem eingewechselten Sheraldo Becker (70.). Die Mainzer ärgerten sich darüber mächtig. Die ganze Woche über habe der Fokus darauf gelegen, Flanken zu verteidigen, haderte etwa der 05-Mittelfeldspieler Leandro Barreiro nach dem Spiel. Trotzdem schlug Behrens den Mainzern einfach, ding, dang, dong, auf die Glocke. "Schön, dass ich mich in die Datenbank eintragen konnte", freute sich der 32-Jährige.

Bemerkenswert war nicht nur der Schädel-Hattrick, sondern auch, dass dieser den vorläufigen Höhepunkt einer nahezu beispiellosen Spätentwickler-Karriere markierte. Denn dass sich jemand so spät auf der großen Bühne als versierter Goalgetter zu erkennen gibt wie Behrens, kommt eher selten vor. Und es konnte in seinem konkreten Fall nur deshalb passieren, "weil ihn keiner auf die große Bühne geholt hatte", wie Union-Manager Oliver Ruhnert anmerkte.

Ruhnert tat dies vor zwei Jahren - getreu der Maxime, die ein früherer Schalker Trainer, Fred Rutten, mal geäußert hat. "Er sagte immer: Ein Stürmer, der Tore schießt, kann überall Tore schießen. Egal in welcher Liga. Ein Stürmer, der keine Tore schießt, schießt nie Tore, egal in welcher Liga", erzählte Ruhnert. Und Kevin Behrens schoss Tore. Nicht übermäßig viele. Aber verlässlich zweistellig, in nahezu allen Ligen, die das Staffelsystem des deutschen Fußballs bereithielt.

Behrens' Sprungkraft muss genetisch bedingt sein

Behrens wurde in Bremen geboren, spielte dort beim ATS Butentor, SC Weyhe und in der Jugend des SV Werder. Doch beim Bundesligisten schaffte er es nur in die dritte Mannschaft. 2011 ging er zum SV Wilhelmshaven 92 - und landete danach über Hannover 96 II, Alemannia Aachen und Rot-Weiss Essen beim 1. FC Saarbrücken. Sein erstes Zweitligaspiel absolvierte Behrens 2018 für den SV Sandhausen, als er ein Anonymus von 27 Jahren war. In der Bundesliga debütierte er am ersten Spieltag der Saison 2021/22 - gegen Leverkusen wurde er für neun Minuten eingewechselt. Fünf Spieltage später erzielte er seinen ersten von mittlerweile 19 Erstligatreffern. Damals im Alter von 30 Jahren, sieben Monaten, drei Wochen und einem Tag.

Sie hatten bei Union immer wieder auf ihn eingeredet: dass er sich nicht verstecken solle, dass seine Tore schon kommen würden. Für einen guten Typen halten sie den Familienvater mit drei Kindern sowieso. "Er ist einer, der versucht dazuzulernen", erklärte Trainer Urs Fischer. Ihm gefällt bei Behrens die "Bereitschaft, besser zu werden", obwohl er "ein gewisses Alter" erreicht hat. "Er ist sehr ehrgeizig, auch unter der Woche", so Fischer, "es nervt ihn, wenn er am Tor vorbei schießt oder köpft".

Behrens selbst berichtete, er sei "schon in der Jugend kopfballstark" gewesen, "ich hatte nie Angst zum Ball zu gehen". Die Sprungkraft muss auch genetisch bedingt sein, seine Schwester erlangte im (Beach-)Volleyball als Kim Behrens (mittlerweile hat sie den Nachnamen ihres Ehemannes van de Velde angenommen) gewisse Berühmtheit. Dieser Mix kommt Behrens im Spiel von Union zugute: "Bei Union muss man als Stürmer nicht nur Tore schießen, sondern viel fürs Team arbeiten. Bälle festmachen und weiterleiten", Letzteres gern auch per Kopf. In der vergangenen Saison gewann er 183 Kopfballduelle, er landete damit auf Platz zwei der betreffenden spezifischen Bundesligatabelle, hinter dem Bochumer Philipp Hoffmann (269), der ein Spiel mehr bestritt (34) als Behrens.

Eine Einladung zum Nationalteam? "Damit beschäftige ich mich absolut überhaupt nicht", sagt Behrens

Diese Zahl wirkt einigermaßen überraschend, weil Behrens die Vorsaison auf der Bank begonnen hatte, gesetzt war zunächst der Sechs-Millionen-Euro-Zugang Jordan Siebatcheu (von Young Boys Bern). Aber je länger die Saison dauerte, umso besser harmonierte Behrens mit Sheraldo Becker. Am Sonntag, beim 4:1 gegen Mainz, stahl Behrens aber zwei anderen Union-Spielern die Show: den bereits im DFB-Team erprobten Zugängen Robin Gosens (Inter Mailand) und Kevin Volland (AS Monaco). Das Gefühl, von Behrens überstrahlt zu werden, teilten die beiden prominenten Neuen mit Unions Torwart Fredrik Rönnow, der gegen Mainz zwei von Ludovic Ajorque getretene Elfmeter festhielt. Auch das war ein Bundesliga-Novum, zumindest in diesem Jahrtausend.

Doch alles kreiste um Behrens - am Ende auch um die Frage, ob er sich selbst Chancen für eine Berufung durch Bundestrainer Hansi Flick ausrechne. "Damit beschäftige ich mich absolut überhaupt nicht", sagte Behrens. "Ich versuche hier meine Leistung zu bringen, weiter Gas zu geben, Tore zu schießen, weiter Spaß an der Sache zu haben. Was dann kommt, wird man sehen oder halt auch nicht." Andererseits: So viele Typen, die an einst weltweit Schrecken verbreitende Kopfballungeheuer erinnern, hat der deutsche Fußball derzeit nicht zur Verfügung. Und dann ist ja da noch die Fred-Rutten-Maxime: Ein Stürmer, der Tore schießt, schießt immer Tore. Egal wo. Gemäß dieser Logik vielleicht auch bei einer EM, wie sie 2024 in Deutschland ansteht.

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