Im Rückblick könnten manche sagen, dass eine gewisse Frisurenkontrolle dem deutschen Fußball gut getan hätte. Denn es stimmt ja: Beim Vokuhila eines Völler oder Littbarski wusste man nie, ob ein Friseur oder ein Automechaniker die Haare geschnitten hatte. Manchen Lockenschopf der Bundesliga hätte man kompetenter durchbürsten können. Und ob es wirklich nötig war, dass der junge Schweinsteiger die WM 2006 mit Irokesentolle bestritt, weiß dieser wahrscheinlich selbst nicht. Trotzdem haben die Kritiker nicht recht, denn um Schönheit geht es nicht beim Haareschneiden. Sondern um Freiheit, um Selbstverantwortung. Um das Recht, auch mal was zu machen, das andere falsch finden.
Insofern ist eine Nachricht aus dem japanischen Schulspitzensport ermutigend. Diese Woche ist dort die neueste Haar-Umfrage der Japan High School Baseball Federation herausgekommen, und zwar mit erstaunlich guten Werten für Langhaarige. Der Fachverband für Oberschul-Baseball im Inselstaat untersucht alle fünf Jahre, wie seine 3818 Mitgliedsschulen zu den Frisuren ihrer Baseballer stehen. 3788 Schulen antworteten diesmal, 2246 davon gaben an, keine besonderen Frisurregeln zu haben, lange Haare seien "akzeptabel". Also 59,3 Prozent!
14 Prozent der Schulen akzeptieren den Bürstenschnitt, den aufgeforsteten Bruder des Maschinenschnitts
Dem freiheitlichen Mainstream, der verschiedenste Haarfarben und Flechtkunstwerke gewohnt ist, kommt das sicher wenig vor. Aber für Japan ist das eine Sensation. Die Schulen dort stellen ihre Regeln selbst auf, viele sehen die Haare als Symbol der heimischen Kollektivgesellschaft. Schon ein Pferdeschwanz oder ein Braunton um die Schläfen kann hier als Verstoß gegen Japans Etikette gelten. Und die Haartracht der Baseballjugend ließen die meisten traditionell mittels Rasierapparat vereinheitlichen. Noch 2018 gaben 76,8 Prozent der Schulen an, ihre Teammitglieder sollten die Haare ganz kurz tragen.
Und jetzt sind es nur noch 26,4 Prozent. 14 Prozent lassen einen Bürstenschnitt gelten, den aufgeforsteten Bruder des Maschinenschnitts. Aber die Mehrheit ist toleranter geworden. Mehr Freiheit weht durch Japans Schulen. Schön. Oder auch mal nicht so schön - das muss man wissen, wenn man dem Frisieren keine Grenzen mehr setzt.
