Kanu-WM in Duisburg:Der goldene Schnitt im Boot

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Weltmeister an der Wedau: Der Vierer in der Besetzung Max Rendschmidt, Max Lemke, Jacob Schopf und Tom Liebscher-Lucz (von rechts) siegt im Schlussspurt. (Foto: Siegfried Dammrath/Imago)

Wie der Kajak-Vierer, das Flaggschiff des Deutschen Kanu-Verbands, bei der Weltmeisterschaft in Duisburg seinen Flow wiederfand.

Von Barbara Klimke

Schlagrhythmus, Paddelfrequenz, Eintauchwinkel - von solch komplizierten Dingen ist oft die Rede, wenn es darum geht, wie schnell ein Mannschaftskanu durchs Wasser rauscht. Manchmal ist der entscheidende Faktor aber auch verblüffend simpel, wie sich diese Woche bei der Weltmeisterschaft in Duisburg zeigte: Da haben es die vier Männer im Boot einfach mal mit Sitzplatztausch probiert - und sind an der Wedau Weltmeister geworden.

Es ist kein garantierter Erfolg gewesen: Denn der Kajak-Vierer, wahlweise auch als Goldvierer, als Paradeboot oder als Flaggschiff des Deutschen Kanu Verbands (DKV) bekannt, war in den vergangenen Monaten auf Schlingerkurs geraten: "Wir waren nicht richtig schlecht, aber auch nicht so richtig gut", hat Max Rendschmidt, 29, der Schlagmann, am Rande der WM erzählt. Zwar schaffte es der Vierer, das Olympiasiegerboot von Tokio und von Rio, weiterhin in die Endläufe bei den großen Regatten, aber im Ziel nach 500 Metern schipperte er oft eine halbe oder ganze Bootslänge hinterher. Platz fünf nur stand etwa bei den Europaspielen in Krakau zu Buche: ein Rätsel für die erfahrene, hochdekorierte Crew mit Rendschmidt, Tom Liebscher-Lucz, Jacob Schopf und Max Lemke. Vom Schlussspurt, der großen taktischen Stärke des Teams, war vom Ufer aus kaum noch etwas zu sehen. "Der Flow fehlte", sagte Rendschmidt zur Erklärung: "Wir hatten uns aus auf der Strecke immer so auspowern müssen, dass an einen Endspurt gar nicht zu denken war."

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Der Flow, das ist ein für Laien schwer zu greifendes Konzept, halb Triebfeder, halb Wassergeist. Kanuten umschreiben es am ehesten mit dem Begriff Intensität. Man kann das spüren, sagt Rendschmidt, "wenn man das Paddel ins Wasser taucht, und das Boot schießt nach vorn".

Was folgte, war eine Grübel- und Tüftelphase. Dann kam Cheftrainer Arndt Hanisch in Absprache mit der Crew zu einer möglicherweise naheliegenden, aber sieben Wochen vor der WM, bei der es auch um Olympiaquotenplätze ging, auch reichlich riskanten Idee: Tom Liebscher-Lucz, der bis dahin an Position zwei hinter Rendschmidt der Kommandant des Vierers war, rückte ans Ende des Boots. Und der schnellkräftige Max Lemke, eher Typ Sprinter, wechselte von hinten nach vorn. Sie probierten es aus auf dem Wasser und merkten, "wie der Schlag durch Wasser geht, wie der Druck von hinten kommt", sagt Rendschmidt: Da war er wieder, der Flow.

Tom Liebscher-Lucz passte kaum ins schmale Ende des Boots

Doch auch wenn die Maßnahme in der Rückschau leicht wie Stühlerücken klingt, barg sie mehr als nur ein Wagnis. Zum einen, sagt Rendschmidt, bringt so ein Tausch die labile Balance ins Schwanken: "Man hat fast ein neues Boot." Zu den Besonderheiten des Vierers gehört, dass der Druck und Zug, mit dem alle vier Kanuten ihr Paddel ins Wasser eintauchen, minutiös abgestimmt ist - noch dazu zeitlich minimal versetzt.

Und dann war da noch ein kleines Materialproblem. Tom Liebscher-Lucz ist größer als Max Lemke - und passte kaum ins schmale Ende des Gefährts, jedenfalls nicht so, dass er den Rumpf bequem drehen konnte. Also schritt der Bootsbauer FES zu einer Notmaßnahme - und legte hinten das Messer an. Das Boot wurde aufgeschnitten, aufgespreizt und binnen kürzester Zeit um zwei Zentimeter erweitert für Liebscher-Lutz, der nach dem WM-Sieg in Duisburg Trainer und Bootsbauern für ihre kreativen Lösungen dankte.

Denn als im Finale der Kommandant, diesmal Max Lemke, zum Schlussspurt rief, schoss der Vierer knapp vor den Booten aus Ungarn und der Ukraine rasant ins Ziel. "Ich dachte schon, wir hätten unser Sieger-Gen verloren", hatte Sportdirektor Jens Kahl vor den Endläufen gesagt. Nun hat der Verband 17 von 18 möglichen Olympiaquotenplätzen für Paris 2024 gesichert.

Nach Gold für den Vierer, nochmals Gold am Sonntag, dem Abschlusstag, für den Canadier-Zweier von Peter Kretschmer/Tim Hecker sowie das Mixed-Team Lena Röhlings/Jakob Schopf, nach insgesamt 15 Medaillen in fast Bootsklassen, darunter Bronze für Parakanutin Felicia Laberer in der Klasse KL3 und ebenfalls Bronze im Einer-Canadier über 1000 Meter für Sebastian Brendel, steht nun fest: Alles wieder im Flow.

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