Am Ende seiner ersten Trainingswoche, bei der Begegnung mit Borussia Dortmund, will Mirko Slomka erstmals den dunkelblauen HSV-Anzug tragen. "Spiele in der Bundesliga sind Festtage", sagt der neue Trainer des Hamburger SV. Wobei: Für die Profis und Fans des HSV gilt diese Devise schon lange nicht mehr. Nur fünf Heimsiege haben sie im Jahr 2013 feiern können, zuletzt gab es vor eigenem Publikum vier Pleiten hintereinander mit 2:10 Toren.
Doch wer soll den Tabellenvorletzten aus dieser Misere befreien, wenn nicht der Mann, der schon vor erlesenem Manager-Publikum Referate gehalten hat über "Motivationsstrategien in Krisenzeiten"? Und der 2010 bei Hannover 96 eine Mannschaft gerettet hat, die nach dem Freitod ihres Kapitäns Robert Enke dem Abstieg entgegen zu stolpern schien?
Knapp zwei Monate ist es her, dass Slomka nach insgesamt vier Jahren in Hannover entlassen wurde. Zuletzt hat er Ski-Ferien gemacht und sagt: "Ich bin nicht ausgebrannt." Das hat er in seinen ersten Tagen in der Hansestadt eindrucksvoll bestätigt. Nicht nur, weil er die - meist eher gemächlichen - Übungsstunden seines Vorgängers Bert van Marwijk fast verdoppelt hat und recht lautstark zu Werke geht. Es sah aus, als wolle er alle Brandherde dieses verunsicherten Vereins gleichzeitig löschen. "Wir haben nicht viel Zeit", sagt Slomka.
Die wichtigsten Schwachpunkte im Team hatte er schnell ausfindig gemacht: zu wenig Kommunikation auch auf dem Rasen, zu viel Platz für den Gegner, wenn dieser sein Spiel verlagert (dadurch fielen die Hälfte der Gegentore), und überhaupt das Abwehrverhalten. Mit 51 Gegentoren in 21 Spielen hat der HSV für sich einen neuen Minus-Rekord in der Liga aufgestellt.
Die Sache mit der Kommunikation hat Slomka schnell vorangebracht, mit vielen Einzelgesprächen und gemeinsamen Mittagessen. Und mit der löchrigen Abwehr hat sich der Chef selbst am meisten befasst. Während Assistent Nestor El Maestro die Offensivspieler betreute, hat er immer wieder eingegriffen, wenn hinten die Automatismen nicht klappten. Nach mehreren Video-Sitzungen stand schnell die Analyse, dass die Verteidigung besonders anfällig ist bei Kontern. Der Mathematiker Slomka weiß aber, dass "Raumverknappung" ein wichtiger Bestandteil für erfolgreiche Defensivarbeit ist. Nur dann gelingt das von ihm schon in Hannover bevorzugte flinke Umschaltspiel.
Der andere essenzielle Bereich einer Krisenbewältigung ist das Lob für Menschen, die an ihren eigenen Fähigkeiten zweifeln wie Schüler, die drei Sechsen hintereinander geschrieben haben. Für nahezu jeden Profi hatte Slomka diese Woche auch öffentlich ein aufbauendes Wort parat. Der zuletzt arg fehlerhafte Torhüter René Adler: "eine sehr souveräne Persönlichkeit". Der zuletzt fast unsichtbare und derzeit verletzte Kapitän Rafael van der Vaart: "die prägende Figur unserer Mannschaft". Bei der Suche nach wehrhaften Abstiegskämpfern ist der neue Trainer sogar bei einem Ausgemusterten fündig geworden. Slobodan Rajkovic (Spitzname "Rambo") wirke auf ihn "sehr aggressiv und konzentriert", so Slomka, weshalb er ihn mit dem schon bei 96 unter seiner Leitung spielenden Johan Djourou zum neuen Innenverteidiger-Duo verknüpfen will.