Kanu-WM in Duisburg:Sie macht es einfach

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Weltmeisterin in der Zweitkarriere: Edina Müller in ihrem Kajak-Einer. (Foto: Rene Weiß/Eibner/imago)

Edina Müller ist berufstätige Mutter und zweimalige Paralympics-Siegerin - zu Lande und zu Wasser. Eine derartige Doppelbegabung ist ein Phänomen.

Von Barbara Klimke

Am Montag stand noch ein beruflicher Termin in Edina Müllers Kalender: Brandschutz, eine Veranstaltung im BG Klinikum, bei ihrem Arbeitgeber. Zwei Wochen Trainingslager in Kienbaum lagen hinter ihr, der erste WM-Lauf ist am Donnerstag geplant, aber Parakanuten sind keine Profisportler - nicht einmal Paralympicssieger. Und so hat Edina Müller ihr Boot in Hamburg einen Tag später verfrachtet und nach Duisburg transportiert.

Um genau zu sein, ist Edina Müller, 40, sogar zweimalige Paralympicssiegerin: In London 2012 gewann sie Gold im Mannschaftssport, im Rollstuhlbasketball, in Tokio 2021 triumphierte sie dann als Solistin im Einerkajak. "Sportlich war ich schon immer", sagt sie zur Erklärung, und eine gute Grundkonstitution erleichtere die Sache natürlich ebenfalls. Aber unter den 2000 WM-Teilnehmern aus 91 Nationen von Mozambique bis Mexiko, die bis Sonntag in Duisburg auf der Regattabahn paddeln, sind vermutlich wenige, denen Ähnliches gelang: zu Lande und zu Wasser. Selbst in einer so einladenden, inklusiven Sportart wie Kanu, die an der Wedau, wie im Statut seit 2010 festgeschrieben, Athletinnen und Athleten sowohl aus dem olympischen als auch aus dem paralympischen Bereich versammelt, sind derartige Doppelbegabungen ein Phänomen.

Als Testpilotin im eigenen Video

Edina Müller ist der Überzeugung, dass die Welt unendliche Möglichkeiten bereithält, mit und ohne Behinderung, und die Devise, nach der sie ihr Leben ausrichtet, erzählt viel über Neugier, Optimismus und Abenteuerlust, mit denen sie den Paddelsport eroberte: "Einfach machen!" Denn zu einem Zeitpunkt, an dem sich andere Sportlerlaufbahnen dem Finale nähern, im Alter von 30 Jahren, legte sie noch einmal von vorne los.

Im Rollstuhlbasketball hatte Edina Müller, die für den ASV Bonn und den Hamburger SV spielte, damals fast alles erreicht: EM-Titel, Paralympics-Gold mit dem Nationalteam, sogar eine US-Collegemeisterschaft mit der Auswahl der Universität von Illinois stand zu Buche. Als Diplom-Rehabilitationspädagogin arbeitete sie bereits beim BG Klinikum Hamburg, einem berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus, in ihrem "Traumjob", wie sie sagt. Und so begann sie nach dem Basketball ein Blog-Projekt, für sich und für ihre Patienten: "Die Idee", sagt sie, "war zu zeigen, dass es sich lohnt, Neues auszuprobieren, gerade für meine Patienten, die in der Phase sind, in der sie eine Behinderung erworben haben und gar nicht wissen, was sie noch können, was noch möglich ist."

Edina Müller ist querschnittsgelähmt, seit sie 16 Jahre alt ist, beim Einrenken eines Wirbels wurde das Rückenmark verletzt. Nun ging es ihr darum, "den Patienten die Angst zu nehmen" - indem sie sich in Videos, quasi als ihr eigener Testpilot, ins Unbekannte stürzte. Sie ging tauchen. Sie ging klettern - in einem Parcours, den man mit Begleitperson meistert. Sie mietete ein Hausboot. Und sie setzte sich in ein kippeliges Kajak, denn sie war schon vorher ein wenig mit ihrem Partner im Wanderkajak gefahren. Alles nach dem Motto: Einfach machen!

Klettern, tauchen, Hausboot fahren: Hat die Diplom-Rehabilitationspädagogin Edina Müller, hier 2022 Ball des Sports in Wiesbaden, alles schon ausprobiert. (Foto: Malte Ossowski/Sven Simon/Imago)

Dem Experiment folgte der Aufstieg zur einer der erfolgreichsten deutschen Parakanutinnen. Dank glücklicher Fügung, sagt sie, kam sie direkt zu Trainer Arne Bandholz, ehemals Nationalcoach, der sie auch heute noch betreut. Er beschaffte ihr ein Kanu und paddelte mit ihr auf die Alster, einen Winter lang, bis sie im April 2015 die Qualifikationsnorm für das Nationalteam meisterte - oder eher pulverisierte. 1:12 Minuten betrug die Mindestzeit für die 200-Meter-Strecke damals in den Anfängen des Parakanusports, der erst 2016 Aufnahme ins Programm der Paralympics finden sollte. Edina Müller unterbot die Norm prompt um flotte zehn Sekunden. "Ich kam damals im Grunde direkt von einer WM im Basketball", sagt sie, "ich war also in Form." Ein Jahr später wurde sie Parakanu-Welt- und Europameisterin.

Heute legt sie, je nach Wind und Wellen, die 200 Meter, noch immer die einzige Renndistanz für alle Para-Klassen, in etwa 53 oder 54 Sekunden zurück. Und wenn sie am Donnerstag in Duisburg lospaddelt, dann wird ein Duell mit ihrer ukrainischen Dauerrivalin Maryna Maschula erwartet, der sie in dieser Saison schon zweimal unterlag.

Kein Zugang zur Bundeswehr oder Bundespolizei wie die olympischen Kanuten

Für Parakanu-Bundestrainer André Brendel ist die WM an der Wedau ein tolles Schaufenster für den Sport, aber eben auch eine "Quotenplatzregatta", wie er sagt. Er hofft, dass seine zehn Athleten gleich fünf Teilnahmerechte für die Paralympics 2024 in Paris buchen: unter die besten Sechs im Finale zu kommen, würde reichen. Darüber hinaus wären "fünf Medaillen für das Team sensationell", sagt er und zählt neben Felicia Laberer (Startklasse KL3) und Lillemor Köper (VL1) auch die 40-jährige Goldkanutin Edina Müller, die in der Klasse mit der höchsten Einschränkung (KL1) antritt, zu den Kandidatinnen. "Edina ist eine der leistungsstärksten Sportlerinnen, die wir haben", sagt Brendel. Was ihn im Training noch immer oft erstaunt, ist das Tempo, in dem die Sporttherapeutin, inzwischen Mutter eines vierjährigen Sohnes, auf dem Wasser auch mit Leuten mit geringerer körperlicher Einschränkung mitzieht.

Zumal Edina Müller nach wie vor berufstätig ist. Das BG Klinikum, in dem sie ganztags angestellt ist, hat sie halbtags freigestellt für den Sport - eine großzügige Förderung, für die sie und ihre Familie sehr dankbar sind. Dass es im deutschen Parasport, anders als etwa in Ländern wie Großbritannien, keine Berufssportler gibt, bezeichnet Brendel, trotz der guten finanziellen Unterstützung durch Ministerien und Verbände, als eines der größten Probleme derzeit. "Wir haben leider keinen Zugang zur Bundeswehr oder Bundespolizei wie die olympischen Kanuten", sagt Edina Müller: "Wir sind auf die Unterstützung vom Arbeitgeber angewiesen." Und wenn kurz vor der WM noch ein beruflicher Termin in Hamburg ansteht, dann ist sie gern dabei.

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