Skispringer, so scheint es manchmal, befolgen eine ungeschriebene eiserne Regel: Ja nicht unbedingt siegen wollen. Und wenn dies doch insgeheim der sehnlichste Wunsch ist, dann dürfen sie diesen zumindest nicht äußern. Der Sieg ist zweitrangig, stattdessen geht es ihnen offiziell nur um den Sprung an sich, um die perfekte Fluglage, nur darum, alles zu geben und erst danach zu schauen, was dabei herauskommt. Auch Kamil Stoch sprach eine ganze Tournee lang in dieser Art. Erst kurz vor dem Ende änderte er den Auftritt: Er tat diesmal erst gar nicht so, als berühre ihn das alles nicht.
Manche Siege sind ja auch zu verlockend, sie sind zu selten zu erreichen, vielleicht ein einziges Mal in einem Springerleben. Stoch, immerhin schon 30 Jahre alt, eröffnete sich jetzt die Chance, den sogenannten Grand Slam der Tournee zu gewinnen, und Stoch wollte diesen vierten Titel im vierten Springen, er ging in die Offensive und hat ihn ziemlich mühelos erreicht.
Vierschanzentournee:Warum ein Skispringer wie ein Ballon schwebt
Wie gelingt es dem Athleten, so lange durch die Luft zu segeln? Wieso ist der Absprung das Entscheidende? Skispringen ist eine der komplexesten Sportarten - so geht es.
In einem Atemzug mit Sven Hannawald
Zwei Wirkungen hat dieser eigentlich inoffizielle Titel nun. Erstens zählt Stoch, der momentan kompletteste aller Springer, ab sofort zu einem sehr exklusiven Zweier-Klub gemeinsam mit dem Deutschen Sven Hannawald, dem das Kunststück 2002 gelang. Stochs Name wird nun also öfter mal mit dem skisprunghistorisch relevanten aber sperrigen Anhängsel "der 2018 alle Tourneespringen gewann" oder kurz "Grand-Slam-Gewinner" versehen. Doppel-Olympiasieger, zweimaliger Vierschanzengewinner und Gesamtweltcupsieger ist er auch. Das sperrige neue Anhängsel ist ihm aber vermutlich am liebsten.
Denn er weiß ja: Diese Viererserie zeugt von außerordentlichem Können - das ist die zweite Bedeutung dieses Erfolges. Sportler schätzen allgemein Serienerfolge wie den Gesamtweltcupsieg höher ein als einen einzigen Groß-Titel, der vielleicht auch durch Glück zustande kam. Stoch und Hannawald gelang etwas, an dem 64 weitere Aspiranten scheiterten.
Der Grand Slam ist deshalb ein Kunststück, weil die Schanzen, auf denen im Abstand von zwei Tagen gesprungen wird, sich stark unterscheiden. Stoch hatte mal etwas Glück, und er hatte mal widrigen Verhältnissen getrotzt, sich aber immer am besten auf neue Radien und Druckpunkte eingestellt: Auf der Rückenwindschanze in Oberstdorf, auf der weiten Fliegerschanze in Garmisch, auf der engen Springerschanze in Innsbruck und auf dem sehr geräumigen, breit streuenden Bakken von Bischofshofen. Wem das gelingt, der hat es verdient, langfristig ein wichtiger Teil der Wintersportgeschichte zu sein.