TSG Hoffenheim:Etablierte Nervensäge

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In der Branche geschätzt: Hoffenheims Manager Alexander Rosen. (Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

Bayern-Gegner TSG Hoffenheim ist mal wieder auf Kurs in Richtung Champions League - was auch an Trainer Sebastian Hoeneß und der unnachgiebigen Arbeit von Sportdirektor Alexander Rosen liegt.

Von Philipp Selldorf, Hoffenheim

Alexander Rosen saß im Auto und wusste nicht, wie es in seinem Leben weitergehen sollte, als das Telefon klingelte. Man darf behaupten, dass es ein schicksalhaftes Läuten war. Der Anruf sollte nicht nur sein eigenes ungewisses Dasein in eine Richtung lenken, in der er bis heute Halt gefunden hat, sondern auch den Werdegang der TSG 1899 Hoffenheim, die zu jener Zeit noch ein Sport-Projekt mit unklaren Konturen war.

Im Jahr 2009 gehörte der damals 30-jährige Rosen als defensiver Mittelfeldspieler dem Team der Stuttgarter Kickers an, die gerade im Begriff waren, aus der dritten Liga abzusteigen. Rosen plante, Stuttgart zu verlassen, er wollte zwar noch eine Weile Fußball spielen und hatte auch nichts gegen die Regionalliga, aber er suchte einen größeren Klub, der ihm eine Perspektive nach der aktiven Zeit bieten könnte. Er stellte sich fürs weitere Berufsleben einen Job im Fußball-Geschäft vor, als junger Wander-Profi hatte er in einem norwegischen Zweitligaklub als Assistent des Geschäftsführers bereits entsprechende Erfahrungen gemacht. Die Säbener Straße wäre ihm als künftiger Arbeitsplatz gerade recht gewesen, aber es erging ihm wie so vielen anderen Fußballern: Der FC Bayern meldete sich einfach nicht bei ihm, nicht mal, was Rosen ja gereicht hätte, der Obmann der Reservemannschaft aus der Regionalliga.

Stattdessen rief plötzlich ein anderer Bayer bei ihm an. Ernst Tanner aus Traunstein war gerade erst vom TSV 1860 nach Hoffenheim gewechselt, um die Nachwuchsabteilung zu leiten. Für die U 23 suchte er einen "erfahrenen Balancespieler", der die jungen Kerle in der Oberliga führen könnte. Auf Rosens Frage, ob der Klub ihm mittelfristig mehr als einen Platz im defensiven Mittelfeld bieten könne, erwiderte Tanner: Irgendein Job sei in der neuen Konstruktion auf jeden Fall zu haben. "Ich hätte am liebsten aufgelegt und einen Freudenschrei getan - vielleicht habe ich es auch gemacht", erzählt Rosen. Dabei sollte das Beste noch kommen: Binnen nicht mal vier Jahren sollte er zum Sportdirektor eines Bundesligaklubs aufsteigen.

Rosen erlaubt sich einen Scherz auf Kosten der orthodoxen Kritiker

Inzwischen zählt Alexander Rosen mit seinen relativ jungen 42 Jahren zu den arrivierten Leuten der Szene. Unter seiner Führung ist die in den Gründerjahren sprunghafte TSG ein ständiges Mitglied der oberen Gesellschaft geworden, sie hat ihr sportliches Profil und ihren Platz in der besseren Mittelklasse gefunden - zum Ärger ihrer traditionsbewussten Gegner, die sich auf das Reinheitsgebot von 1516 berufen und Hoffenheim für einen quasi im Labor gezüchteten Eindringling halten. Die Antipathie gegen den Gründungspaten Dietmar Hopp scheint jedoch abzunehmen, womöglich taugt er nicht mehr so recht zum Feindbild, da der Fußball mit seinen politischen und finanziellen Verwicklungen genügend größere Debatten hervorbringt. Rosen jedenfalls erlaubt sich einen Scherz auf Kosten der orthodoxen Kritiker, wenn er im Rückblick auf seine 13 Jahre im Kraichgau vergnügt feststellt: "Inzwischen sind wir fast ein Traditionsklub."

Tatsächlich hat sich das Duell mit dem FC Bayern, das am Samstagnachmittag ansteht, als Programmpunkt im Spielplan bewährt. Das letzte Heimspiel gegen die Münchner gewann die TSG 4:1, aber Trainer Sebastian Hoeneß wird sich womöglich gar nicht so gern daran erinnern, denn nach diesem triumphalen Tag folgte eine Niederlagenserie und "ein Jahr permanentes Troubleshooting", wie Rosen zusammenfasst. Am Trainer hat er festgehalten, was nicht selbstverständlich war. Jetzt steht Hoeneß mit seinem Team auf Platz vier, im ersten Jahr aber wirkte er nicht immer souverän, gelegentlich auch verbissen. Sein Sportchef garantiert jedoch, dass davon keine Spur sei, und Hoeneß mehr als bloß einmal in der Woche ein Lächeln aufsetze. Im Gegenteil: Der Trainer besitze "einen trockenen, kernigen Humor, der sehr gut bei den Spielern ankommt."

Jung, günstig und mittlerweile Nationalspieler: David Raum (links), hier im Spiel gegen den VfL Wolfsburg. (Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

Der in Augsburg geborene Rosen wird in der Branche geschätzt und geachtet, seinen Kollegen geht er allerdings hin und wieder auch auf die Nerven. Er gilt als Pfennigfuchser, nicht als ein so energisches und mitunter militantes Exemplar wie Stefan Reuter beim FC Augsburg, aber als vorsätzlich geizig. Wenn er es für hilfreich hält, dann versteht es der Verhandler Rosen, seinen Verein kleiner zu machen, als er ist. Dass die Zahlungskraft der TSG in Wahrheit in jedem Jahr ein wenig zunimmt - ohne Hopp-Subventionen -, bestätigt Rosen im Gespräch, und auch, dass der Klub anders als viele um ihre Stadioneinnahmen geprellten Traditionsvereine "sehr stabil durch die Corona-Krise gekommen" sei.

Die Tribüne im Stadion in Sinsheim ist jetzt wieder voller Scouts aus aller Welt

Doch das ändert nichts daran, dass er auf dem Transfermarkt bevorzugt die listigen und günstigen Geschäfte macht, wie bei Nationalspieler David Raum, der ablösefrei aus Fürth zuzog, oder jetzt beim gleichfalls vielumworbenen Grischa Prömel, der im Sommer vom FC Union kommen und auch keine Entschädigung kosten wird. Prömel ist einst in Hoffenheim ausgebildet worden, da schließt sich ein Kreis: In den Anfängen der TSG seien die Spieler "gekommen, um zu gehen", sagt Rosen. Inzwischen kommen sie zurück ins Gewächshaus im Kraichgau, das als besonders produktive Lehrstätte für Spieler, Trainer, Fachpersonal das ganze Fußball-Land versorgt, oder sie bleiben einfach im Verein.

Zuletzt hatte sich der Manager darauf konzentriert, durch Vertragsverlängerungen den Bestand im Kader zu sichern. Den Nationalspieler Raum, 23, und den aufregend talentierten Angreifer Georginio Rutter, 19, konnte er langfristig binden, bei den gestandenen Florian Grillitsch und Andrej Kramaric ist das nicht gelungen. Deswegen ist die Tribüne im Stadion in Sinsheim jetzt wieder voller Scouts aus aller Welt, neulich saßen dort mehr als 30 Vertreter von Klubs aus England, Frankreich, Italien. "Wir werden als kleiner Verein sofort attackiert", sagt Rosen, aber er meint das nicht verdrossen. Das Interesse an den TSG-Spielern darf er als Bestätigung seiner Arbeit ansehen - der Anruf damals hat sich für alle Beteiligten gelohnt.

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