Trainerdebüt beim Hamburger SV:Plötzlich stilsicher mit Baumgart

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So wird's gemacht: Steffen Baumgart (rechts) bei seinem ersten Spiel als Cheftrainer des Hamburger SV. (Foto: Cathrin Mueller/Getty Images)

Der neue Coach hat beim HSV ein paar pragmatische Korrekturen verfügt. Heraus kommt ein 1:0 in einem Spiel, das beim "Walterball" unter dem vorherigen Coach vielleicht noch 4:4 ausgegangen wäre.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Für Fotografen war das ein herrliches Bild. Sie hatten einen bundesweit bekannten Trainer vor sich, der seine nicht minder bekannte Schirmmütze auf dem Kopf trug und in seiner typischen Beugehaltung aufs Geschehen schaute. Steffen Baumgart, das muss man nicht extra erwähnen, schaute dabei keine Sekunde lang wie einer, dem das Gesehene Freude bereitet. Und genau diesen Steffen Baumgart wollen die Fotografen schließlich vor der Linse haben.

Seit Baumgart beim Zweitligisten Hamburger SV angestellt ist, laufen die Dinge dort ein wenig anders. Grimmige Entschlossenheit ist an einem Standort eingekehrt, an dem man zwar immer gewinnen wollte, weil gewinnen natürlich auch beim eher sporadisch erfolgreichen HSV ein zentraler Daseinszweck ist. So richtig toll geklappt hat das, wie die Ligazugehörigkeit der Hamburger beweist, aber nicht. Und es gibt Leute, die finden: Ein bisschen mehr hätten sie beim HSV dahin gehend priorisieren können, nur haben sie stattdessen lange einen Stil durchgezogen, der zwar als schickes Alleinstellungsmerkmal taugt - der auf Dauer allerdings nirgends den Beweis erbracht hat, dass man damit ambitionierte Ziele erreicht.

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Was Stilfragen angeht, hat der Trainer Baumgart klare Vorstellungen, das gilt für seine Garderobe und den Fußball, den er spielen lässt. Beides gestaltet Baumgart mitunter unkonventionell und mutig, aber er verliert dabei nie den praktischen Nutzen aus dem Blick. So gesehen ging von seinem Debüt als HSV-Coach eine unmissverständliche Botschaft aus: Die Hamburger gewannen am Sonntag beim 1:0 gegen die SV Elversberg ein Spiel, das unter Baumgarts Vorgänger Tim Walter womöglich 4:4 ausgegangen wäre. Die Zutatenliste wäre jedenfalls stimmig gewesen: Die tapferen Elversberger trauten sich was zu im Hamburger Volksparkstadion - und sie waren trotz ihrer bemerkenswerten Saison im Status eines Aufsteigers angereist, wodurch ja gerne mal eine Art Naturgesetz provoziert wird. Das Gesetz sieht vor, dass der Aufsteiger über sich hinauswächst und dass der HSV wertvolle Punkte liegen lässt, die am Ende für den Aufstieg fehlen.

Unter Baumgart durften Verteidiger wieder einfach nur Verteidiger sein

Der Praktiker Baumgart allerdings hat ein paar sehr praxisnahe Korrekturen durchgesetzt. Er hat seine Mannschaft, die Spieler mit ausgezeichneten Fähigkeiten besitzt, unter Rücksichtnahme auf ihre Stärken und Schwächen zusammengebaut. So kam eine in Hamburg lange ungesehene Bildstrecke zustande: Die Verteidiger durften verteidigen, sie wurden weder als Linksaußen auf dem Rasen gesichtet noch in Dribblings gezwungen, die sie gar nicht führen wollen.

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Der rasante Siegtorschütze Ransford-Yeboah Königsdörffer konnte in die Tiefe sprinten und blieb nicht ständig im hohen Gegneraufkommen stecken, weil nach Ballgewinnen für solche Sprints auf einmal die Räume da waren. Und auch der Stürmer Robert Glatzel, der Königsdörffers Tor vorbereitete, durfte sich in diesen Räumen austoben, wenn ihn seine Intuition dort hineinzog.

"Dieses Hin- und Herkreuzen im Spielaufbau ist nicht mein Ding", sagte Baumgart gewissermaßen stellvertretend für die deutsche Trainergilde, denn: "Das, was ich spiele, ist das, was die meisten spielen." Der Trainer Baumgart gilt als feiner Kerl und ist in der Vergangenheit nicht dadurch aufgefallen, dass er die Ansätze von Kollegen diskreditiert. Das hat er auch diesmal nicht getan, aber indem er die Eigentümlichkeit des lange praktizierten "Walterballs" akzentuierte, hat er zugleich spannende Erkenntnisse offengelegt: Offensiver Fußball muss nicht zwingend wild sein, auch wenn das beim HSV offenkundig viele Leute viel zu lang geglaubt haben. Offensiver Fußball sollte sich außerdem am Repertoire der Spieler ausrichten, wenn er in der Praxis gelingen soll. Und progressiv ist am Ende nur, was in schöner Regelmäßigkeit Spiele gewinnt, weil die Tabelle ansonsten lediglich Stagnation abbildet.

Der Fokus lag in der Trainingswoche auf der Defensive

Die Hamburger Spieler, die Tim Walter sehr geschätzt haben, scheinen sich jedenfalls rundum auf ihren neuen Trainer einlassen zu wollen. Der direktere Spielstil sei noch etwas ungewohnt, sagte Stürmer Glatzel, aber er habe sich "auch gut angefühlt". Der Fokus in der vorangegangenen Trainingswoche habe auf "der Defensive" gelegen, ergänzte der zufriedene Verteidiger Noah Katterbach.

Und dann war da noch der Kapitän Sebastian Schonlau, der Baumgart aus gemeinsamen Jahren beim SC Paderborn kennt und mit ihm damals einen Doppel-Aufstieg von der dritten in die erste Liga geschafft hat. Schonlau wurde auf den Sachverhalt angesprochen, dass lange Bälle in Hamburg zuletzt verpönt gewesen waren, und er schien froh zu sein, dieses Stilmittel nun wieder vermehrt anwenden zu dürfen. Er sagte: "Wenn der Gegner uns diese Räume gibt, wären wir ja doof, wenn wir sie nicht nutzen würden."

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