HSV in der Relegation:Mit dem Presslufthammer wachgerüttelt

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Alles muss raus: Hamburgs Trainer Tim Walter freut sich über den Sieg in Rostock, der das Relegationsduell mit Hertha BSC ermöglicht hat. (Foto: Danny Gohlke/dpa)

Der Hamburger SV hat tatsächlich die Nerven bewahrt und traut sich, vom Aufstieg zu träumen - das liegt auch an Trainer Tim Walter und seiner Classic-Hits-Platte.

Von Thomas Hürner, Rostock

Der Schlusspfiff war eine Stunde her, als die rötliche Abendsonne jene Atmosphäre schuf, in der sich Pärchen eine gemeinsame Zukunft versprechen. Zwei Fans des Hamburger SV wollten am Sonntag aber erst mal eine der großen Fragen unserer Zeit klären. Es war eine Frage, die in Männergesprächen mutmaßlich etwas häufiger eruiert wird als unter Frauen.

Die Herren standen vor der Westtribüne des Rostocker Ostseestadions, als einer die Initiative ergriff. Eigentlich, sagte er, sei "die Sache doch klar", und sein Freund pflichtete ihm umgehend bei: "Ey, aber echt. Händewaschen braucht's nicht, wenn man sich die Hände danach eh desinfiziert." Sie nickten sich zu, und die Angelegenheit war geklärt. Keine Spur von Adrenalin. Dabei war gerade ein Spiel vorübergegangen, das die volle Klaviatur an Emotionen und einen wilden Galopp durch alte Schreckensgeschichten bereitstellte. Der HSV siegte 3:2 beim FC Hansa. Der HSV kam zurück, als damit nicht mehr unbedingt zu rechnen war. Der HSV hielt stand. Der HSV behielt die Nerven. Und der HSV widerlegte so die althergebrachte Karikatur von sich selbst.

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Das Schöne an Alltagsbeobachtungen ist, dass sie ziemlich viel über das Leben verraten können. Man muss diesen Alltagsbeobachtungen nur die nötige Bedeutung beimessen. Also: Sagte das Gespräch der beiden Herren irgendwas über die Coolness, die der HSV neuerdings ausstrahlt? Über die Selbstverständlichkeit, mit der Herausforderungen angegangen und bewältigt werden? Und überträgt sich diese Haltung langsam auf die Anhängerschaft, die wahrscheinlich selbst nicht genau weiß, welche der vielen Peinlichkeiten in den vergangenen Jahren eigentlich die peinlichste war?

Nun ja, vielleicht hatte die Szene aber auch keine tiefergehende Bedeutung. Vielleicht waren das einfach nur zwei Männer, die sich nach dem Pinkeln nicht so gern die Hände waschen. Punkt.

Genau so würde das vermutlich Tim Walter erklären. Der Hamburger Trainer hält nicht gerne professorale Vorträge, sondern er spult in jeder Pressekonferenz und in jedem Interview die gleiche Classic-Hits-Platte ab, die schon bald im HSV-Pantheon in der Platinversion ausgestellt werden könnte. Denn am kommenden Montag steht das zweite der beiden Aufstiegsrelegationsspiele gegen den Erstliga-Vertreter Hertha BSC auf dem Programm - und wenn der HSV auch in diesen Duellen wieder eine "totale Überzeugung" an den Tag legt und "Widerstände überwindet", stehen die Chancen nicht schlecht, dass Walter und seinem Team ein echtes Novum in der nicht gerade ereignisarmen HSV-Klubgeschichte gelingen könnte: der erste Hamburger Aufstieg überhaupt. Nach dann vier Jahren Zweitklassigkeit.

Der HSV-Trainer Tim Walter redet seine Spieler stark, bis sie selbst daran glauben

In dieser Zeit hat der Mythos des HSV einige Dellen und Schrammen und Kratzer erlitten, und alleine deshalb war es schon bemerkenswert, dass der zu Saisonbeginn verpflichtete Trainer Walter vom ersten Tag an nicht gerade mit Samthandschuhen zu Werke ging. Im Gegenteil, er hat den ermatteten Traditionsstandort mit dem Presslufthammer wachgerüttelt. Regelmäßige Trainingsbeobachter berichteten von impulsiven Reden und gelegentlichen Wutausbrüchen, doch in Zwiegesprächen und in der Öffentlichkeit redete Walter seine Spieler stark. Immer wieder. Immer und immer wieder. Und irgendwann glaubten die Spieler der Walter'schen Erzählung, dass sie unverwüstlich sind.

"Wir sind immer wieder aufgestanden. Wir haben nie aufgegeben": Hamburgs Robert Glatzel. (Foto: Martin Rose/Getty Images)

"Wir sind immer wieder hingefallen", sagte am Sonntag der HSV-Stürmer Robert Glatzel, dem 22 Saisontore gelangen: "Aber wir sind immer wieder aufgestanden. Wir haben nie aufgegeben. Alle haben uns abgeschrieben, auch heute wieder." Das fasste sehr präzise die jüngste Entwicklung des HSV zusammen. Den Spielern war's egal, wenn sie sich beim Auf-die-Schnauze-Fallen mal eine blutige Nase geholt haben, denn sie wussten ja, da kommt bald wieder ein Fußballspiel, und auch dieses Fußballspiel muss erst einmal zu Ende gespielt werden.

In der Relegation geht es nun gegen die HSV-Legende Felix Magath. Tim Walter ist das total egal

Es passt deshalb perfekt in die HSV-Saison, dass auch am 34. Spieltag erst mal alles kompliziert werden musste, wäre sonst ja auch langweilig gewesen. Kompliziert wurde es zum Beispiel, als die Hamburger in Rostock früh in Rückstand gerieten, und nicht gerade einfacher wurde die Sache, als die Hansa-Spieler erst richtige Favoritensturz-Fantasien entwickelt hatten. Doch der aktuelle HSV ist eben anders als seine unmittelbaren Vorgängermodelle, denn er mag Probleme und Widerstände und weiß, was zu tun ist, wenn die Dinge aus den Fugen geraten: Passen, passen, passen - und mit jedem Pässchen gewinnen die Spieler dann auch ein bisschen an Klarheit zurück, an Orientierung.

Insofern war es fast schon logisch, dass ausgerechnet der junge Stürmer Mikkel Kaufmann nach Glatzels Ausgleichs- und Sebastian Schonlaus Führungstreffer einen formvollendeten Schlenzer zum zwischenzeitlichen 3:1 in den Winkel zirkelte. Denn Kaufmann, ein Leihspieler aus Kopenhagen, war in seinen bisherigen Einsätzen vor allem durch eine Orientierungslosigkeit aufgefallen, die von Beobachtern bereits als absolute Talentfreiheit interpretiert worden war.

Der Hamburger Coach Walter sah das natürlich immer anders. Und er kann auch nicht viel mit der dramaturgischen Besonderheit anfangen, dass es in der Relegation nun gegen den Hertha-Trainer Felix Magath gehen wird, der seit seinen Hamburger Spielertagen einen festen Platz in den HSV-Geschichtsbüchern hat. "Es geht darum, dass wir bei uns bleiben", sagte Walter. Das klingt mittlerweile nach einem Plan, der kaum schiefgehen kann.

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