Jonas Hector im DFB-Team:Romantik hinten links

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DFB-Linksverteidiger Jonas Hector. (Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)
  • Jonas Hector ist als Linksverteidiger im DFB-Team gesetzt.
  • Seine Entscheidung, auch in der zweiten Liga für den 1. FC Köln zu spielen, brachte ihm viel Respekt ein.
  • Doch die Entscheidung könnte in Zukunft seinen Platz im DFB-Team gefährden.

Von Sebastian Fischer, München

Als er das schönste Kunststück vollendet hatte, das ihm in seinem Leben als Fußballprofi bisher gelungen war, sah Jonas Hector selbst ein wenig verblüfft aus. Er hatte sich durch zwei Gegner hindurch gewunden und einmal um sich selbst gedreht, den Ball wie mit Klebstoff an der Innenseite seines Fußes befestigt, so dass es wie früher beim Holländer Dennis Bergkamp aussah. Er hatte den Ball dann nahe der Grundlinie über den Torhüter hinweg ins Tor gelupft, wie einst der Spanier Raúl. Und dann lief der deutsche Nationalspieler Hector im Trikot des Absteigers 1. FC Köln zu den Fans, die Faust geballt, im Gesicht so etwas wie erstaunter Stolz: So gut bin ich also. Man kann das schon mal vergessen, wenn man zu jenen Fußballern gehört, die sich dessen nicht ständig abseits des Rasens vergewissern.

Bei einer Weltmeisterschaft geht es für jeden Fußballer um Ruhm und Ehre, aber auch auch darum, seinen eigenen Marktwert zu erhöhen. Hector weiß jetzt schon, dass sein Marktwert demnächst sinkt, er ist von der kommenden Saison an nur noch Zweitligafußballer. Wer die WM im Fernsehen schaut, sieht Dutzende Spots, in denen die Spieler für Shampoo, Chips und Autos werben, sogar der vor dem Turnier ausgemusterte Leroy Sané ist vertreten. Hector eher nicht. Wer die WM in den sozialen Medien verfolgt, sieht Jérôme Boateng beim Training oder im Hip-Hop-Video, Thomas Müller beim Gewichte ziehen. Hector hat keinen offiziellen Kanal.

Warum Hector in Köln blieb

Jonas Hector, 28, hat in den Tagen vor der WM wie alle anderen Nationalspieler über Taktik und Formkurven geredet, auch über sein Tor am letzten Bundesligaspieltag gegen Wolfsburg, inzwischen zum schönsten der Saison erkoren. Er erklärte es damit, im Gefühl des feststehenden Abstiegs vom Druck befreit gewesen zu sein. Doch meistens sollte er darüber sprechen, wie er vielen Fans in Deutschland den Glauben an das Gute und Ursprüngliche im Fußballgeschäft erhielt.

Hector, heißt es, lag ein Angebot von Borussia Dortmund vor. Beim BVB hätte er in der kommenden Saison in der Champions League gespielt. "Ich brauche keine Champions League", sagte er, und dass ihm Gefühl wichtiger sei als Geld, dass er sich in Köln mit seiner Freundin wohlfühle. Er erzählte beispielhaft, wie er schon als Jugendlicher lieber mit seinen Freunden beim SV Auersmacher zusammenspielte, als zum großen, benachbarten 1. FC Saarbrücken zu wechseln. Ein anderer Verein sei nie ein Thema gewesen. "Ich hab geguckt: Bin ich glücklich, wie es ist? Das ist der Fall. Deshalb wollte ich an der Situation nichts ändern", sagte er.

Hectors Geschichte vom Amateurfußballer zum Nationalspieler ist spätestens seit der EM 2016, seinem ersten Turnier, hinlänglich bekannt, auch wenn er sie selbst nicht sonderlich gerne erzählt oder vermarktet: mit 20 noch Oberligakicker im Saarland, dann Regionalligaspieler in Kölns zweiter Mannschaft, Zweitligaprofi, Bundesligaprofi, Nationalspieler. Es ist eine Geschichte, wie sie Fußball-Romantikern gefällt, obwohl Hector beim FC natürlich auch sehr viel Geld verdient.

"Es ist nicht so, dass wir nur über Uhren, Häuser und Autos reden"

Doch dass er nach seiner Entscheidung, mit dem Klub in die zweite Liga zu gehen (manifestiert in einer vorzeitigen Vertragsverlängerung bis 2023), derart überhöht wurde, gar von der früheren saarländischen Ministerpräsidentin und CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer gepriesen wurde, erstaunte Hector. Er will kein Sittenwächter unter karrierefixierten Fußballern sein. "Ich versuche, mit mir im Reinen zu sein. Aber jeder hat seine Denkweise, jeder hat seinen Anspruch, jeder hat seine Ziele", sagt er, wenn man ihn nach Spielern fragt, die Transfers erpressen und nach materieller Gier im Geschäft. Er sagt: "Es ist nicht so, dass wir nur über Uhren, Häuser und Autos reden."

Es gibt natürlich auch die andere Sichtweise auf Hectors Entscheidung. Jene, dass er seinen Platz in der Nationalmannschaft gefährde. Auf der Position des Linksverteidigers ist Hector zwar unangefochten - 38 Mal hat er seit der WM in Brasilien im DFB-Trikot gespielt, so oft wie niemand sonst -, aber deshalb nicht unumstritten. Er, der in Köln auch mal offensiver auf dem linken Flügel oder im defensiven Mittelfeld spielte, sah insbesondere im ersten von zwei WM-Testspielen nicht gut aus, beim 1:2 gegen Österreich stand er sogar bei beiden Gegentoren falsch. Deutschland ist auf jeder Position mit einem Fußballer besetzt, der in der nächsten Saison im Europapokal spielt, Bayern München, Madrid, Turin, London, Paris, Dortmund, Leipzig. Nur links hinten verteidigt ein Zweitligaspieler. Funktioniert das?

Er wisse um die möglichen Konsequenzen seiner Entscheidung in der Zukunft, sagt Jonas Hector - was seinen Stammplatz unter Joachim Löw betrifft. Doch in Russland ist er sich seiner wichtigen Rolle gewiss. Er habe auch im Kreise der Nationalmannschaft viel Zuspruch erhalten für seine Entscheidung, in Köln zu bleiben. Er habe viel Spaß daran, beim DFB mit mehr Ballbesitz zu spielen, anders als beim FC. Und er habe sich gut erholt von der schwachen Saison in Köln. Außerdem, sagt er, "bin ich bis zum 1.7. noch Erstligaspieler", zumindest laut Statistik. Und am 1.7. wäre ja immerhin die Gruppenphase schon mal überstanden.

© SZ vom 17.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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