Hertha BSC in der Relegation:"Hätte er nur den Mund gehalten"

Felix Magath Hertha

Felix Magath am Tag nach der Niederlage in Dortmund auf dem Trainingsplatz.

(Foto: Jürgen Engler/Nordphoto/Imago)

Die Prognose von Felix Magath hat sich erfüllt: Hertha BSC muss doch noch in die Relegation. Der erfahrene Trainer gibt sich auffallend zuversichtlich und optimistisch.

Von Javier Cáceres, Dortmund

Für die Bediensteten aller Klubs der Fußballbundesliga besteht aus guten Gründen ein Wettverbot, was aktuell bedeutet, dass Felix Magath ein Vermögen durch die Lappen gegangen sein muss. Mitte März übernahm Magath, 68, das Traineramt bei Hertha BSC. Und seither gab er schon häufiger seiner festen Überzeugung Ausdruck, dass Hertha nach dem 34. Spieltag in der Relegation landen werde.

Nun, voilà: Am Samstag gab seine Mannschaft die letzte Chance aus der Hand, den Klassenverbleib innerhalb der Regelarbeitszeit von 34 Spieltagen zu sichern. Aus der 1:0-Führung bei Borussia Dortmund wurde kurz vor Ende eine 1:2-Pleite, als der BVB noch mal aufs Gaspedal drückte. Und weil der VfB Stuttgart auf den letzten Drücker gegen Köln gewann, überholten die Schwaben die Berliner in der Tabelle. Die Hertha muss als Tabellen-Sechzehnter in die Relegation. Der zehn Jahre alte Präzedenzfall könnte für die Berliner schlimmer kaum sein: 2012 stieg die Hertha beim damaligen Zweitligisten Fortuna Düsseldorf ab - ebenfalls mit einem Trainer-Urgestein (Otto Rehhagel).

"Hätte er nur den Mund gehalten ...", sagte Hertha-Manager Fredi Bobic zum Magath-Orakel, als er lange nach dem Drama von Dortmund vor dem Mannschaftsbus stand. Bobic meinte das halb im Scherz und halb im Ernst. Wer zittert schon gern?

Kaum jemandem stand die Furcht deutlicher ins Gesicht geschrieben als Ingo Schiller, Herthas Finanz-Geschäftsführer. Ginge es ihm nur um die Zahlen, müsste er eigentlich froh sein. Ein gut gefülltes Stadion bringt am Donnerstag (20.30 Uhr) ja noch mal Geld in die Kassen, die trotz der längst 374 Millionen Euro des Investors Lars Windhorst recht leer sind. Als Schiller aus dem Kabinentunnel trat und zu seinem Auto schritt, sah er so fahl aus, dass man meinen konnte, Magath, der Prophet, habe in der Kabine noch in eine Glaskugel geblickt und sich danach zu Fragen der Apokalypse geäußert.

"Gegen den Tabellendritten der zweiten Liga haben wir berechtigte Aussichten, den Klassenverbleib zu schaffen", sagte Magath.

Dafür gab es keine Anhaltspunkte, im Gegenteil. Laut Magaths eigener Aussage gab er sich in der Umkleide der Hertha sogar frohgemut. Er habe Spieler mit hängenden Köpfen gesehen, und umso energischer gegen den Defätismus angeredet.

"Unsere Mannschaft hat sich hier in Dortmund als Bundesligist präsentiert. Deshalb bin ich zuversichtlich. Gegen den Tabellendritten der zweiten Liga haben wir berechtigte Aussichten, den Klassenerhalt zu schaffen", tönte Magath. Zumal man den worst case vermieden habe: "Immerhin haben wir es geschafft, uns von Platz 17 auf 16 zu verbessern. Deshalb haben wir unser erstes Ziel erreicht und den direkten Abstieg vermieden", betonte Magath.

Hertha BSC in der Relegation: Bis zu diesem Moment hatte die Hertha im Gefühl gepielt, den Klassenverbleib direkt zu sichern: Youssoufa Moukoko (rechts) trifft zum 2:1 für den BVB.

Bis zu diesem Moment hatte die Hertha im Gefühl gepielt, den Klassenverbleib direkt zu sichern: Youssoufa Moukoko (rechts) trifft zum 2:1 für den BVB.

(Foto: Dennis Ewert/RHR-Foto/Imago)

Seine Laune wirkte so, als habe er gerade entdeckt, dass Elvis lebt und er nun Lust auf Rock 'n' Roll bekommen habe. "Ich freu' mich drauf! Noch mal zwei schöne Spiele, noch mal volle Hütte, noch mal Druck, noch mal Stress. Einfach wunderbar!", rief er in der ARD, als er gefragt wurde, ob er sich um die psychische Verfassung der Hertha Sorgen mache. Wie überzeugt er sich gab, seine Elf werde dem Druck der Relegation standhalten, das wirkte dennoch etwas overacted, wie es in der Schauspielwelt heißt. Magath lächelte eine Spur zu verschmitzt und zu entspannt.

Erst als die Sprache auf eine andere Prognose kam, die er mal getätigt hatte, dass nämlich sein geliebter Hamburger SV, deren Fans Magath als Legende gilt, Herthas Relegationsgegner werden würde, verfinsterte sich sein Blick. "Der Gedanke war mir immer unbehaglich", sagte Magath am Tag vor dem Sieg des HSV in Rostock. Es werde "natürlich ein schwieriges Spiel für mich". Und für die Hertha.

Denn: Sie hat sich darauf spezialisiert, Matchbälle zu vergeben: erst am drittletzten Spieltag in Bielefeld (1:1), dann am vorletzten gegen Mainz (1:2); auch die Synopse des Spiels in Dortmund fügte sich in diese Serie gut ein: Hertha hatte durch einen Elfmeter von Ishak Belfodil 1:0 geführt und konnte bis zur 84. Minute - trotz des Ausgleichs des nach Manchester verabschiedeten Erling Haaland - im Gefühl weiterspielen, den Klassenverbleib direkt zu sichern. Ein Punkt hätte der Hertha gereicht. Dann wechselte der BVB Youssoufa Moukoko ein, und der erste Schuss des 17-jährigen Stürmers landete erst am Innenpfosten und dann zum 2:1-Endstand im Tor.

"So was passt dann natürlich auch zu unserer Lage", sagte Manager Fredi Bobic zu dem Billardtreffer - wenngleich er weiß, dass die Hertha in dieser Saison viel dafür getan hat, in Schlüsselmomenten von guten Geistern verlassen zu werden. "Wenn wir immer so eine Leistung wie heute gezeigt hätten, müssten wir nicht über die Relegation reden", sagte Magath - wobei es der BVB in der ersten Halbzeit auch bedrückend schlecht angehen ließ. Zur Halbzeit gab es laute Pfiffe.

"Das hat nichts mehr mit Sport zu tun. Schon gar nicht mit Fußball", sagte Magath über den Elfmeter für den BVB

Zur Lage der Hertha passte aber auch, dass Dortmund durch einen Elfmeter ins Spiel fand, der so umstritten war, wie es Handelfmeter moderner Prägung sind. Bei einem Freistoß der Dortmunder von der Strafraumgrenze hatte Herthas Santi Ascacíbar den Ball abgefälscht, der Ball flipperte von der Schulter des Argentiniers zu Marvin Plattenhardt, und dass dieser den Arm draußen hatte und den Ball berührte, nahmen die ganze Südtribüne und die Hälfte der Dortmunder Mannschaft wahr, nicht aber Schiedsrichter Stieler. Der Referee pfiff dennoch, weil seine Kollegen im Kölner Keller nach Ansicht der Bilder befanden, dass er einen Strafstoß verhängen müsse.

Bobic war pikiert, er wusste aber zu differenzieren, Stieler machte er keine Vorwürfe: "Das ist eine Wahnsinnsregel. Der Ball wurde abgefälscht, der Spieler kann nicht reagieren", klagte der Manager. Magath äußerte ebenfalls Unverständnis: "Das hat nichts mehr mit Sport zu tun. Schon gar nicht mit Fußball", sagte der Mann, der in mehr als 500 Spielen als Bundesligatrainer auf der Bank gesessen hat. Zu allem Überfluss, jedenfalls aus Hertha-Sicht, sah Ascacíbar die gelbe Karte. Er ist damit für das erste Relegationsspiel gesperrt.

In den Wochen unter Magath war Ascacíbar im defensiven Mittelfeld stets gesetzt, bürgte dort für Aggressivität und Ballsicherheit. Am Samstag rätselte der Trainer noch, wer ihn ersetzen kann. Unsicher war auch, ob Torwart Marcel Lotka in der Relegation spielen kann, er hatte bei einer Rettungsaktion vor der Halbzeit im Wortsinn den Pfosten geküsst und spielte, wie Hertha am Sonntag bestätigte, 45 Minuten lang mit einer leichten Gehirnerschütterung und einem gebrochenen Nasenbein.

Sicherheit hatte die Hertha nur in einer Hinsicht: "Wir haben jetzt noch zwei Spiele und in den zwei Spielen müssen wir es richten. Das ist die letzte Chance, das letzte Fünkchen Hoffnung, was wir haben", sagte Manager Bobic wahrheitsgemäß.

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