Deutscher Judo-Bund:Trennung vom Bundestrainer in dürren Zeilen

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Wollte die Führungsebene mit seiner Entlassung eine kritische Stimme loswerden? Judo-Bundestrainer Richard Trautmann, hier bei der Einkleidung der deutschen Judoka für die Olympischen Spiele in Tokio Ende Juni in München. (Foto: Heike Feiner/Eibner/Imago)

Richard Trautmann war 17 Jahre lang Judo-Bundestrainer, seine Athleten holten Olympiamedaillen - nun muss er gehen. Ihm selbst und anderen ist der Vorgang ein Rätsel. Wollte der Verband eine kritische Stimme loswerden?

Von Frederik Kastberg

17 Jahre lang war Richard Trautmann Trainer im Deutschen Judo-Bund (DJB). Zuerst verantwortete er verschiedene Nachwuchsmannschaften, seit 2016 auch die A-Nationalmannschaft, mit der er im Laufe der Jahre um den halben Globus reiste. Viel Zeit für andere Sachen blieb da nicht. Das ist nun vorbei. Sein am Jahresende auslaufender Vertrag wird nicht verlängert. "Jetzt kann ich den Haushalt machen und mich um die Kinder kümmern", sagt der gebürtige Münchner am Telefon, während er seinen Sohn gerade zum Judotraining bringt. "Es gibt immer auch etwas Positives."

Trautmann, der als Kind bei seinem Heimatverein TSV Großhadern im Münchner Südwesten zum Judo kam, wohnt zurzeit mit seiner Familie in Polen, der Heimat seiner Frau. Er klingt relativ gelassen, doch eigentlich ist Trautmann enttäuscht - und sauer. Sauer auf einen Verband, dem er vorwirft, ihn ohne Gründe zu nennen vor die Tür gesetzt zu haben. Trotz der Erfolge bei den Olympischen Spielen in Tokio - Trautmanns Schützling Eduard Trippel holte Silber, hinzu kam Bronze im Mixed-Wettbewerb - ist am Jahresende Schluss. Schon jetzt ist der Olympiabronze-Gewinner von 1992 und 1996 von allen Aufgaben freigestellt.

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Mehr Fördergeld als je zuvor - aber so wenige Medaillen wie nie: Der deutsche Spitzensport bekommt in Tokio seine Schwächen aufgezeigt. Ein paar Konsequenzen liegen auf der Hand, aber mit Innovationen wird es schwierig.

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Wie Trautmann muss auch der U18Bundestrainer männlich, Bruno Tsafack, Ende des Jahres gehen. Auch er beklagt, dass ihm keine Gründe dafür mitgeteilt wurden. "Man wirft mir nichts vor", sagt er, "aber nach einer Analyse meiner Arbeit sei man zu der Entscheidung gekommen." Die Punkte der Analyse kenne er nicht. Was ihn besonders getroffen habe: Nach drei Wochen erschien auf der Homepage des DJB die Meldung, dass man sich von ihm getrennt hat. "Und das war das einzige, was man nach acht Jahren über mich schreiben konnte?", fragt er hörbar enttäuscht. Auch die Trennung von Trautmann war mit herzlichem Dank, aber in dürren Zeilen verkündet worden.

Auf dem Papier verantwortlich für die Entscheidungen ist Hartmut Paulat, Vorstand Leistungssport im DJB, was gleichbedeutend mit dem Job des Sportdirektors ist. Über die Gründe für die Entlassungen machen weder er noch Verbandspräsident Daniel Keller konkrete Angaben, aus arbeitsrechtlichen Gründen, wie sie schreiben, "und dieses gebietet auch unser Anspruch zum ordentlichen Umgang mit Arbeitnehmern". Man werde "aus vertraulichen Gesprächen nicht berichten", habe aber sowohl Trautmann als auch Tsafack die Gründe in persönlichen Gesprächen mitgeteilt. Beide bestreiten das.

"Die Gesamtsituation ist einfach nicht schön", sagt ein DJB-Mitarbeiter, es mangele an Respekt, Wertschätzung und Ehrlichkeit

Paulat und Trautmann kennen sich lange, "ein großer Fan war ich von diesem Mann nie", sagt der geschasste Bundestrainer. Paulat wurde vor einem Jahr zunächst als kommissarischer Sportdirektor berufen, nachdem Vorgänger Ruben Göbel den Posten räumen musste. Das war laut Trautmann der Moment, in dem sich im Verband Dinge änderten: "Die Trainer hatten das Gefühl, dass die Führungspersonen des Verbands nicht mehr uneingeschränkt hinter uns stehen."

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Ein Angestellter, der nicht namentlich genannt werden möchte, bestätigt der SZ diesen Eindruck und sagt: "Die Gesamtsituation im Verband ist einfach nicht schön." Es mangele der Führungsebene an Respekt, Wertschätzung und Ehrlichkeit. Auf der Mitgliederversammlung am 14. November sei sogar ein Misstrauensvotum gegen einzelne Präsidiumsmitglieder geplant. Begonnen habe alles mit der Neuwahl des Gremiums vor zwei Jahren.

Seitdem ist Daniel Keller Präsident des DJB. Ex-Sportdirektor Göbel habe man 2020 von heute auf morgen entlassen, sagt Trautmann, der mit anderen Trainerkollegen beim Präsidium anschließend um eine Erklärung bat. "Wenn einer, mit dem man gut zusammengearbeitet hat, über Nacht entlassen wird, fragt man sich natürlich: Was passiert mit uns selbst?" Keller habe sie zu einer Sitzung einberufen, "in der er uns klar gemacht hat, wie die neuen Machtverhältnisse sind". Zwar habe der Präsident den Trainern versichert, dass sie sich keine Sorgen machen müssten, zumal für Personalentscheidungen der Sportdirektor zuständig sei. Allerdings, so behauptet es Trautmann, habe Keller in Paulats Beisein angefügt: "Aber natürlich ist es schon so, wenn das Präsidium zu der Auffassung kommt, dass der Vorstand die falschen Personen als Trainer ausgewählt hat", zitiert Trautmann den Präsidenten, "dann muss man sich natürlich die Frage stellen, ob das der richtige Vorstand ist." Soll heißen: Wenn das Präsidium den Trainer loswerden möchte, sollte der Vorstand entsprechend handeln - oder muss selbst die Koffer packen.

Dazu passt die Aussage eines DJB-Mitarbeiters, Paulat sei "eine Marionette des Präsidiums". Keller hat sich auf Nachfrage nicht zu dieser Schilderung geäußert, gegenüber der SZ hat ein weiterer Teilnehmer der Sitzung den Wortlaut der Aussage aber bestätigt. Mit dem unguten Gefühl, nur noch Trainer auf Abruf zu sein, sei Trautmann damals nach Hause gefahren.

Trautmann und der Vorstand waren sich uneinig über die strategische Ausrichtung des Verbands

Nach den Olympischen Spielen musste der Vorstandsposten, den Paulat bis dato kommissarisch besetzt hatte, neu ausgeschrieben werden. Trautmann, der mit der Führung Paulats in vielen Punkten unzufrieden war, sah seine Chance gekommen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, statt sich ständig zu ärgern - und bewarb sich. "Damit war ich in Konkurrenz zum Herrn Paulat, der sich natürlich auch offiziell beworben hat", sagt Trautmann.

Im Vorstellungsgespräch für den Job sei klar geworden, dass es zwischen Präsidium und Trautmann unterschiedliche Vorstellungen gibt. Er kritisierte etwa, dass das Präsidium für die strategische Ausrichtung verantwortlich ist und nicht Sportdirektoren und Trainer. "Ich halte es für sinnvoll, dass über Leistungssport nicht Leute entscheiden, die selbst nie Leistungssport gemacht haben", sagt er, "sondern Leute, die in dem Job seit vielen Jahren arbeiten." Trautmann forderte mehr Mitspracherecht. Außerdem eckte er mit dem Wunsch an, alle männlichen Kaderathleten an einem Standort zu versammeln und nicht länger über sechs Stützpunkte in ganz Deutschland zu verteilen.

Dass Trautmann andere Vorstellungen zur Ausrichtung des Verbands hatte, war bekannt. Dass er sich damit "nicht nur Freunde" gemacht hatte, ebenso. Wollte die Führungsebene mit seiner Entlassung also eine kritische Stimme loswerden?

"Ich weiß es nicht", sagt Trautmann, "aber ich weiß, dass es zu diesen Themen keine einheitliche Auffassung gibt." Paulat, der sich wie auch Keller nicht zu dem Vorwurf äußerte, wurde schließlich im Amt bestätigt. Zwei Tage später teilte er Trautmann mit, dass sein Vertrag nicht verlängert wird. "Personalentscheidungen sind immer herausfordernde Aufgaben", die Gemüter bewegten, schreibt Präsident Keller, der Vorstand genieße "dabei das volle Vertrauen des Präsidiums". Und: Man sei "dankbar für jegliche Kritik", denn diese helfe bei der Verbesserung des Verbands. Aus dem Verband heißt es, dass Trautmann gehen musste, "weil er unangenehm ist und seine Meinung sagt".

Zu den Vorwürfen, es habe Kommunikationsprobleme gegeben, sagt Trautmann: "Das ist ja kein Kuschelzoo."

Trautmann selbst weiß aber auch, dass hinter vorgehaltener Hand auch noch andere Dinge ausgesprochen wurden, die vielleicht zu seiner Entlassung beigetragen haben könnten. Er habe den Kontakt zur Mannschaft verloren, heißt es da etwa, oder auch, dass man mit ihm nicht reden könne. Von Kommunikationsproblemen ist die Rede. Dazu sagt Trautmann, er habe zu seinen Athleten immer ein professionelles, teils freundschaftliches Verhältnis gehabt, Gespräche seien immer möglich gewesen. Gleichzeitig betont er aber auch, "dass die Athleten eine Begründung liefern müssen, wenn sie eine Planänderung haben wollen". Einige seien nicht gewohnt gewesen, um ihre Position kämpfen zu müssen. "Das ist ja kein Kuschelzoo", sagt Trautmann. Die Reaktionen der Athleten auf seinen Rauswurf seien dann auch sehr gemischt gewesen.

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Die Bronzemedaille für Anna-Maria Wagner im Halbschwergewicht ist ein weiterer Beleg dafür, dass der deutsche Verband eine intakte Mannschaft in die Judo-Hauptstadt Tokio geschickt hat. Das soll sich auch im Team-Wettbewerb auszahlen.

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Da Trautmann bislang keine Abfindung erhalten hat, hat er einen Anwalt eingeschaltet. Er hofft, die Angelegenheit außergerichtlich klären zu können. Immerhin: Um eine Sache muss sich der ehemalige Bundestrainer nun nicht mehr kümmern. Sein Nachfolger Pedro Guedes muss den Kader zum Ende des Jahres kräftig ausdünnen, Trautmann spricht von zehn bis 14 Athleten, die ihren Platz verlieren werden, unter anderem um Platz für junge Athleten zu machen. "Das ist eine undankbare Aufgabe, die mir auch keinen Spaß gemacht hätte", sagt Trautmann. Sie ist ihm nun abgenommen worden.

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