Karlsruhes Sieg gegen St. Pauli:Beste PR aus der Provinz

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Wo rohe Kräfte einst gewaltvoll walteten: Karlsruhe (links Fabian Schleusener) und St. Pauli (Jackson Irvine) zelebrieren Fußball nach moderner Lehre. (Foto: Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

So bunt wie eine gut sortierte Eisdiele am heißesten Tag des Jahres: Das Karlsruher 2:1 gegen St. Pauli unterstreicht die spielerische Attraktivität der zweiten Liga.

Von Christoph Ruf

Natürlich hat auch Christian Eichner seinem Kollegen Fabian Hürzeler am späten Samstagabend schon mal öffentlich zum Aufstieg gratuliert. Überrascht hat das nur insofern, als seinen Karlsruhern gerade ein 2:1-Sieg gegen den Tabellenführer gelungen war, was indes eher eine ärgerliche Randnotiz dieser Spielzeit bleiben dürfte. Zum einen, weil die Hamburger noch zwei, drei ihrer nächsten Spiele verlieren könnten und dennoch eine Klasse nach oben befördert werden würden. Zum anderen, weil sie ja auch am Samstag nachwiesen, dass sie das beste Team der Liga sind.

Überhaupt war das hochklassige Spiel beste Werbung für eine zweite Liga, die allerdings nichts weniger brauchen kann als zusätzliche Publicity. Schließlich geht es der Spielklasse derzeit wie einer gehypten Eisdiele am heißesten Tag des Jahres: Sie stößt jetzt schon an ihre Kapazitätsgrenzen. Der seit dem Umbau stimmungsvolle Wildpark war mit 33 000 Zuschauern selbstredend ausverkauft, insgesamt kommen sieben Klubs auf einen Zuschauerschnitt von über 35 000. Diese Liga zieht weit mehr Menschen an als die meisten ersten Ligen Europas, an einzelnen Spieltagen sogar mehr als die Bundesliga. Auch sportlich kann sie renommieren. Am Nachmittag hatte in Holstein Kiel der zweite designierte Aufsteiger beim 4:0 in Nürnberg bereits taktisch und spielerisch brilliert. Ein paar Stunden später zeigten Karlsruhe und St. Pauli, was aus einer Klasse geworden ist, die noch vor Kurzem als Sammelbecken für Klopper und Treter galt. Ganz anders die Teams, die von Eichner und Hürzeler und damit von zwei Typen mit ähnlichem Fußballverständnis trainiert werden. Beide bauen konsequent ihr Spiel von hinten auf, beide lassen den Ball zirkulieren und verfügen über Spieler, die das Fußball spielen beherrschen. Die Hamburger stünden "nicht umsonst auf Platz eins, die haben richtig gute Bälle von hinten heraus gespielt", sagte KSC-Verteidiger Sebastian Jung, der selbst zu den Klassenbesten gehört. Auch David Herold wollte nicht "drumherum reden, dass St. Pauli bald erste Liga spielen wird. Die spielen super Fußball. Wir sind aber auch eine gute Mannschaft und haben verdient gewonnen."

Trotz der Niederlage ist zu erkennen, warum St. Pauli aufsteigen wird

Tatsächlich zeigten die Hamburger am Samstag keines ihrer besten Saisonspiele, dazu agierten sie nach der frühen Führung durch Marcel Franke (2.) zu drucklos. Aber warum diese Mannschaft, der durch Jackson Irvine der zwischenzeitliche Ausgleich gelang (53.), aufsteigen wird, sah man halt doch fast durchgehend. Kein anderes Team ist so gut organisiert, keines lässt auch in höherem Tempo derart gelassen den Ball laufen. Die meisten Gegner stehen in dieser Spielzeit gegen St. Pauli also allein schon deshalb auf verlorenem Posten, weil sie kaum mal an den Ball kommen.

In Karlsruhe war das etwas anders. Denn der "externe Faktor", den Hürzeler bei der Spielanalyse als nachteilig fürs eigene Team benannte, übersah in Gestalt von Referee Michael Bacher zuerst ein elfmeterwürdiges Foul von Herold an Manolis Saliakas und stellte dann zu Unrecht Hauke Wahl vom Platz. Allerdings zeigte der KSC, für den Paul Nebel der Siegtreffer gelang (69.), dass Hürzeler recht hatte, als er den Gegner zuvor als "absolute Top-Mannschaft" bezeichnet hatte und ein fast noch größeres Lob folgen ließ: "Es macht Spaß ihnen zuzusehen."

Gleichermaßen engagiert und dem schönen Spiel zugewandt: Karlsruhes Coach Christian Eichner und St. Paulis Trainer Fabian Hürzeler (im Hintergrund). (Foto: Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Insofern dürften sich die Badener ärgern, dass sie in der Hinrunde so viele Gegentore kassiert haben. Schließlich gab es seit dem 13. Spieltag nur noch zwei Niederlagen, dafür aber 30 Punkte. Vor dem 2:1 gegen St. Pauli trugen nebst einem torlosen Remis auf Schalke 4:0-Siege gegen Kaiserslautern und Fürth sowie ein 7:0 gegen Magdeburg dazu bei, dass die Fans entzückt in den Wildpark strömen - und Trainer Eichner am Samstag leicht panisch wirkte. Schließlich hatte er mit einem Ohr gehört, wie seine Spieler in der Mixed Zone Fragen nach einem (rechnerisch eher unwahrscheinlichen) Aufstieg beantworten mussten. Da fühlte er sich angesichts der Tatsache, dass er ein Team mit dem zweit- oder drittkleinsten Etat der Liga verantwortet, genötigt, die Spaßbremse zu ziehen: "Glückwunsch an Karlsruhe zum Klassenerhalt, das sollte man mal erwähnen."

Erwähnen sollte man zudem, dass ein Aufstieg für das Team trotz des schicken Stadions zu früh käme. Denn die Badener holen gerade auf, was andere Vereine sich vor Jahrzehnten aufgebaut haben. Im Nachwuchs wird jetzt strukturierter gearbeitet, der Scoutingbereich ist zumindest schon in diesem Jahrhundert angekommen, nachdem dort bis vor einem Jahr noch mit Stift, Zettel und guten Tipps von nicht immer guten Spielerberatern gearbeitet wurde. Und tatsächlich wird es in der kommenden Saison auch wieder eine U23 geben. Die spielte 2018 eine Klasse höher, als die damalige Führung die bestechende Idee hatte, die höchste Nachwuchsmannschaft abzumelden, um Geld zu sparen. Als "Ausbildungsverein" verstand man sich schon damals, erst jetzt wird der Anspruch mit Leben gefüllt: Bayern-Leihe Herold soll im Sommer fest verpflichtet werden, dem zwölf Jahre älteren Philip Heise hat der 21-Jährige den Stammplatz schon abgeluchst. Auch drei Spieler aus der U19 kamen bereits zum Einsatz. Routiniers wie Lars Stindl oder Jerôme Gondorf, beide 35, hören hingegen im Sommer auf. Gelingt dann der Umbruch, ist von dieser Mannschaft noch etwas zu erwarten. Vielleicht der nächste Schritt in Richtung erste Liga. Ganz sicher aber: guter Fußball.

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