Relegation gegen Hertha BSC:Der HSV überwindet sein eigenes Klischee

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Die erlösende Führung auf dem Weg in die Relegation: Sebastian Schonlau trifft per Kopf zum 2:1 für den HSV bei Hansa Rostock. (Foto: Danny Gohlke/dpa)

Wieder mal sieht es aus, als würde der Hamburger SV ein entscheidendes Spiel versemmeln - doch in Rostock gelingt der Mannschaft von Tim Walter das Comeback. Die Belohnung: zwei Spiele um den Aufstieg gegen die Vereinslegende Felix Magath.

Von Thomas Hürner, Rostock

Der Kapitän Sebastian Schonlau fasste sich an die Nase und musste erst mal durchatmen. Der Verteidiger Mario Vuskovic bedankte sich mit einer eindeutigen Geste bei jemandem, der seinen Dienstsitz ganz oben im Himmelreich hat. Und Tim Walter? Der Trainer des Hamburger SV hüpfte rum wie Rumpelstilzchen und ruderte dabei so wild mit den Armen, als plane er, die Rückreise per Schlauchboot über den Seeweg anzutreten.

Walter ist ein verrückter Charakterkopf, so etwas wäre ihm auf alle Fälle zuzutrauen. Und es war am Sonntag nachgerade wahrscheinlich, dass ihm jede Menge HSV-Fans gefolgt wären, ganz zu schweigen von seiner Mannschaft, die ihn vermutlich bis auf den Meeresgrund begleiten würde. Denn Walter hat mit dem 3:2-Sieg bei Hansa Rostock etwas geschafft, was kein HSV-Coach in den vergangenen Jahren geschafft hat. Er hat dem HSV das HSV-Sein ausgetrieben. Er hat eine Mannschaft geformt, die gegen Rostock endlich mal Widerstände überwand und sich nach einem Rückstand einen Erfolg erkämpfte. Und weil ihm das gelungen ist, dürfen die Hamburger als Zweitliga-Tabellendritter in der Aufstiegsrelegation gegen Hertha BSC antreten - also gegen den Berliner Trainer Felix Magath, der mit dem HSV als Spieler einst Meister und Europapokalsieger wurde.

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Jeder hatte es bei den Hamburgern gewusst, aber niemand wollte vorher drüber reden. Der HSV spielte im Ostseestadion nicht nur gegen eine Fußballmannschaft aus Rostock, die sichtlich keine Lust hatte, dem Nordrivalen ein Präsentkörbchen oder Blümchen zu überreichen. Der HSV spielt an solchen Tagen immer auch gegen sich selbst. In seinen vier Jahren in der Zweitklassigkeit hat der Traditionsklub das Scheitern institutionalisiert, am liebsten in Form von irren, unerklärlichen Niederlagen und mitten auf der Zielgeraden.

Schon vor dem Anpfiff signalisierten die Hansa-Fans, dass sie den HSV stürzen sehen wollen, sie pfiffen den Gegner beim Aufwärmen so laut aus, dass ihre Mannschaft sofort wusste, was heute von ihr erwartet würde. Und es dauerte auch nicht lang, bis die Rostocker Spieler dem Publikum zurück signalisierten, dass sie die Zielvorgabe des Nachmittags verinnerlicht und verstanden hatten: Dem HSV sollte ein denkwürdiger Nachmittag bereitet werden, und dafür waren ihnen auf dem Rasen alle legalen und halblegalen Mittel recht.

Bereits nach eineinhalb Minütchen bediente sich die Heimelf einem sehr gewöhnlichen Hausmittel, das man immer griffbereit haben sollte, wenn man einen Favoriten ärgern und zu Fall bringen will: Ein Freistoß aus dem Halbfeld landete auf dem Kopf des Hansa-Spielers Lukas Förde und knallte daraufhin an die Latte. Man hörte nicht nur das Gebälk krachen, sondern auch die Herzen der HSV-Spieler in die roten Hosen rutschen. Der Sound der ersten Halbzeit war damit gesetzt.

Rostock hätte zwei oder drei Tore schießen können

Jetzt war der HSV jener HSV, der er nie wieder sein wollte. Alles, was sich die Hamburger vornahmen, misslang, sie waren eingeschüchtert und nervös und in allen ihren Handlungen unpräzise. Wenn dann auch noch Nachlässigkeit und fehlende Aggressivität hinzukommen, wird's düster. Mehr als ein wenig Geleitschutz war das jedenfalls nicht, was der HSV-Kapitän Sebastian Schonlau in der 13. Minute zeigte, er ließ sich austänzeln und den Ball an sich vorbei in die Mitte zischen - und dort brauchte Nico Neidhart nur noch über die Linie schieben. 1:0 Rostock.

In den HSV-Spielerköpfen werden bei solchen Rückschlägen normalerweise Gedankenspiralen in Gang gesetzt, die alle aus der Wissenschaftsliteratur bekannten Überforderungs- und Stresssymptome auslösen. Und der HSV sollte sich davon auch erstmal nicht mehr erholen, er hatte in der ersten Hälfte im Gegenteil noch Glück, dass die Heimelf nicht zwei oder drei Tore schoss. Aber diesmal hatten die Hamburger nun mal dieses Glück. Und sie haben in Walter in dieser Saison einen Coach, der einen Knopf gefunden hat, um das Denken in den Spielerköpfen abzustellen. Walter muss diesen Knopf in der Halbzeit betätigt haben, und womöglich hat er voller Wut sogar mehrmals draufgeschlagen.

Die Mannschaft zeigt in der zweiten Halbzeit Haltung

Denn der HSV, der aus der Kabine kam, war ein ganz anderer HSV als jener, der in den vergangenen Jahren der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Er bewies Demut. Er zeigte Haltung. Und er tat einfach so, als hätte es die alten Schreckensgeschichten nie gegeben. Quasi mit dem Wiederanpfiff übernahmen die Hamburger die Kontrolle, sie erhoben ein Monopol auf den Ball und spielten Pässe, Pässe, Pässe. So, wie der Trainer Walter das sehen will. Auf einmal war der HSV dominant, auf einmal war er effizient. Und spätestens als der Stürmer Robert Glatzel per Kopf zum Ausgleich (50.) traf, war ein ganz anderer Sound gesetzt. Es war der Sound des HSV.

Mikkel Kaufmann feiert das zwischenzeitliche 3:1 gegen Rostock. (Foto: Michael Taeger/Imago)

"Wir fahren nach Berlin", sangen die Hamburger Fans nun, und sie sangen immer lauter, als dann auch noch Schonlau eine Flanke mit der Stirn ins Netz setzte (75.). Der HSV errichtete eine Mauer des Optimismus, es gelangen jetzt sogar Dinge, die normalerweise nicht gelingen - wie zum Beispiel Mikkel Kaufmanns Schlenzer zum 3:1 (85.). Und weil der HSV nicht sein eigenes Klischee erfüllte, blieb er sich auch nach dem erneuten Rostocker Anschlusstreffer (90.) bei sich und bei seinem Plan. Und der sieht jetzt vor: Die Rückkehr in die Erstklassigkeit, in der Relegation gegen die HSV-Legende Magath.

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