Julian Nagelsmann:Die Lehren des Zockers

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Am Samstag zu Gast in München: Julian Nagelsmann und seine Hoffenheimer. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Der Hype um den jungen Trainer Julian Nagelsmann von 1899 Hoffenheim lässt erstmals nach.
  • Dabei galt er vor kurzem noch als logische Lösung, wenn der FC Bayern einen neuen Coach sucht.
  • Er muss nun erstmal weiter in Hoffenheim wachsen.

Von Benedikt Warmbrunn

Julian Nagelsmann ist ein Mann, der die Geschwindigkeit sucht. Wenn er eine Mannschaft Fußball spielen lässt, dann am liebsten schnell und nach vorne. Wenn er selbst Sport macht, dann am liebsten auf seiner Elektro-Motocross-Maschine oder, noch besser, auf einem Mountainbike. Und wenn Julian Nagelsmann redet, dann jagt ein Gedanke den nächsten, der eine Witz toppt den anderen.

Diese Lust auf Geschwindigkeit hat sich auch die längste Zeit in Nagelsmanns noch junger Karriere bewährt. Mit der U19 der TSG Hoffenheim gewann der Trainer die deutsche Meisterschaft, die Profis des Klubs rettete er erst vor dem Abstieg, dann führte er sie in die Qualifikation zur Champions League. Und Nagelsmann war nicht nur als Trainer erfolgreich, sondern auch als Unterhalter. Wenn er eine Pointe unterbringen konnte, hielt er sie nicht zurück. Als er zum Beispiel im ZDF-Sportstudio saß, wurde er gefragt, ob ihn seine Freundin eigentlich noch sehe. Er antwortete: "Ja, sie sieht mich gerade im Fernsehen!"

Er wird die Bayern vermutlich so bald nicht trainieren

An diesem Samstag (15.30 Uhr) tritt Nagelsmann mit Hoffenheim beim FC Bayern an, bei dem Klub, gegen den er in drei Spielen mit der TSG sieben Punkte gewonnen hat. Doch das erste Mal trifft er mit etwas reduzierter Geschwindigkeit auf den Tabellenführer. Das liegt daran, dass Hoffenheim von den vergangenen zwölf Partien nur drei gewonnen hat, das Team ist Tabellenneunter, mit 20 Punkten Rückstand auf den FC Bayern. Zum anderen liegt es daran, dass Nagelsmann, auf den sich im Herbst die gesamte Fußball-Branche als nächsten Bayern-Trainer geeinigt zu haben schien, in der nächsten Saison voraussichtlich eines nicht wird: Trainer des FC Bayern. Zum ersten Mal in seiner noch jungen Karriere also spürt Nagelsmann, wie es sich anfühlt, wenn der Hype um einen selbst mal nachgelassen hat.

Wer sich im Umfeld der TSG über den Trainer umhört, der bekommt immer zunächst ein paar Minuten lang Schwärmereien zu hören. Dann geht es darum, dass Nagelsmann ein hervorragender Fußballtrainer sei, die meisten sagen: der beste Deutschlands. Kaum einer erkläre Taktik so verständlich, kaum einer gehe so gut auf die Befindlichkeiten der Spieler ein, kaum einer spreche so gut deren Sprache - zumal er, Nagelsmann, selbst nicht als Profi gespielt hat. Nie habe bei der TSG das Alter des Trainers eine Rolle gespielt, vom ersten Tag an sei da eine Autorität aufgetreten. Nach diesen Schwärmereien reden dann alle darüber, wie interessant es sei, einen Trainer beim Wachsen beobachten zu dürfen.

Nagelsmann ist 30 Jahre alt, für einen Bundesliga-Trainer ein unverschämt junges Alter. Er hat aber auch den Ehrgeiz, bereits in jungen Jahren viel zu erreichen. Als seine Karriere bei den Profis gerade startete, erzählte er manchmal, dass es sein Traum sei, sich als 40-Jähriger, spätestens als 50-Jähriger wieder zurückzuziehen. An diesen Zielen misst er sich auch selbst.

Nagelsmann weiß, dass er sich an einer Weggabelung befindet. Bleibt er bei der TSG, wird er weiter am Erreichen der Qualifikation zur Champions League gemessen werden. Das zu wiederholen, wird mit jedem weiteren Weggang schwieriger. Niklas Süle, Sebastian Rudy, Sandro Wagner - drei einstige Leistungsträger spielen nun für den FC Bayern. Im Sommer wechselt Mark Uth zum FC Schalke 04, auch Kerem Demirbay und Nadiem Amiri sind begehrt. Und so fürchtet Nagelsmann, berichten Menschen aus dem Umfeld der TSG, dass sein Ruf leiden könnte. Ganz genau verfolge er, wie gerade Domenico Tedesco gefeiert wird. Der Schalker Trainer ist fast zwei Jahre älter als Nagelsmann, er ist erst seit einem halben Jahr Bundesliga-Trainer, er war einst Nagelsmanns Nach-Nachfolger als Trainer der Hoffenheimer U19. Bei der Mannschaft also, die Nagelsmann einmal zur Meisterschaft führte und einmal ins Endspiel. Tedesco verlor mit der U19 acht von 20 Partien. Zurzeit allerdings steht Tedescos Mannschaft auf dem dritten Tabellenplatz. Nagelsmann ist auf diesen Erfolg nicht neidisch. Er hätte nur gerne ähnliche Arbeitsbedingungen.

Er wolle sich darauf konzentrieren, "hier eine gute Arbeit abzuliefern", sagte Nagelsmann vor der Partie in München, angesprochen auf die Gerüchte um seine Zukunft. Nicht nur der FC Bayern hat ja seinen Weg aufmerksam beobachtet, sondern auch Borussia Dortmund. Am Donnerstag sagte der Trainer: "Ich werde mich zu keinem anderen Verein mehr äußern."

Es war ein Satz, der für einige in Hoffenheim ein bisschen zu spät kam.

Als Trainer ist Nagelsmann auch ein Zocker. Das geht mal gut; er war einer der ersten, die wieder eine Dreierkette eingeführt haben. Mal geht es nicht so gut, zum Beispiel beim Rückspiel in der Champions-League-Qualifikation in Liverpool, als seine offensiv aufgestellte Mannschaft in elf Minuten drei Gegentore kassierte. In den vergangenen Monaten zockte er jedoch auch mit seiner beruflichen Perspektive.

Noch bevor der Job als Trainer des FC Bayern im Herbst frei geworden war, hatte sich Nagelsmann ins Gespräch gebracht. Er saß im roten Mantel auf der Tribüne der Münchner Arena. Er hatte gesagt: "Der FC Bayern spielt in meinen Träumen schon eine größere Rolle." Dann wurde in München Carlo Ancelotti beurlaubt - Nachfolger wurde Jupp Heynckes. Und nicht Nagelsmann.

Doch nachdem er sich ins Gespräch gebracht hatte, so wirkte es auf Beobachter, wollte er sich nicht selbst wieder aus diesem entfernen. Als es erstmals um einen Wechsel von Wagner nach München ging, war Nagelsmann der erste, der sich verständnisvoll äußerte. Danach sollen sich Spieler gefragt haben, warum das auf einmal so einfach gehe, den Klub zu verlassen. Und mancher in Hoffenheim fragte sich, ob da jemand um Verständnis für einen eigenen anstehenden Wechsel warb. Erst als TSG-Mäzen Dietmar Hopp signalisierte, dass er Nagelsmann nicht vor dem Sommer 2019 gehen lassen will (wenn dieser angeblich dank einer Ausstiegsklausel aus seinem Vertrag herausgekauft werden kann), fing der Trainer an, selbst etwas Tempo aus den Gerüchten zu nehmen - zunächst allerdings betont nüchtern: "Wenn Dietmar Hopp und Hansi Flick (TSG-Geschäftsführer, d. Red.) möchten, dass ich den Vertrag erfülle, dann erfülle ich den."

Nagelsmann wird wohl ein weiteres Jahr lang in Hoffenheim wachsen, ehe er selbst zu einem größeren Klub gehen kann. Bis dahin muss er das machen, was ihm am schwersten fällt: Er muss warten.

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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