HSV im Aufstiegsrennen:Und der Volkspark vibriert

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Bemerkenswerte Form: Hamburgs Stürmer Robert Glatzel trifft doppelt gegen Hannover, Sonny Kittel (links) und Anssi Suhonen (rechts) freuen sich mit ihm. (Foto: Michael Schwarz/ABS/Imago)

Der Hamburger SV gewinnt 2:1 gegen Hannover 96 und rückt damit vorläufig auf Platz zwei vor. Zum ersten Mal in dieser Saison hat der Traditionsklub jetzt aber auch etwas zu verlieren.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Tim Walter nahm sich jeden Einzelnen nochmal gesondert vor. Der Trainer des Hamburger SV ging durch den Kreis, den seine Mannschaft gebildet hatte, er kniff in die Backen der Spieler, er umarmte sie, er schrie ihnen ein paar Worte ins Ohr. Und in der Tat, Walter musste schreien, sehr laut sogar, denn die Menschen auf der Nordtribüne machten einen Radau, der bestimmt auch die Kirchenglocken des Hamburger Michel im Zentrum der Hansestadt noch zum Beben brachte.

Eine kleine Ewigkeit ging das so, die HSV-Fans wollten gar nicht mehr aufhören zu singen, vielleicht konnten sie auch nicht anders. Sie hatten schließlich gerade so etwas wie einer Wiederauferstehung beigewohnt, einer kleinen zumindest: Ihr Klub, der in dieser Saison von vielen bereits abgeschrieben worden war, mitunter auch vom eigenen Personal - er ist durch einen 2:1-Heimsieg gegen Hannover 96 wieder mitten im Aufstiegsgeschäft. "Das nächste Spiel wollen wir auch gewinnen", sagte Walter, "und damit auch den nächsten Schritt in die andere Liga machen." Die Rechnung klingt jetzt einfach: Ein Sieg am letzten Spieltag bei Hansa Rostock, und die Hamburger wären aufgrund des deutlich besseren Torverhältnisses vom Relegationsplatz drei nicht mehr zu verdrängen. ( Hier geht es zur Tabelle der zweiten Liga)

Der ehemalige HSV-Trainer Daniel Thioune leistete wertvolle Vorarbeit

Für diese Ausgangslage war auch ein Ergebnis vom Freitag nötig, denn in dieser irren zweiten Liga ist es wie mit Lieferketten, jeder Klub ist irgendwie von anderen Klubs abhängig - und die Vorarbeit leistete ausgerechnet ein alter Bekannter: Der Trainer Daniel Thioune, in der Vorsaison mit dem HSV am Projekt Aufstieg gescheitert, siegte mit Fortuna Düsseldorf gegen Darmstadt 98 - und schuf seinem Ex-Verein so überhaupt erst die Möglichkeit, auf diese aussichtsreiche Tabellenposition vorzurücken.

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Schon den gesamten Vormittag über war in der Hansestadt eine besondere Atmosphäre zu spüren gewesen, an jeder Straßenecke sah man Menschen mit der Raute auf der Brust, auf der Stirn oder als Abzieh-Tattoo auf der Wange. Dieses Knistern übertrug sich dann auch ins Stadion, es türmte sich bis unters Dach. So sehr, dass die Walter-Elf zu Beginn des Spiels ein wenig gehemmt wirkte von der Kulisse, womöglich auch von der großen Chance, die dieser Partie innewohnte.

Die Walter-Elf zeigte gegen Hannover all ihre Seiten - die guten und die schlechten

Doch die Hamburger kamen immer besser rein ins Spiel, die Köpfe wurden wacher, die Körper widerstandsfähiger, die Füße präziser. Der Spielmacher Sonny Kittel hatte eine gute Chance, dann schoss der Abwehrchef Sebastian Schonlau nach einer Ecke am Tor vorbei, freistehend und aus bester Lage. Das passte zur Saison des HSV, der vom Coach Walter auf einen adretten und rasanten Ballbesitzfußball geschult wurde, aber im Abschluss an einer verhängnisvollen Fahrigkeit leidet. Es kommt deshalb häufig darauf an, ob sich aus der Dominanz etwas Zählbares erwirtschaften lässt, und mindestens genau wichtig dabei ist, dass hinten die Lücken nicht zu groß werden.

Die 20. Minute stand insofern für die gesamte HSV-Saison, sie stand auch exemplarisch für die Risiken und Nebenwirkungen des Walter-Fußballs. Ein kleiner Fehler im Spielaufbau hier, ein kleiner Stellungsfehler da - und schon rannte der 96-Stürmer Hendrik Weydandt allein aufs Hamburger Tor zu. Doch Weydandt scheiterte im Abschluss am HSV-Torwart Daniel Heuer Fernandes, ein exzellenter Fußballer mit einem noch besseren Blick für die Situation. Heuer Fernandes machte das Spiel schnell, der Ball schaffte es in wenigen Sekunden zum Angreifer Bakery Jatta, Jatta flankte flach in den Strafraum, wo, na klar, der Stürmer Robert Glatzel den Ball mit rechts über die Linie schob. 1:0. Und der Volkspark vibrierte.

Glatzel befindet sich in bemerkenswerter Verfassung, an seiner Tagesform hängt vieles beim HSV. Im Spiel gegen Hannover holte er sich die Bälle in jeder Lage, er rannte in die Räume, er wich auch mal bis auf die Außenbahn. Aber im richtigen Moment war er zurück in den gefährlichen Zonen. Wie in der 23. Minute, wieder war es ein schneller Spielzug, wieder flankte Jatta auf Glatzel. Der einzige Unterschied war, dass der Stürmer den Ball diesmal mit der Brust über die Linie drückte. 2:0 - und Glatzels 22. Saisontreffer, davon alleine 13 in den vergangenen 16 Spielen.

"Diese Energie nehmen wir jetzt mit in die kommende Woche", kündigte der HSV-Kapitän Schonlau an

Danach, sagte Walter, sei die Mannschaft jedoch gleich "ein bisschen schläfrig" geworden. Die Folge, nur wenig später: der Anschlusstreffer durch 96-Spielmacher Sebastian Kerk, per Kunstschuss in den langen Knick (23.). In der ersten Hälfte sollte sich die Heimelf davon nicht mehr erholen, sie wirkte nun fahrig, nervös und bisweilen übermotiviert.

Es war nicht so, dass der HSV die Führung souverän ins Ziel verteidigte, denn die Mannschaft wechselte das restliche Spiel ihr Gesicht, wie in Hamburg normalerweise das Wetter umschlägt. Mal wirkte die Walter-Elf gefestigt, kurz darauf fiebrig, dann kehrte auf einmal wieder Ordnung ein. Es war ein kaum identifizierbares Gemisch. Jatta vergab eine riesige Chance zum 3:1, ebenso der eingewechselte Faride Alidou. Jedoch, und das war der Unterschied zu den vergangenen Jahren, in denen sich die Hamburger immer wieder mit unerklärlichen Patzern aus dem Aufstiegsrennen warfen: Sie hielten Stand, dem Druck, den Erwartungen, vor allem den Angriffen des überraschend spielfreudigen Gegners.

"Diese Energie nehmen wir jetzt mit in die kommende Woche", kündigte der HSV-Kapitän Schonlau an. Dann heißt der Gegner Rostock, Platz elf in der Tabelle, keine Ambitionen nach oben, keine Abstiegssorgen mehr. Der HSV hat jetzt aber erstmals etwas zu verlieren in dieser Saison. Er spielt also mal wieder auch gegen sich selbst.

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