Juventus und der italienische Fußball:Die Verlobte ist wieder da

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Real geschlagen: Alvaro Morata und Juve-Spieler jubeln (Foto: REUTERS)

Im italienischen Fußball wird die Renaissance beschrien: Juventus Turin zieht ins Finale der Champions League ein. Tatsächlich ist dies kein Zufall, sondern das Produkt einer konsequenten Wiederaufbauarbeit.

Kommentar von Birgit Schönau

Italien ist das Land der Renaissance, seit ein paar Tausend Jahren erfindet man sich hier auf sehr soliden historischen Fundamenten immer wieder neu. Gerade stehen die Zeichen erneut auf Wiedergeburt, zaghaft zieht die Wirtschaft wieder an, und die Politik zeigt nach Jahrzehnten der populistischen Blockade tatsächlich so etwas wie Reformhunger. Auch im Fußball wird die Renaissance beschrieen - der Einzug von Juventus Turin ins Finale der Champions League scheint das Fanal dafür zu sein.

Tatsächlich ist die Juve mehr als ein Klub. Nicht von ungefähr lautet einer ihrer vielen Spitznamen "fidanzata d'Italia", Verlobte Italiens. Angeblich ist jeder vierte Italiener ihr Fan - ein Rekord in Europa. Gegründet wurde der Verein von einer Handvoll Gymnasiasten dort, wo im 19. Jahrhundert Italien zusammengeschmiedet wurde: in Turin. Seit mehr als 90 Jahren befindet sich der Klub im Familienbesitz - ein Weltrekord.

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Von Birgit Schönau

Die Agnellis sind als Inhaber des Fiat-Konzerns immer noch der größte privater Arbeitgeber im Land und gelten als heimliche Königsfamilie Italiens. Die Juve ist also nicht nur ein Symbol Italiens, sie ist auch eine Queen im alten Fußball-Europa. Dass sie manchmal ziemlich abgetakelt, ja halbseiden daherkam, von Skandalen umwittert, tat ihrer Aura offenkundig keinen Abbruch. Der Zwangsabstieg 2006 mit drei frisch gekürten Weltmeistern im Team war ein Trauma für ganz Italien, so wie sich das Land jetzt durch den Finaleinzug beflügelt sieht. Wer die Juve nicht liebt, sie sogar aus ganzem Herzen verabscheut, arbeitet sich trotzdem an ihr ab.

Gleichgültig wo der SSC Neapel, der AC Florenz, Inter Mailand oder der AS Rom auch antreten, ihre Fans stimmen überall Hassgesänge auf Juventus an. Unter den Barça-Anhängern in Berlin werden auch Italiener sein, die Kosten und Mühen nicht scheuen, um Juve verlieren zu sehen. Denn auch die leidenschaftliche Spaltung in Guelfen und Ghibellinen ist in Italien ewig.

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Doch klammheimlich ahnen alle, dass zur Wiedergeburt zwar sicher auch ein Quäntchen Glück gehört, vor allem aber Eigenschaften, die im modernen Fußball unabdingbar sind. Ein engagiertes, professionelles Management etwa, eine gewisse Weltoffenheit und ein langer Atem. Juventus verfügt wieder über all das, und es beginnt gerade, sich auszuzahlen. Natürlich ist dieser Finaleinzug kein Zufall, sondern das Produkt einer konsequenten Wiederaufbauarbeit. Genau wie der vierte Meistertitel in Serie und das nationale Pokalfinale am kommenden Mittwoch.

Spielen die Italiener jetzt also wieder oben mit? Das zu behaupten, wäre verfrüht. Einstweilen haben sie Europa von der Neuauflage eines spanischen Final-Derbys erlöst und die Ödnis eines "Euro-Clásico" Real vs. Barça verhindert. Und sie haben jene Klubs aus England und Frankreich überholt, die zwar über sehr viel mehr Geld verfügen, aber nicht unbedingt über mehr Know-how.

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Zu Hause in Italien geht es aber noch stockend voran mit der Fußball-Renaissance. Fünf Mannschaften der Serie A hatten es ins Viertelfinale der Europa League geschafft, des kleineren Europacup-Wettbewerbs, nur noch zwei ins Halbfinale. Dort scheiterte der AC Florenz mit Mario Gomez krachend am Titelverteidiger FC Sevilla. Und der SSC Neapel unterlag dem krassen Außenseiter aus Dnjepropetrowsk. Anstatt die Gründe für die Niederlage selbstkritisch zu analysieren - in 180 Minuten gelang den Neapolitanern nur ein Tor -, klammert sich die Klubführung an finstere Verschwörungstheorien. Etwa jene, Uefa-Chef Michel Platini habe als ehemaliger Juventus-Spieler absichtlich unfähige Schiedsrichter für Neapel abgestellt.

Solche Ideen gehören ins Mittelalter, nicht in die Renaissance.

Der Weg ist noch weit.

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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