Französische Ligue 1:Der Rasen brennt

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Ausgetickt: Im Moment des feststehenden Abstiegs starten die St.-Etienne-Hooligans ihren Platzsturm. (Foto: JB Autissier/Panoramic/Imago)

Die Traditionsklubs und vielfachen Meister Girondins Bordeaux und AS St. Etienne stehen nach dem Abstieg vor den Scherben ihrer Existenz. Ob ihnen - wie ihren deutschen Pendants Schalke und Bremen - die direkte Rückkehr ins Oberhaus gelingt, ist fraglich.

Von Stefan Galler, Bordeaux/München

Die Szenen waren an Brutalität kaum zu überbieten: Ultras der AS St. Etienne warfen Dutzende brennende Bengalos in den Eingangsbereich des Kabinentrakts, jagten die Spieler, die eigenen und die gegnerischen. Der Rasen im Stade Geoffroy-Guichard brannte an mehreren Stellen, einige der Hooligans drangen sogar zu den Parkplätzen der St.-Etienne-Spieler im Inneren des Stadions vor - und demolierten deren Boliden.

Insgesamt 33 Verletzte, darunter 14 Polizisten, nannte die Präfektur Loire später in ihrer Schadensbilanz. Die Minuten nach dem Relegationsrückspiel, das gegen die AJ Auxerre im Elfmeterschießen verloren ging, krönten eine grotesk missglückte Saison der "Stéphanois" in unrühmlicher Weise. Zum wiederholten Mal benahmen sich die Anhänger daneben, weshalb der französische Rekordmeister, der zehn Mal den Titel gewann - ebenso oft wie neuerdings Paris St. Germain -, gewiss ohne Zuschauer und womöglich mit einem Punktabzug in seine erste Zweitligasaison seit 18 Jahren starten dürfte.

Bordeaux stand vor 26 Jahren mit Zidane und Lizarazu im Uefa-Cup-Endspiel

Dass in Girondins Bordeaux ein weiterer französischer Traditionsverein in der Zweitklassigkeit versinkt, könnte man als Parallele zum Bundesligafinale vor einem Jahr sehen: Damals verabschiedeten sich Werder Bremen und Schalke 04 aus dem Oberhaus, ein grüner und ein königsblauer Klub, die zusammen elf deutsche Meisterschaften errungen haben. Die Grünen von St. Etienne und die Marineblauen aus Bordeaux kommen gemeinsam sogar auf 16 nationale Titel. Allerdings ist ziemlich fraglich, ob es die heftig angeschlagenen Klubs ähnlich schnell wie ihre deutschen Pendants schaffen, den Betriebsunfall zu beheben. Denn in beiden Fällen haben Misswirtschaft und eine völlig verfehlte Kaderplanung den Niedergang zuletzt deutlich beschleunigt.

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Die einst so stolzen Girondins standen vor 26 Jahren mit Größen wie Zinédine Zidane und Bixente Lizarazu noch im Uefa-Cup-Finale gegen den FC Bayern. Kurz bevor die Scheichs aus Katar bei PSG einstiegen, wurde Bordeaux 2009 zum bislang letzten Mal Meister, mit einer Mannschaft ohne Stars, dafür mit Laurent Blanc als Trainer. Langsam und stetig ging es in den vergangenen Jahren dann bergab, zu fußballerischen Unzulänglichkeiten gesellten sich seit dem Frühjahr 2021 immense wirtschaftliche Probleme: Im Zuge der Corona-Pandemie gab der US-Hedgefonds King Street bekannt, dass er Bordeaux nicht mehr unterstützen werde. Die Amerikaner fordern nun jene fast 50 Millionen Euro zurück, die sie seit 2018 in den Klub geleitet hatten.

Keine glückliche Verbindung: Der frühere Schweizer Nationaltrainer Vladimir Petkovic (li.) scheiterte bei den Girondins, Präsident Gerard Lopez muss nun die Insolvenz verhindern. (Foto: Thierry Breton/Panoramic/Imago)

Der Zwangsabstieg drohte, dann trat im vergangenen Juli der Luxemburger Geschäftsmann Gerard Lopez als Retter auf den Plan, der zuvor bereits den OSC Lille vom Sanierungsfall zum Meister 2021 gemacht hatte. Er übernahm einen Teil der rund 80 Millionen Euro Schulden, die die Bordelais mittlerweile angehäuft hatten, und holte, um an glorreiche Zeiten anzuknüpfen, den bisherigen Schweizer Nationaltrainer Vladimir Petkovic. Doch in der abgelaufenen Saison ging alles schief: Petkovic schaffte es weder, die Defensive um Torwart Benoît Costil und den früheren Arsenal-Abwehrchef Laurent Koscielny zu festigen, noch gelang es ihm, Streitigkeiten zu befrieden.

Am Ende der Saison standen 91 Gegentore nach 38 Spielen, auch die in der Winterpause geholten früheren Bundesligaspieler Marcelo (Hannover 96) und Joshua Guilavogui (VfL Wolfsburg) brachten keine Stabilität. Akteure wurden suspendiert und wieder begnadigt, auch in Bordeaux kam es zu Auseinandersetzungen mit den Ultras. Intern gingen die Querelen sogar so weit, dass ein Jungprofi beschuldigt wurde, seinen Kollegen die Fußballschuhe gestohlen und diese im Internet weiterverkauft zu haben.

Den Abstieg konnte auch David Guion, der Nachfolger des erfolglosen Petkovic, nicht verhindern. Nun steht der Klub womöglich endgültig vor den Scherben seiner Existenz. Die Nationale Kontroll- und Managementabteilung der Fußballliga (DNCG) droht, Bordeaux in die dritte Liga zu versetzen, wenn die Verantwortlichen bis Mitte Juni nicht 20 Millionen Euro auftreiben, etwa durch Spielerverkäufe oder durch Bonuszahlungen, die fällig werden, sollten ehemalige Girondins-Talente wie Jules Koundé (von FC Sevilla zu Chelsea?) oder Aurélien Tchouameni (von AS Monaco zu Real Madrid?) den Klub wechseln. Manche französische Medien berichten, dass die unmittelbar zu schließende Finanzlücke sogar 40 Millionen betrage.

"Ihr seid die Schande des FCGB": Bordeaux-Fans beim letzten Saisonspiel in Brest. (Foto: Damien Meyer/AFP)

Das Eis, auf dem Präsident Lopez wandelt, ist jedenfalls dünn. Der belgische Zweitligist Excel Mouscron, der ihm ebenfalls gehört, hat erst am Dienstag Insolvenz angemeldet. Und Lopez? Wandte sich in einer kämpferischen Botschaft an die Fans, beteuerte, dass er weiter an die "Wiederbelebung der Girondins" glaube. Und räumte ein, dass der Abstieg "kollektiv und persönlich ein Fehlschlag" sei. "Die Mission", sagte Lopez, "stellte sich als komplizierter als erwartet heraus."

Rekordmeister St. Etienne wird verkauft - US-Milliardär David Blitzer will angeblich einsteigen

Kaum minder prekär ist die Situation bei St. Etienne, dem früheren Klub von Michel Platini. Keine fünf Jahre ist es her, da spielte man in der Europa League gegen Manchester United, 2019 erreichte man noch einmal den europäischen Wettbewerb. Dann griff der von den beiden seit Jahren umstrittenen Hauptaktionären Bernard Caiazzo und Roland Romeyer verfügte Sparplan: Sie ließen renommierte Spieler gehen, drückten so gnadenlos die Ausgaben. Vermutlich, um den längst anvisierten Verkauf des Klubs zu forcieren. Dennoch gab es im vergangenen Winter, als St. Etienne mit schmalen zwölf Punkten aus 19 Spielen auf dem letzten Platz der Ligue 1 lag, kein einziges akzeptables Gebot. Schon Mitte Oktober hatten die Besitzer den Kaufvorschlag des kambodschanischen Prinzen Norodom Ravichak zurückgewiesen.

Drunter und drüber: Die Abwehr von St. Etienne im Spiel gegen Auxerre. Verteidiger Harold Moukoudi (Nummer 2) brachte das Kunststück fertig, bei keiner einzigen seiner 28 Saisonpartien inklusive Relegation als Sieger vom Platz zu gehen. (Foto: Jean-Philippe Ksiazek/AFP)

Ein Trainerwechsel - Pascal Dupraz ersetzte Veteran Claude Puel - brachte nur kurz Erfolg. Mit vielen jungen Spielern, die dem Druck nicht gewachsen waren, und einigen Notkäufen aus dem Winter vermied der Klub gerade so den direkten Abstieg - und scheiterte in der Relegation. "Leider hatte das Projekt, das aufgesetzt wurde, eindeutig nicht das Niveau für die Ligue 1", sagte der tunesische Nationalspieler Wahbi Khazri dem Radiosender RMC. Er nahm seine Kollegen jedoch in Schutz: "Es gibt keinen Spieler in dieser Gruppe, der nicht zweihundert Prozent gegeben hätte."

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Nachdem Frankreichs Rekordmeister AS St. Etienne das Relegationsspiel gegen Auxerre verloren hat, stürmen hunderte Zuschauer auf den Platz und schießen mit Feuerwerkskörpern in die Menge. Es gibt mehr als 30 Verletzte.

Nun ruhen die Hoffnungen darauf, dass der milliardenschwere Investor David Blitzer aus New Jersey einsteigen könnte. Der ist mit seiner Bolt Football Holding unter anderen an einem Ausbildungsteam des Baseball-Hegemon New York Yankees und am FC Augsburg beteiligt. Er will angeblich bis zu 100 Millionen Euro investieren, damit die Hauptaktionäre auszahlen, Schulden tilgen, eine neue Mannschaft errichten. Womöglich mit dem früheren Profi Laurent Batlles als Trainer, der hatte vor einem Jahr Troyes in die Ligue 1 geführt.

Eines scheint jedenfalls klar zu sein: Der Rekordmeister muss so schnell wie möglich wieder hoch, alleine schon, um die Ultras zu befrieden. Sonst könnte es schon bald wieder brennen im Stadion von St. Etienne, das nicht zu Unrecht den Spitznamen "Le Chaudron" trägt: Hexenkessel.

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