Holstein Kiel:Kiels erfolgreiches Transfer-Modell

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Kiels Janni Serra (v.l.) jubelt mit Mathias Honsak und Franck Evina über den Ausgleich zum 1:1 gegen Greuther Fürth Mitte Februar. (Foto: dpa)
  • Holstein Kiel könnte an diesem Freitag mit einem SIeg gegen den Zweitliga-Dritten Union Berlin auf den Relegationsplatz zur ersten Liga klettern.
  • Die Strategie des Klubs, Führungskräfte aus der ersten Liga zu holen, die dort in der zweiten Reihe agierten, scheint wieder aufzugehen.
  • Nachdem viele Spieler den Verein im Sommer verließen, setzen Trainer Tim Walter und Manager Fabian Wohlgemuth dieses Jahr auf viele ausgeliehene junge Spieler.

Von Jörg Marwedel, Kiel

Einen letzten Dienst hat Ralf Becker seinem Verein noch beschert, bevor er weiterzog zum größeren Hamburger SV. Der frühere Sportgeschäftsführer von Holstein Kiel hat dem Klub im Mai 2018 noch einen neuen Trainer besorgt - als Ersatz für Markus Anfang, der nach dem bemerkenswerten dritten Platz der Kieler in der Vorsaison der zweiten Liga das Angebot des 1. FC Köln annahm, mit dem er am Mittwochabend durch das 1:0 beim Nachholspiel in Aue die Tabellenführung übernommen hat.

In Kiel kam nach Anfang Tim Walter, 43, bis dahin Trainer der zweiten Mannschaft des FC Bayern. Becker hielt Walter wegen dessen Grundidee eines aggressiven Ballbesitzfußballs für den Richtigen, um den Aufschwung der Kieler nicht abreißen zu lassen. Kurz nach der Entscheidung für Walter hatte der Kieler Aufsichtsrat dann Beckers eigenen Nachfolger als Sportchef bestimmt: Fabian Wohlgemuth, 39, davor siebeneinhalb Jahre als Scout und Nachwuchsleiter beim VfL Wolfsburg tätig, rückte in den Holstein-Vorstand auf.

Neun Monate später kann man sagen: Zum zweiten Mal ist Holsteins Strategie, Führungskräfte aus der ersten Liga zu holen, die dort in der zweiten Reihe standen, aufgegangen. Denn auch Becker (zuvor beim VfB Stuttgart) und Anfang (zuvor in Leverkusen) waren vor ihrer Kieler Zeit im Nachwuchsbereich tätig. An diesem Freitag (18.30 Uhr) könnten die Schleswig-Holsteiner (Bundesland-Slogan: "Der richtige Norden") mit einem Sieg über den amtierenden Dritten Union Berlin erneut den Relegationsplatz zur ersten Liga entern. Und das, obwohl außer Becker und Anfang auch Spitzenkräfte der Mannschaft - wie Dominick Drexler, Rafael Czichos (beide Köln) und Torjäger Marvin Ducksch (Düsseldorf) - den Klub nach dem knapp verpassten Aufstieg verlassen hatten.

Im Winter kamen noch mal vier geleaste Jungprofis dazu

"Im Sommer war die Personaldecke dünn, und es gab nach der sensationell erfolgreichen Saison eine große Erwartungshaltung", erinnert sich Wohlgemuth. Doch das schreckte ihn nicht ab, denn er suchte eine neue Herausforderung und "einen Job mit Handlungsspielräumen". Das lag nicht sehr weit entfernt von der Motivation des Trainers Walter, der "das Gesamtpaket bei Holstein sehr interessant" fand. Nämlich endlich "in sportliche Entscheidungen involviert zu sein und so zur Entwicklung beitragen zu können".

Die Zusammenarbeit hätte auch schiefgehen können. Aber die beiden Neuen in Kiel, die sich zuvor nur flüchtig kannten, haben schnell festgestellt, dass es bei ihnen keinen Platz für Eitelkeiten gibt. Zudem waren sie sich in einem Punkt einig: Sie wollten nach 16 Abgängen eine junge Mannschaft aufbauen. War Anfangs Team noch eines der ältesten in der zweiten Liga gewesen, so ist Holstein jetzt neben dem Hamburger SV das jüngste. Und die Idee, mit talentierten Leihspielern aus der ersten Liga die Entwicklung voranzutreiben, wurde forciert von Wohlgemuth und Walter, die sich inzwischen "zu 100 Prozent vertrauen", wie sie unisono sagen.

Im Winter kamen noch mal vier geleaste Jungprofis dazu, während ältere Kräfte wie Patrick Herrmann, 30, und Dominic Peitz, 34, Kiel verließen. "Auch wenn wir mal kritisch diskutieren, werden nur Spieler verpflichtet, bei denen wir beide ein gutes Gefühl haben", sagt Walter. Er sieht sich auch in seinem ersten Profijob als "Ausbilder und Entwickler" - was Bundesliga-Manager wie Gladbachs Max Eberl veranlasst, noch nicht ausgereifte Talente gerne nach Kiel zu schicken. So war das im Januar auch beim Gladbacher Laszlo Benes, der zwar bei Standards schon "erstligareif" sei , wie Wohlgemuth findet, aber körperlich noch Nachholbedarf habe.

Kiels bisherige Ausbildungsbilanz zeigt, dass Walter die Aufgabe bestens löst. Jannik Dehm von der TSG Hoffenheim II hat ebenso einen großen Sprung gemacht wie Torjäger Janni Serra oder der Japaner Masaya Okugawa. Selbst ältere Holstein-Spieler wie Johannes van den Bergh oder Dominik Schmidt seien bereit, noch neue Dinge anzunehmen, lobt Trainer Walter. Der gute Fußballer Alexander Mühling sei inzwischen noch mehr präsent. Und Atakan Karazor, der im Vorjahr keine Rolle spielte, habe sich extrem entwickelt. Der südkoreanische WM-Teilnehmer Jae-sung Lee, dessen Verpflichtung bundesweit überraschte, bekomme Zeit, sich einzugewöhnen.

Wie viele Profis die Kieler im Sommer wieder austauschen müssen, steht auf einem anderen Blatt. Und ob Lee Probleme mit Walters Führungsstil hat, weiß man nicht so genau. Wohlgemuth beschreibt Walters Habitus so: "Er benutzt nicht immer Schalldämpfer, aber er stellt sich jederzeit vor die Mannschaft" - und der Trainer sei "ein Überzeugungstäter". Dies sei entscheidend für den Erfolg, findet der Sportchef, auch wenn der Wind mal von vorne kommen sollte.

Walters Philosophie eines bedingungslosen Offensivfußballs, der sture Kollegen wie Alexander Zorniger (in Stuttgart) oder Peter Bosz (in Dortmund) scheitern ließ, sei für Kiel kein Risiko, findet der Coach: "Die Jungs merken, dass ich ihnen vertraue." Daraus entstehe die Gewissheit, den Stil spielen zu können.

Der Tabellendritte Union Berlin sei "vielleicht etwas cleverer und hat viel Wucht", hat Walter analysiert, "aber fußballerisch schätze ich uns stärker ein". Bereits beim 0:2 in Hinspiel habe man die Berliner gut bespielt, nur leider keine Tore gemacht. Ob der ganz große Wurf Aufstieg gelinge, könne man noch nicht sagen, so Walter: "Da sollte man noch sieben Spieltage abwarten." Das klingt durchaus angriffslustig. Der vorsichtigere Wohlgemuth drückt es so aus: "Wenn wir jetzt noch vom Klassenerhalt als finale Zielstellung reden würden, wäre das nicht sehr glaubwürdig."

© SZ vom 01.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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