Kenias Marathon-Abschneiden:Hinein in die nächste Niederlage

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Beim olympischen Marathon gewinnen Kenias erfolgsverwöhnte Läufer Silber und Bronze, in der Heimat gilt das Verpassen von Gold als Enttäuschung. In London haben die kenianischen Athleten die hohen Ansprüche ihrer Landsleute verfehlt - das beschäftigt in der Heimat sogar das Parlament.

Thomas Hahn, London

Abel Kirui schaute aus müden Augen. Er sah das Ziel und er sah einen Mann mit Fahne. Aber es war kein Mann mit kenianischer Fahne, es war Stephen Kiprotich aus Kapchorwa in Uganda, der beim Marathon der Londoner Spiele lange in seinem Rücken gelaufen war.

Zwei Kenianer, die sich Stephen Kiprotich (l.) geschlagen geben mussten: Wilson Kipsang Kiprotich (m.) und Abel Kirui (r.).  (Foto: AP)

Abel Kirui und sein kenianischer Landsmann Wilson Kipsang Kiprotich hatten auf der zweiten Hälfte der 42,195-Kilometer-Strecke das Tempo bestimmt, sie setzten sichere Schritte, und im Grunde war es nur eine Frage der Zeit, bis Stephen Kiprotich das Tempo nicht mehr würde mithalten können, zumindest erschien es so.

Bei Kilometer 35 sprengte Wilson Kipsang Kiprotich davon. Aber er entkam nicht. Zwei Kilometer später war plötzlich Stephen Kiprotich vorne, und der hatte sich nicht überschätzt. Die Kenianer eilten ihm hinterher, aber sie bekamen ihn nicht mehr, und wenig später lief also Kirui, der zweimalige Weltmeister, aufs Ziel an "The Mall" in der Londoner Innenstadt zu und stand wenig später mittendrin in der nächsten Niederlage der Laufnation Kenia am letzten Tag der Olympischen Spiele.

Abel Kirui und Wilson Kipsang Kiprotich haben später erklärt, sie seien glücklich mit ihrer Silber- bzw. Bronze-Medaille. Sie gratulierten ihrem Bezwinger herzlich. "Ich freue mich wirklich für ihn", sagte Wilson Kipsang Kiprotich über den Gewinner, "in jedem Wettkampf gewinnt immer der beste." - "Er ist unser Bruder", sagte Kirui, "er war entschlossen auf der gesamten Strecke." Und dass sich der Rennausgang einfügte in ein ganzes Negativ-Szenario, das Kenias Läufer in London erlebten, wollte Wilson Kipsang Kiprotich nicht stehen lassen. "Bei diesen Spielen war die Leistungsdichte sehr hoch. Wer besser vorbereitet ist, gewinnt. Das ist der Wettbewerb. Heute gewinnst du, morgen gewinne ich. Das ist kein Problem."

Schön, wenn Sportprofis so ein entspanntes Verhältnis zu ihren Niederlagen haben. Trotzdem nehmen die Kenianer daheim das olympische Abschneiden ihrer erfolgsverwöhnten Läufer als Niederlage wahr. Elf Medaillen bei nur zwei goldenen entspricht eben nicht Kenias Ansprüchen. 2011 bei der WM in Daegu hatte Kenia noch Platz drei im Medaillenspiegel belegt mit 17 Plaketten insgesamt und sieben Mal Gold. Das Parlament in Nairobi diskutierte über den Rückschritt und unter Medienvertretern kursiert die alte Kritik am kenianischen Läufer-Wildwuchs. Der Verband habe keine Kontrolle über die Profis und deren ausländischen Manager.

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Immerhin passt die Niederlagenserie nicht so richtig zu den Berichten über das Thema Doping in Kenia, welche zuletzt der deutsche Sender ARD angefertigt hat. Oder vielleicht doch? Oder hat das eine mit dem anderen gar nichts zu tun? Es bringt wenig, darüber zu spekulieren, es ist ohnehin kaum zu bestreiten, dass Kenia ein Doping-Problem hat wie andere Länder auch; auch wenn der Kenya Athletics es natürlich tut. Es ist immer ein Missverständnis gewesen, dass der Verweis auf die natürlichen Vorteile von Kenianern im Langstreckenlauf bedeuten sollte, dass Doping überhaupt kein Faktor sei in der Laufnation.

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Dopingmittel sind in Kenia nach ARD-Berichten leicht zu beschaffen, offensichtlich machen korrupte Ärzte aus der unerlaubten Leistungssteigerung ein Geschäft. Der Einfluss europäischer Manager muss auch nicht immer der beste sein. Außerdem herrscht in Kenia ein atemloser Konkurrenzkampf um die besten Plätze. Die Leistungsdichte ist so hoch, dass gerade die Ausscheidungsrennen um die Olympia-Teilnahme zu Wettkämpfen wurden, die fast härter waren für die Teilnehmer als Olympia selbst.

Da würde es nicht verwundern, wenn mancher kenianischer Läufer in der Hoffnung auf Ruhm und Reichtum, die pharmakologische Abkürzung sucht. Zumal das Anti-Doping-System in Kenia kaum greift. Ob Kenia eine Anti-Doping-Agentur hat? Da muss Gabriel Dollé, Chefmediziner des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, erstmal seufzen. "Ich habe gehört, dass sie eine haben, aber ich weiß nicht, ob sie wirklich arbeitet."

Die IAAF hat ein ehrgeiziges Bluttestprogramm aufgesetzt, bei dem die Fahnder Blut- und Hormonprofile von Athleten auf verdächtige Veränderungen überprüfen. Aber in Kenia ist das Programm schwer umzusetzen. Die Blutproben müssen nach strengen Vorschriften transportiert und binnen 36 Stunden analysiert werden. Das ist in Ländern mit hohen Temperaturen und ungünstiger Infrastruktur hart. "Es ist natürlich sehr schwierig, das in Kenia sicher zu stellen", sagt Dollé. Die IAAF versucht dem Problem zu begegnen, indem sie die Läufer bei ihren Auslandseinsätzen testet.

Stephen Kiprotich, 23, verbringt die meiste Zeit des Jahres in Kenia, in Eldoret, beim Trainieren. Einen leidenschaftlichen Appell hat er nach seinem Erfolg an die Behörden in Uganda gerichtet, weil dort Trainingsmöglichkeiten fehlen. "Das Problem hat mich nach Kenia gebracht", sagt Stephen Kiprotich.

© SZ vom 13.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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