SV Darmstadt in der 2. Bundesliga:Lob der Kopie

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Mit freundlichen Grüßen: Auch Darmstadts Torschütze Filip Stojilkovic (rechts) scheint dem Gegner aus Hamburg nach dessen vollmundigen Ankündigungen etwas mitteilen zu wollen. (Foto: Florian Ulrich/Jan Huebner/Imago)

Darmstadt trotzt dem Hamburger SV im Zweitliga-Spitzenspiel ein Remis ab - mit jenen Stärken, durch die der HSV sonst besticht. Beide Mannschaften dürften sich bald in Liga eins wiedersehen.

Von Christoph Ruf, Darmstadt

Dass das Stadion beben möge, hatte sich Darmstadts Trainer Torsten Lieberknecht vor dem 1:1 im Zweitliga-Spitzenspiel gegen den Hamburger SV gewünscht. Seinen Wunsch bekam er erst ab der 60. Minute erfüllt. Dann zeigte das Böllenfalltor, welche Dezibelzahlen es hervorbringen kann, wenn es darauf ankommt. Und es kam darauf an.

Schließlich führte der Gast aus Hamburg seit der vierten Minute durch Ransford Königsdörffer 1:0. Wäre es dabei geblieben, wäre der HSV in der Tabelle bis auf einen Zähler an die Lilien herangerückt, die dann wieder ernsthaft um das Saisonziel hätten bangen müssen, das in Darmstadt noch keiner laut ausgesprochen hat: den Aufstieg.

Es kam dann jedenfalls anders: Der eingewechselte Filip Stojilkovic erzielte nach einem Sprint über den halben Platz den Ausgleich (81.). "Ein Augenschmaus", wie nicht nur sein Trainer fand.

Darmstadts Kapitän kann sich einen Seitenhieb nicht verkneifen

Nach dem Schlusspfiff lagen einige Hamburger Spieler auf dem Boden, die Gesichter in den Händen vergraben. Und auf den Tribünen merkte man jedem Darmstädter Fan an, dass das, was sie gerade bejubelten, von höherer Tragweite war als ein banales Unentschieden des Ersten gegen den Zweiten: Darmstadt bleibt mit vier Punkten Vorsprung auf den HSV Tabellenführer. Zehn Punkte Abstand sind es auf Rang vier, den ersten Nicht-Aufstiegsplatz.

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Da kann man schon mal in Ruhe das Aufstiegsthema umschiffen und sich auf die Details des wohl wichtigsten Saisonspiels konzentrieren. "Sehr enttäuscht", wäre beispielsweise Lieberknecht gewesen, wäre es beim 0:1 geblieben. Kapitän Fabian Holland war derweil so frei, einen Seitenhieb abzusetzen: "Hamburg hatte angekündigt, uns dominieren zu wollen. Davon war heute wenig zu sehen." Das stimmte, wiewohl man zur Ehrenrettung des HSV-Trainers Tim Walter, der ebendies angekündigt hatte, sagen muss, dass er sich auch nicht scheute, nach dem Spiel das Scheitern des eigenen Planes einzugestehen: "Wir haben uns von der Atmosphäre anstecken lassen und haben dem Gegner in die Karten gespielt. Das 1:1 geht total in Ordnung."

Das war das Mindeste, denn die Lilien zeigten sich bestens auf den Fußball der Hamburger vorbereitet. Immer wieder überspielten sie deren Pressing mit langen Bällen und trotzten dem HSV mit dessen Waffen ein Remis ab: Die Darmstädter liefen den Gast hoch an und führten ansonsten jenen Ballbesitzfußball vor, den der HSV im Grunde besser beherrscht als die individuell auf mancher Position unterlegenen Darmstädter.

Der HSV-Torschütze war nur in die Startelf gerückt, weil Bakery Jatta zu spät zum Anschwitzen gekommen war

Die waren nur - dramaturgisch ausgesprochen ungünstig - schon nach vier Minuten in Rückstand geraten. Dabei war Torschütze Königsdörffer nur in die erste Elf gerutscht, weil Bakery Jatta zu spät zum Anschwitzen gekommen war. So etwas sieht kein Trainer gerne, der gestrenge Herr Walter schon gar nicht. "Wir haben Regeln und wenn einer zu spät kommt, und dann noch am Spieltag, weiß er, was die Konsequenz daraus ist." Eine weitere Konsequenz des Spieltages bekam am Tag darauf die ganze Mannschaft zu spüren: Morgens um acht Uhr kam der Mannschaftsbus nach einer Vollsperrung in Hamburg an - die Insassen durften daraufhin zu einer spontan angesetzten Trainingseinheit.

Am Samstag hatte die Hamburger Führung aus der einzigen offensichtlichen Fehlleistung der besten Defensive der Liga resultiert: In unfreiwilliger Vertretung zweier zu weit aufgerückter Innenverteidiger hatte Frank Ronstadt beim Pass von Moritz Heyer geschlafen. In der Folgezeit endete jeder Vorstoß des Darmstädter Flügelmanns mit einer rüden Attacke der Hamburger Defensive. Man konnte dem HSV auch sonst nicht nachsagen, dass er das Spiel halbherzig angegangen war. Bis zum 1:1 ließ sich der starke Keeper Daniel Heuer Fernandes bei jedem Abschlag quälend lang Zeit, und als ein Darmstädter Spieler verletzt auf dem Boden lag, wurde der Ball nicht herausgespielt, um eine Behandlungspause zu ermöglichen.

Darmstadts Trainer lobt die "pure Willenskraft" seiner Elf

Nun war es allerdings nicht so, dass sich der HSV aufs Destruktive verlagerte. Denn obwohl jegliches rasantes Umschalten der Hanseaten von gut vorbereiteten Darmstädter vereitelt wurde, lief der Ball meist gut durch die Reihen der Gäste. Die besseren Chancen hatten aber die unermüdlichen Darmstädter, die mit Christoph Zimmermann (30.) Stojilkovic (69.) und Mathias Honsak (41.) zu Gelegenheiten kamen. Aus gutem Grund lobte Lieberknecht nach dem Spiel dann auch die "pure Willenskraft" seiner Elf und überlegte eine Weile, wie er den eigentlichen Grund dafür umschiffen könnte, der ihn nach dem Spiel vermutlich zu einem entfesselten Jubel getrieben hatte.

Er habe sich eben über den verdienten Ausgleich gefreut, sagte er. "Und für uns ist es einfach ein Privileg, gegen den großen HSV spielen zu dürfen." Nach Lage der Dinge wird Lieberknecht sich auch in der kommenden Saison über dieses Privileg freuen dürfen. Am Samstag dürften 16 800 Zuschauer gleich zwei Mannschaften gesehen haben, die in der kommenden Saison in der ersten Liga spielen werden.

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