Hockey-EM in Mönchengladbach:Zurück aus dem tiefen Loch

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Er spürt, dass sich etwas aufbaut: der deutsche Kapitän Mats Grambusch, hier beim Jubel nach dem 3:2 im WM-Finale in Indien. (Foto: Willem Vernes/ANP/Imago)

Die deutschen Hockeyteams haben zur Heim-EM wohl rechtzeitig ihre Form gefunden. Bei den WM-gestressten Männern war dies nicht selbstverständlich.

Von Volker Kreisl

Keine seiner Sprints nach rechts, nach links und ab durch die Mitte. Keine dieser knallharten Schüsse werden zu bewundern sein und auch keine dieser wütenden Jagdszenen, wenn er mal den Ball verloren hat: Christopher Rühr ist nicht dabei. Es sind die Zwänge eines Medizinstudiums, das er nach acht Jahren nun endlich anschieben muss, weil es sonst zu spät ist.

Was der 172-malige Hockey-Nationalspieler verpasst, ist die Europameisterschaft der Frauen und Männer im eigenen Land - in Mönchengladbach, gewissermaßen im Zentrum des deutschen Hockeysports. Ein Fest soll es werden, das Spiel mit dem Krummstock ist eine der wichtigeren Sparten hierzulande, es wird in Schulen gelernt wie in unzähligen Vereinen, und ginge es nach dem, was die Nationalspieler zuletzt im Rheinland mitkriegten, dann erwartet sie ein großes Fest: "Wir haben zuletzt bei den Testspielen vor großer Kulisse gespürt, dass sich da was aufbaut. Ich glaube, dass wir als Ausrichter so gut vorbereitet wie nie in diese Heim-EM gehen", sagt Mats Grambusch, Offensivspieler und Kapitän der Deutschen. Auf den ersten Blick verwundert das, weil die meisten von ihnen bis vor nicht allzu langer Zeit noch hundemüde waren.

Manche Nationalspieler brauchten einen Kick, um wieder ordentlich in ihren Sport zu finden

Während Angreifer Rühr nun über Büchern lernen muss, haben einige Kollegen andere Sorgen. Der Krefelder Mittelfeldspieler Timor Oruz zum Beispiel empfand längere Phasen in diesem Frühjahr als bleiern: "Ich bin in ein unfassbares Loch gefallen", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Eine große "Leere" habe ihn gepackt, und: "Die Pause war eigentlich viel zu kurz für das, was wir da erlebt haben." Mitgemacht hatten sie die Weltmeisterschaft Ende Januar in Indien, mit einer langen Vorbereitung, dem Turnier selbst mit vielen Eindrücken, dem Auf und Ab und am Ende einem Sieg, den man zwar lange ersehnt hat, den man danach aber auch erstmal verkraften musste. Und es geht ja weiter. Nicht nur erleben sie von Freitag an (Auftaktspiele, Frauen 17 Uhr: England - Irland; 19.30 Uhr: Deutschland - Schottland) eine Heim-Großveranstaltung, sondern elf Monate danach gleich den höchsten Hockey-Höhepunkt, nämlich das olympische Turnier, diesmal im Sommer 2024 in Paris.

Anders als das Frauenteam von Trainer Valentin Altenburg, das seine jüngste Weltmeisterschaft schon länger hinter sich hat und überhaupt einen geregelteren Hockeykalender, brauchten manche der Männer nun also einen Kick, um wieder ordentlich in ihren Sport zu finden. Mannschaften spiegeln ja die ganze Palette menschlicher Temperamente, die einen sind Optimisten, die anderen übervorsichtig, die einen strebsam, die anderen Naturtalente, die einen mögen von einer Trainings-App überwacht werden, die anderen nicht.

Aber was half's? Irgendwann ertönte der Pfiff zum nächsten Aufbruch. Besser gesagt, die Spieler nahmen ihre Handys, öffneten die Trainings-App, und auf ging's zur ersten kleinen Einheit für die nächste große Meisterschaft. Auch Mats Grambusch war natürlich wieder dabei und sagte: "Wir haben einen guten Staff, deshalb werden wir auch gut überwacht und hatten keine andere Wahl, als wieder ins Training einzusteigen und die Fitness wieder auf Vordermann zu bringen."

Trainer Hennings Strategie ist eine Mischung aus kühler Taktik und reiner Freude

Und während sich die Spieler nach und nach einfanden in ihren Alltag, hat in diesen 18 Monaten der drei Großveranstaltungen auch die kleine Heim-EM ihren eigenen Stellenwert bekommen, nämlich: genauso wichtig wie die anderen Großveranstaltungen. Sie dauert nur gut eine Woche, aber sie ist das erste Großereignis auf deutschem Hockeyrasen seit 13 Jahren, die Ränge sind nahezu ausverkauft und jene, die auf den Gladbacher Sitzen Platz nehmen, kennen sich dem Vernehmen nach auch gut aus in diesem Sport. Die Stimmung dürfte also großartig werden, und Bundestrainer Andre Hennings Strategie ist eine Mischung aus kühler Taktik und reiner Freude: "Wir machen hier das klassische Turnier zu Turnier und freuen uns erstmal nur auf die EM." Heißt: Paris ist momentan noch ganz weit weg - und in zwölf Tagen plötzlich wieder ganz nah.

Die Fantasie ist auch eine Säule für die Motivation. Denn Hennings und Altenburgs Mannschaften haben trotz Erfolgen wie viele Teams ihre eigenen Probleme und kleinen Krankheiten im Spiel. Diese Malaisen treten bei den Männern hauptsächlich in der letzten Viertelstunde zutage, wenn es ums Ganze geht. Da vergeben sie Torchancen, die Siebenmeter-Vorlagen geraten ungenau, und auch die Verteidigung wird unsicher.

Die Schlussphase kränkelt also ein bisschen, aber die immer auch psychologisch denkenden deutschen Hockeyspieler und -spielerinnen zählten nicht zur Weltspitze, wenn sie nicht auch aus jedem Kränkeln eine Chance machten. "Die Probleme, die auftauchen, auch untereinander, sagt Frauentrainer Altenburg , "sind auch eine Chance, um enger zusammenzuwachsen".

Und für jedes Problem finden sich auch Lösungen. An ihren Schwächen in der Schlussphase müssen beide deutsche Teams noch arbeiten. Bis sie diese irgendwann in den Griff bekommen, haben sie noch ein Gegenmittel: Ihre Torhüter und Torhüterinnen zählen zu den Besten.

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