Juventus in der Champions League:Aschenputtel klaut die Bälle

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Carlos Tévez (Mi.): 2013 nach Turin gewechselt, weil ihn sonst niemand wollte (Foto: dpa)
  • Juventus Turin kehrt mit einer kampfstarken Auswahl aus Unterschätzten und Verschmähten ins Finale der Champions League zurück.
  • Auch dort ist das Team gerne der Außenseiter, reist aber nicht "als Tourist" nach Berlin.
  • Statistiken und Tabellen zur Champions League finden Sie hier.

Von Birgit Schönau, Rom

Carlos Tévez sprach zu später Stunde aus, was alle fühlten, und er tat es sanft und bedächtig, ohne jede Spur von Revanchegelüsten. "Auf uns hat am Anfang der Saison niemand einen Cent gewettet", sagte der Argentinier, sorgfältig setzte er ein italienisches Wort an das andere. "Und jetzt stehen wir im Finale. Wir haben uns gegen Real Madrid durchgesetzt, weil wir die bessere Mannschaft sind." Juventus schlägt Real Madrid im Halbfinale der Champions League, das Aschenputtel triumphiert über die Königlichen. Setzt sich nach dem 2:1 zu Hause mit einem 1:1 im Bernabeu-Stadion durch. Zieht am 6. Juni in Berlin ins Finale gegen Barcelona. Italien gegen Spanien! Eine Überraschung.

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Tévez, 31, weiß genau, wie sich das anfühlt, wenn keiner mehr an einen glaubt. Wenn mediokre Konkurrenten vorgezogen werden, weil sie sich besser ins rechte Licht rücken können. Im Sommer 2013 war er für neun Millionen Euro von Manchester City zu Juventus gewechselt, weil ihn niemand sonst haben wollte. Und Juve nahm Tévez auch nur, weil sie sich die wirklich großen Namen nicht leisten konnten. Die Fans waren schockiert, als der Neue sich das Trikot mit der Nummer 10 überstreifte, denn das hatte zuvor ihr Idol Alessandro Del Piero getragen. Ein schöner Mann und eleganter Spieler mit dem Spitznamen "Pinturicchio", so hieß ein Maler der italienischen Renaissance.

Mit 29 Saisontoren steht Stürmer Tévez für die Juve-Renaissance

Von Tévez' Erscheinung und seinem Spiel ist niemand geblendet, keiner würde es zur hohen Kunst verklären. Seine harte Jugend in der Bronx von Buenos Aires ist ihm ins Gesicht geschrieben. Tévez ist ein Wühler, ein Kämpfer, ein Torjäger, der wirklich nach Toren jagt. Doch seine 29 Saisontreffer sind das Emblem der Juve-Renaissance, das Fundament für den vorzeitig gewonnenen vierten Meistertitel in Serie, den Finaleinzug im Italienpokal und jetzt auch noch in der Champions League. Niemand in Turin spricht das Wort "Triple" aus. Man will sich nicht lächerlich machen, indem man einen Finalsieg über Barcelona auch nur in Erwägung zieht.

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Tiefstapeln ist das Gebot der Stunde. Akribisch vorbereiten. Und hart arbeiten. So wie in Madrid. Carlos Tévez war vorne so gut wie nie zu sehen, er ließ sich tief ins Mittelfeld fallen, opferte sich hinten. Schweigend und verbissen wie Tévez rackerte auch Claudio Marchisio, der so damit beschäftigt war, die offensive Übermacht der Madrilenen zu stoppen, dass er seine eigene große Torchance nicht nutzen konnte. Und am wildesten von allen schuftete der Chilene Arturo Vidal.

Juves allgegenwärtiger Mittelfeldterrier mit der bizarren Frisur war der erfolgreichste Bälledieb auf dem Platz, er knurrte und bellte jeden an und biss sich überall durch. Schwer arbeitend sah man auch Kapitän und Torwart Gianluigi Buffon, der mit 37 Jahren deutlich älter ist als Real-Torwart Iker Casillas, 33, aber vollkommen unbestritten Juves Nummer eins. Gegen Cristiano Ronaldos Strafstoß (23.) hatte Buffon keine Chance. Real Madrid führte 1:0, es war die Quittung für Giorgio Chiellinis tapsiges Foul an James, aber auch für die erdrückende spielerische Überlegenheit der Gastgeber. So jedenfalls schien es zu sein.

Carlo Ancelotti hatte im Duell mit seinem Landsmann Massimiliano Allegri alle Mann nach vorne geschickt. Buffon und die Juve-Hintermannschaft sollten erst gar nicht zum Luftholen kommen. Eine gute halbe Stunde lang funktionierte das, allerdings brachten die Schauläufe von Ronaldo, Karim Benzema und dem konfusen Gareth Bale nichts ein: viel Lärm um nichts. Spätestens zur Pause hatten die Turiner kapiert, dass sie ihren Heidenrespekt wieder einpacken konnten. Bestimmt erklärte ihnen das Trainer Allegri, der im Unterschied zu Ancelotti noch lange nicht mit seinem Taktik-Latein am Ende war.

Auch Allegri, 47, ist ein Unterschätzter und Verschmähter. Nachdem Milan-Patron Silvio Berlusconi ihn vom Hof gejagt hatte, stieß er bei den Juventus-Fans auf lautstarke Ablehnung. Niemand mochte sich vorstellen, wie der leise, immer etwas langweilig wirkende Allegri den Temperamentsbolzen Antonio Conte ersetzen sollte, der schon als Spieler bei Juve erfolgreich war und als Trainer in drei Jahren eben so viele Meistertitel einfuhr. Allegri blieb entspannt und machte es besser. Zwölf Jahre lang war Juventus nicht mehr ins Finale gelangt.

Das entscheidende Tor aber gelang nicht dem Maestro Andrea Pirlo, den das Publikum im Bernabeu feierte, obwohl er bei diesem Spiel noch nicht mal im Verborgenen glänzte. Es gelang nicht dem Wühler Tévez, nicht dem Haudegen Vidal und auch nicht dem talentierten Franzosen Paul Pogba. Álvaro Morata übernahm das Präsent für die alte Dame, ein 22-jähriger Junge aus Madrid, ein besonders wohl geratener Zögling - von Real. Im Gewusel vor Casillas' Tor behielt Morata die Übersicht, stoppte den Ball mit der Brust und zog ab: 1:1. Kein Jubel!

"Aus Respekt vor dem Publikum", erklärte der Juve-Spieler - schließlich war er hier vor Jahresfrist noch zu Hause, bis Real ihn verstieß. Beim Hinspiel in Turin hatte Morata ebenfalls getroffen und war ebenso still geblieben: "Toreschießen ist meine Pflicht, und ich habe meine Pflicht getan." In der Kabine soll er dann lauthals Freudengesänge angestimmt haben. War ja auch schon Feierabend.

Die Schicht gegen Real hat sich für die Arbeiter aus Turin gelohnt, wie der gesamte Montageeinsatz in den Stadien Europas. So gut gefüllt wie heute war die von Präsident Andrea Agnelli gehütete Kasse noch nie. Und man ist ja noch nicht ganz fertig. "Wir fahren nicht als Touristen nach Berlin", hat Gigi Buffon angekündigt. Auf die Idee wäre aber auch niemand gekommen.

© SZ vom 15.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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