DFB-Elf gegen Israel:Akzeptanz mit Grenzen

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Munas Dabbur (links) feiert ein Tor für Israel gegen Schottland in Glasgow. (Foto: Alan Rennie /Action Plus/Imago)

Zu Israels Nationalelf gehören auch Stammspieler arabischer Herkunft. Doch das Verhältnis erlebt Rückschläge - etwa, wenn sich Kicker wie Munas Dabbur politisch äußern. Wie steht es um den Fußball als Symbol der Annäherung und Einheit?

Von Ronny Blaschke, Berlin

Im September 2021 errang die israelische Fußball-Nationalmannschaft den eindrucksvollsten Sieg ihrer jüngeren Geschichte. Doch das 5:2 gegen Österreich in der WM-Qualifikation wurde überschattet. Im Sammy-Ofer-Stadion von Haifa buhten und schimpften Fans gegen Munas Dabbur, 29, einen ihrer talentiertesten Spieler. Rechtsextreme Politiker und nationalistische TV-Kommentatoren forderten gar den Ausschluss Dabburs aus dem Nationalteam. "Er hat einen Fehler gemacht und muss dafür bezahlen", sagte etwa Eyal Berkovic, früher selbst eine Größe im Nationalteam und unter anderem bei Manchester City aktiv. Diese Meinung ist in Israel auch heute noch verbreitet.

Die Feindseligkeit gegen Munas Dabbur hat ihre Wurzeln im Mai 2021. Abermals war es zu Kämpfen zwischen Israelis und Palästinensern gekommen. Die israelische Regierung startete eine Militäraktion im Gazastreifen, die radikalislamische Hamas feuerte Raketen auf Israel, fast 250 Menschen kamen ums Leben.

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Fußballer aus den großen Ligen solidarisierten sich mit den Palästinensern, zum Teil mit deutlichen Worten. Munas Dabbur veröffentlichte ein Foto der Al-Aqsa-Moschee, einer heiligen Stätte des Islam in Jerusalem, dazu ein Zitat aus dem Koran: "Denkt nicht, dass Gott die Taten der bösen Menschen ignorieren wird." Nationalisten legten ihm das als Unterstützung der Hamas aus. Dabbur wurde für zwei Spiele nicht ins Nationalteam berufen.

An diesem Samstag gastiert die israelische Auswahl zum Testspiel bei der deutschen Nationalelf, und zwar just im Stadion der TSG Hoffenheim in Sinsheim, wo der Stürmer Munas Dabbur seit 2020 unter Vertrag steht. Dabbur ist einer der erfolgreichsten arabischstämmigen Nationalspieler der israelischen Geschichte. Lange galt er als eine Symbolfigur für die Teilhabe der Muslime am jüdischen Staat. Rund 20 Prozent der Israelis sind arabischer Herkunft, sie haben im Schnitt einen höheren Lebensstandard als die Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen. Doch im Vergleich zur jüdischen Mehrheit stoßen sie häufiger auf Widerstände - bei Gesundheitsvorsorge, Bildung oder Jobsuche. Das Nationalstaatsgesetz von 2018 erklärte Israel zur "nationalen Heimstätte des jüdischen Volkes", Hebräisch zur alleinigen Nationalsprache, Arabisch wurde degradiert.

"Mit Hilfe des Fußballs können sich viele Israelis einreden, dass ihr Staat allen Menschen die gleichen Chancen bietet", sagt der Soziologe Tamir Sorek

Der Fußball vermittelte da ein Bild der Annäherung, nicht der Absonderung. In den vergangenen 20 Jahren ist die Zahl arabisch geprägter Mannschaften im israelischen Spielbetrieb gestiegen, zeitweilig waren es fünf Teams in der zweiten und zwei in der ersten Liga. In der Startelf der israelische Nationalmannschaft standen mitunter fünf oder sechs arabische Spieler.

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"Mit Hilfe des Fußballs können sich viele Israelis einreden, dass ihr Staat allen Menschen die gleichen Chancen bietet", sagt der Soziologe Tamir Sorek: "Die jüdische Öffentlichkeit unterstützt die arabischen Spieler, so lange sie erfolgreich sind und sich still unterordnen. Doch sobald die Spieler Kritik am System äußern, ist es mit der Akzeptanz vorbei."

Sorek beschreibt den Fußball im Nahen Osten als Ort der Begegnung, aber auch als Instrument der Kontrolle - seit Jahrzehnten. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten im britischen Mandatsgebiet Palästina zunächst jüdische und englische Teams den Fußball geprägt. Viele Araber sträubten sich gegen den "westlichen Import" Fußball. Der erste Fußballverband in der Region, gegründet 1928, nannte sein Nationalteam "Land of Israel" und nutzte zionistische Symbole, schreibt der palästinensische Sporthistoriker Issam Khalidi in seinem Buch "One Hundred Years of Football in Palestine".

Durch die Immigration jüdischer Flüchtlinge aus Europa während des Zweiten Weltkrieges fühlten sich viele Araber an den Rand gedrängt. Muslimische Politiker nahmen in einem Aufruf 1946 Lehrer und Sportler in die Pflicht: "Als Soldaten solltet Ihr auf dem Sportfeld viele Jahre aktiv sein". Die Gründung Israels 1948 und der Unabhängigkeitskrieg gegen arabische Nachbarstaaten stoppten die Sportkultur der Palästinenser.

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Issam Khalidi beschreibt den schmalen Grat der israelischen Behörden in den 1950er- und 60er-Jahren. Auf der einen Seite wollten sie Gründungen von arabischen Sportklubs in Grenzen halten, weil sie eine Mobilisierung von jungen Männern gegen den Staat fürchteten. Auf der anderen Seite duldeten sie Turniere in arabischen Dörfern, weil sie Fußball als weniger bedrohlich empfanden als Parteien. Viele Palästinenser deuteten auch Fußballer als "Widerstandskämpfer", etwa 1963 den ersten arabischen Profi in der israelischen Liga, Hassan Boustouni, bei Maccabi Haifa. Für den Durchbruch sorgte dann Rifaat Turk, der 1976 als erster arabischer Spieler ins israelische Nationalteam berufen wurde.

"Mit der Kommerzialisierung verschwammen die Grenzen", sagt der israelische Historiker Moshe Zimmermann, "die Profivereine wollten erfolgreich sein und suchten auch in arabischen Gemeinden nach Talenten." 1998 kamen vier der 16 Zweitligateams aus mehrheitlich arabischen Städten. Im Fußball hofften arabische Jugendliche auf den sozialen Aufstieg. Anders sah es im Basketball, Handball oder Schwimmen aus, noch heute sind arabische Israelis in diesen Sportarten unterrepräsentiert. In ihren Gemeinden fehlen moderne Hallen und Schwimmbäder.

Doch auch im Fußball gab es Rückschläge. Während der "Zweiten Intifada" kam es ab 2000 zu Gewaltausbrüchen zwischen Palästinensern und Israelis. Spiele in arabischen Dörfern wurden abgesagt oder von der Polizei kontrolliert. Im Mai 2004 stürmten israelische Truppen ein palästinensisches Flüchtlingslager im Gazastreifen, weil sie dort Terroristen vermuteten.

Zu jener Zeit gewann der FC Bnei Sachnin aus dem Norden Israels als erster arabischer Klub den nationalen Pokal. Der israelische Premierminister Ariel Scharon deutete den Sieg als Symbol für Vielfalt. Und Jassir Arafat, Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, sprach von "Stolz für die arabische Nation".

Der Kapitän des FC Bnei Sachnin, Abbas Suan, etablierte sich im israelischen Nationalteam. Aber wie andere Muslime, sagte er, müsse er mehr Leistung bringen, um von der jüdischen Mehrheit akzeptiert zu werden. Wie andere Muslime wollte er nicht die israelische Hymne "Hatikwa" mitsingen, da darin das Jüdische betont werde. "Suan sprach sich für einen unabhängigen Staat Palästina aus", erinnert der Nahost-Experte James M. Dorsey.

"Dafür wurde er auch im Gazastreifen und im Westjordanland gefeiert." Zum Beispiel von Jibril Rajoub, einem Multifunktionär und Politiker der palästinensischen Partei Fatah. Wegen Angriffen auf israelische Soldaten saß Rajoub in jungen Jahren in Haft. Als Präsident des palästinensischen Fußballverbandes forderte er mehrfach den Ausschluss Israels aus der Fifa.

Jüdische Nationalisten nehmen in Israel genau wahr, wer arabisch-israelische Nationalspieler wie Abbas Suan und Munas Dabbur vereinnahmt. Rechtsextreme Fans von Beitar Jerusalem mobilisieren immer wieder für Angriffe auf Araber, so auch vor gut einem Jahr nach der Eskalation im Gazastreifen. Auch deshalb melden sich Spieler selten mit politischen Botschaften zu Wort.

2018 entluden sich wieder einmal Spannungen im Nahen Osten. Zu jener Zeit bezwang Israel Guatemala 7:0. Der arabisch-israelische Profi Biram Kayal zitierte auf Instagram ein arabisches Gedicht, daneben stellte er ein schlichtes Foto der israelischen Startelf. Fünf der sieben Tore hatten arabische Spieler geschossen.

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