St. Pauli gegen HSV:Ausnahmsweise Ärger bei beiden Hamburger Vereinen

Lesezeit: 3 min

107 Hamburger Stadtmeisterschaften wurden bereits ausgetragen: Meist gewann der einst große HSV. (Foto: Axel Heimken/dpa)

Vor der 108. Hamburger Stadtmeisterschaft läuft es beim HSV endlich mal in sportlicher Hinsicht, aber er bleibt ein Chaos-Klub. Und beim FC St. Pauli sorgt diesmal der Fußball für schlechte Laune.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Im Fußballnorden hält man das für einen schrecklichen Fehler der Geschichte. Fünf Jahre Hamburg-Derby in der zweiten Liga - wie, um Himmels willen, konnte das passieren? In erster Linie ist die Schuld da natürlich beim Hamburger Sport-Verein zu suchen, der nach Dekaden der Unabsteigbarkeit eben doch mal abrutschte und hernach einiges dazu beitrug, das Unterhaus weiter mit der Anwesenheit eines früheren Meisters und Europapokalsiegers zu beehren. Und wenn mal der seltene Fall eintrat, in dem all die selbst verschuldeten Pleiten und Pannen nicht genug waren, um das obligatorische Saisonziel zu verpassen, griff obendrein das Schicksal ein und platzierte so viele Steine auf der Wiederaufstiegsroute des HSV, dass man auf die Nase fliegen musste. Herrje: Das hat den HSV-Anhängern wirklich entsetzlich weh getan.

Fünf Jahre Zweitklassigkeit haben aus HSV-Sicht wenigstens den netten Nebeneffekt, dass jede Saison zwei Hamburg-Derbys auf dem Programm stehen. An diesem Freitag (Anpfiff 18.30 Uhr) treffen sich der einst große HSV und der kleine FC St. Pauli zur nun schon 108. Ausgabe der Hamburger Stadtmeisterschaft, bei der die Rollen so klar verteilt sein werden wie lange nicht mehr. Die Kiezkicker empfangen den HSV nämlich als glasklarer Außenseiter im heimischen Millerntorstadion.

Das ist historisch gesehen auch total okay für alle Paulianer, die dieses Rollenverständnis seit mehr als einem Jahrhundert tief in ihren Fanseelen verankert haben. Das Problem ist nur: Die vergangene Saison, in der St. Pauli lange auf direktem Aufstiegskurs unterwegs gewesen war, hat den Anhängern und Verantwortlichen schon auch eine Menge Spaß gemacht. Und weil man sich im Fußball eben schnell an außerordentlich gute Phasen gewöhnt, schmerzt es besonders, wenn's dann mal außerordentlich schlecht läuft. So wie aktuell.

St. Pauli hat seine zwei besten Spieler abgegeben - und hat Sorge, in den Abstiegskampf zu geraten

Der FC St. Pauli ist vor dem Hamburg-Derby seit sechs Spielen sieglos, aus der fußballerischen Leichtigkeit der Vorsaison ist notorische Verkrampftheit geworden. Wobei, so ganz stimmt das nicht: Der Abwärtstrend hält bereits ein Dreivierteljahr an. St. Pauli weist in diesem Zeitraum den Punkteschnitt eines Abstiegskandidaten aus. Im Umfeld des Kiezklubs wächst daher die Sorge, dass man ins altbekannte Muster verfallen könnte, nach einer starken Phase in ernste Nöte zu geraten. So ließen sich auch ein paar Sätze verstehen, die der St.-Pauli-Präsident Oke Göttlich neulich in einem Kicker-Interview formulierte. Die sportlichen Möglichkeiten würden seit Längerem nicht ausgeschöpft, kritisierte Göttlich, und zwar unabhängig von den jüngsten "Personalwechseln" im Kader.

Im Subtext hieß das so viel wie: An dem Team, das der St.-Pauli-Coach Timo Schultz zur Verfügung hat, könne es nicht liegen. Und deshalb ruhe die derzeitige Schaffenskrise auch ganz sicher nicht auf der Arbeit des Sportchefs Andreas Bornemann.

Das sieht in Hamburg aber nicht jeder so. Bornemann hat im Sommer in Daniel-Kofi Kyereh und Guido Burgstaller das aufregendste Offensivduo der zweiten Liga abgegeben, das St. Pauli in der Vorsaison noch zusammen 30 Treffer garantiert hatte. Für sich genommen ist das gar nicht schlimm, weil das Verkaufen der Besten ein fester Bestandteil des paulianischen Geschäftsprinzips ist. Bornemann gelang es aber nicht, für die beiden Einzelkönner ähnlich veranlagte Nachfolger zu beschaffen, die zur bisherigen Spielstrategie von Trainer Schultz passen.

Auch deshalb ist die Rede von Verstimmungen zwischen Schultz und Bornemann, die schon in der Vorsaison ihre Dissonanzen hatten: Der Coach zeigte sich irritiert davon, dass der Sportchef Prämien- und Vertragsverhandlungen mit den Spielern verschleppte und so für unnötige Unruhe im Team sorgte.

Der HSV macht in der zweiten Liga endlich das, was von ihm erwartet wird: Er gewinnt Fußballspiele

Nur: Wenn so etwas schon für Aufregung sorgt, was sollen sie dann erst beim traditionell turbulenten Hamburger SV sagen? Am Anfang der Woche saß zum Beispiel der ehemalige HSV-Vorstand Thomas Wüstefeld in einer Sport1-Sendung und tat dort einmal mehr kund, dass es ja Kampagnen der "Propaganda-Presse" gewesen seien, die den Medizinunternehmer jüngst aus dem Amt gejagt hätten. Was eine recht subjektive Sicht auf die insbesondere vom Hamburger Abendblatt recherchierten Vorwürfe war, die zwielichtiges Geschäftsgebaren (Strafanzeigen wegen Betrugs und Untreue) und Zweifel an seinen akademischen Titeln betrafen (Wüstefeld ist womöglich nicht jener "Prof. Dr.", der er vorgibt zu sein). Immerhin: Die Frage, ob Wüstefeld für den Job als HSV-Finanzboss geeignet war, dürfte spätestens seit diesem Auftritt beantwortet sein.

Der HSV hat also wieder dazu beigetragen, dass ihm der Ruf als Deutschlands führender Chaos-Klub erhalten bleibt. Man sollte meinen, dass das Ausscheiden des unbeliebten Finanzchefs auch die Hamburger Profimannschaft weiter beflügelt, doch Wüstefeld hatte auch eine wichtige Funktion im Gefüge: Er war so etwas wie ein Widersacher im Innern, der das Sportressort enger zusammenrücken ließ. Auch deshalb konnte der HSV-Coach Tim Walter ein Team formen, das in der Vorsaison nur knapp in der Aufstiegsrelegation scheiterte und derzeit einen robusten Eindruck macht, sobald Widerstände hervortreten. Die Hamburger stehen jedenfalls an der Tabellenspitze und sind seit sechs Spielen ungeschlagen. Und sie spielen dabei einen Ballbesitzfußball, den die Zweitliga-Konkurrenz allein deshalb nicht praktizieren kann, weil sie dafür gar nicht erst die Spieler hat.

Heißt: Der HSV macht endlich das, was in der zweiten Liga von ihm erwartet wird. Fünf Jahre sind dann ja vielleicht wirklich mal genug.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: