Zweite Liga:Kiel stemmt sich gegen einen unheilvollen Zyklus

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Nur Zuschauer: Kiels Marko Ivezic (links) sieht Kaiserslauterns Marlon Ritter samt Ball davonsprinten. (Foto: Fernando Soares/HMB-Media/Imago)

2018 und 2021 war Holstein Kiel ganz nah dran am Bundesliga-Aufstieg - die 1:3-Niederlage gegen Kaiserslautern weckt böse Erinnerungen.

Von Thomas Hürner, Kiel

Während auf dem Rasen die Gegenwart zu besichtigen war, fieberte die Zukunft von Holstein Kiel auf der Tribüne mit. Die Tribünen im schnuckeligen Holstein-Stadion sind sehr übersichtlich, gerade mal etwa 15 000 Zuschauer gehen rein, weshalb dort wahrscheinlich jeder jeden kennen dürfte. Ein neues Gesicht fällt da schnell auf: Selbst wenn Carsten Wehlmann, die Zukunft der KSV, gewollt hätte, wäre es für ihn ein unmögliches Unterfangen gewesen, seinen Stadionbesuch am Samstag verborgen zu halten. Der frühere Darmstädter Manager Wehlmann ist seit Mitte März bei den Küstenstädtern als Geschäftsführer Sport und Vizepräsident tätig. Und nach Lage der Dinge wird sich seine antizipative Schreibtischarbeit nun zumindest ein wenig verkomplizieren.

Denn Wehlmann sah dabei zu, wie die Kieler 1:3 gegen den 1. FC Kaiserslautern verloren, dadurch die Tabellenführung in der zweiten Liga einbüßten und dazu einen Punkt Vorsprung auf den Relegationsplatz drei, den aktuell Fortuna Düsseldorf belegt. Auch neu amtierende Sportchefs lieben es, früh Planungssicherheit zu erlangen. Wenn außerdem die historisch erste Saison in Aussicht steht, in der ein Verein aus Schleswig-Holstein am Erstliga-Betrieb teilnimmt - dann hat der Manager die dramaturgische Wendung geradezu abgebrüht hingenommen, womit nicht unbedingt zu rechnen gewesen war.

Kaiserslauterns Coach Funkel rechnet fest mit dem Kieler Aufstieg - den er selbst vor zwei Jahren mitverhinderte

Zu beeindruckend waren die Kieler zuvor durch die zweite Liga gerauscht, mit sechs Zu-Null-Siegen in Serie und einer scheinbar immer weiter ansteigenden Formkurve. Insofern ließ sich Holstein-Trainer Marcel Rapp von seiner optimistischen Weltsicht nicht abbringen. Die Niederlage sei "kein Beinbruch", sagte Rapp: "Wir sollten den Weg weitergehen, den wir gegangen sind. Dann werden wir noch einige Punkte holen." Zwei Siege aus den vergangenen drei Spielen würden den Kielern zum direkten Sprung in die Erstklassigkeit reichen. Auffällig an dieser Pressekonferenz war allerdings, dass Rapp in der Rangliste der bei diesem Thema optimistischsten Fußballtrainer lediglich den zweiten Platz belegte. Denn Kaiserslauterns Friedhelm Funkel lobte nicht nur den "herausragenden Fußball" der Kieler, die "wunderschöne Stadt" und die "tolle Arbeit", die seit Jahren unter dem aktuellen Sportchef Uwe Stöwer geleistet werde. Er wagte überdies eine ziemlich stichhaltige Prognose: "Sie werden es dieses Jahr schaffen", prophezeite Funkel in einer Bestimmtheit, die selbst Rapp erstaunt haben dürfte.

Zum (mutmaßlich) eigenen Leidwesen kennt sich Funkel aus mit geplatzten Kieler Aufstiegsträumen, denn er war vor zwei Jahren entscheidend daran beteiligt, als ein solcher Traum zu Bruch ging. Funkel war damals Trainer des 1. FC Köln und besiegte die KSV in der Relegation, der erfahrene Coach dürfte einigen Kieler Fans deshalb als eine Art Repräsentant des Unheils erscheinen: Kiel hatte seinerzeit eine arg unglückliche Saisonendphase hinter sich, in der wegen zwei Corona-Quarantänen erst die Kraft, dann der sicher geglaubte direkte Aufstieg und schließlich die Entscheidungsduelle gegen Funkels Kölner verloren gingen. Drei Jahre zuvor war Holstein in der Relegation bereits am VfL Wolfsburg gescheitert.

2018, 2021, 2024? Auch bei jenen Kielern, die nicht zum Aberglauben neigen, dürften sich Schweißperlen auf der Stirn bilden, wenn sie an diesen sinistren Drei-Jahres-Zyklus denken, während dessen die "Störche" jeweils haarscharf am Aufstieg dran gewesen waren - am Ende wegen klitzekleinen Kleinigkeiten aber doch im Unterhaus verbleiben mussten. Auch am Samstag gelang vieles nicht, was zuletzt noch hervorragend geklappt hatte: Trainer Rapp hat eigentlich eine der ausbalanciertesten Mannschaften der zweiten Liga geformt, die Kieler haben mit dem Ball und gegen den Ball immer hervorragende Ideen parat - diesmal haperte es an der Umsetzung, weil die abstiegsbedrohten Lauterer dem Spiel eine gehörige Portion Anarchie verpassten.

Das 1:3 gegen Lautern war nicht die einzige schlechte Nachricht für Holstein Kiel

Nach einer Ecke köpfelte der frühere Kieler Daniel Hanslik die 1:0-Führung für die Funkel-Elf herbei (13. Minute). Holstein kam durch Alexander Bernhardsson (25.) zwar zum Ausgleich und danach zu einigen guten Chancen, fand aber trotzdem nicht in den gewohnten Rhythmus aus Pressing und Ballbesitzphasen, während die Lauterer permanent das Momentum für sich in Anspruch nahmen: Unmittelbar vor dem Halbzeitpfiff traf Filip Kaloc zum 1:2 (45.), die Kieler Schlussoffensive wurde durch Marlon Ritters Kontertor zum 1:3-Endstand gestoppt (83.). Doch das war es noch nicht mit den schlechten Nachrichten für Holstein: Kapitän Philipp Sander, Verteidiger Timo Becker und Toptorschütze Steven Skrzybski mussten verletzt ausgewechselt werden. Außerdem fehlte der wichtige Offensivmann Finn Porath wegen einer Oberschenkelblessur.

Trotz all dieser Rückschläge schien sich der Kieler Sportchef wie zu Hause zu fühlen: Carsten Wehlmann unterhielt sich angeregt mit seinen Mitarbeitern und spazierte durch das kaum zweitligataugliche Holstein-Stadion, in dem er nächste Saison sicher gerne Erstliga-Fußball schauen würde.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise behauptet, Carsten Wehlmann werde zur neuen Saison als Geschäftsführer-Sport bei Holstein Kiel übernehmen. Korrekt ist, dass er bereits seit März in dieser Funktion tätig ist.

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