Aus im DFB-Pokal:Hertha wartet weiter

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Trost vom Maskottchen: Fabian Reese (r.) und Herthinho. (Foto: Maja Hitij/Getty Images)

Vor dem Spiel wird es emotional, auf dem Rasen wirken die Berliner seltsam zaghaft: Hertha BSC verliert gegen den 1. FC Kaiserslautern das Pokal-Viertelfinale 1:3. Der Traum vom Endspiel im Olympiastadion bleibt für die Hertha-Profis weiter unerfüllt.

Von Martin Schneider, Berlin

Eine der größten Sehnsüchte des deutschen Fußballs bleibt unerfüllt. Die Profis von Hertha BSC müssen weiter auf ihre erste Teilnahme an einem DFB-Pokalfinale im eigenen Stadion warten. Nur die Amateure des Vereins erreichten bisher 1993 das Endspiel - und die Chancen für die erste Mannschaft des Klubs waren diesmal im Grunde so prächtig wie selten. Nur drei Bundesligisten sind noch im Pokal dabei, Bayern, Dortmund und Leipzig längst raus - und das Los bescherte Hertha BSC am Mittwochabend ein Viertelfinalheimspiel gegen den tabellarisch schlechtesten Zweitligisten des Wettbewerbs, den 1. FC Kaiserslautern.

Doch der Traum endete mit dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck. 3:1 (2:0) gewann Kaiserslautern und steht seinerseits zum ersten Mal seit 2014 wieder in der Runde der besten Vier. Jan Elvedi (5. Minute), Richmond Tachie (38.) und Filip Kaloc (69.) erzielten die Tore für die Pfälzer. Das 1:3 durch Fabian Reese (90.+1) kam zu spät. "Vielleicht haben wir zu viel geträumt und zu viel über die Chance geredet und gelesen", sagte Hertha-Trainer Pal Dardai bei Sky: "In der ersten Halbzeit waren wir blockiert. Das war ein Versteckspiel."

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Allerdings befindet sich Hertha BSC nach dem Tod von Präsident Kay Bernstein vor etwas mehr als zwei Wochen auch immer noch in einem emotionalen Ausnahmezustand. Vor dem Pokalspiel schickte Bernsteins Witwe bewegende Worte im vereinseigenen Newsletter an die Mitglieder. Sie bedankte sich für die Anteilnahme, die Plakate und die Gesten der Hertha-Anhänger. Für das Pokalspiel wünschte sie sich einen Sieg, man wolle "Kays und unserem Traum vom Pokal ein Stück näherkommen!" Sie selbst sah sich das Spiel im Stadion an, ein Bild in Schwarz-Weiß von Kay Bernstein wurde auf den Bildschirmen vor dem Spiel gezeigt.

Mit diesen Worten im Bewusstsein vieler Anhänger und sicher auch von manchem Spieler und dem Wissen um die große historische Chance zog die Hertha-Mannschaft in dieses Spiel. Das Olympiastadion, obgleich zu dieser Jahreszeit eher Eisschrank als Sportstätte, war ausverkauft, 74 245 Zuschauer, es gab Choreografien auf beiden Seiten, auch ein paar Rauchtöpfe hatten die Reise aus der Pfalz Richtung Berlin unbeschadet überstanden. Es herrschte eine bombastische Stimmung - und dann schockte Kaiserslautern den blau-weißen Teil des Stadions kurz nach dem Anpfiff.

Dardai überrascht mit der Aufstellung von Torwart Marius Gersbeck

Nach einer abgewehrten Freistoßflanke widerstand Tymoteusz Puchacz der Versuchung, den direkten Weg zum Tor zu suchen und spielte stattdessen Jan Elvedi (Zwillingsbruder des aus Gladbach bekannten Nico) an. Der schoss an Marius Gersbeck vorbei ins Tor, und die Fans des 1. FC Kaiserslautern zündeten noch ein paar nicht genehmigte Feuerwerkskörper mehr. Der Duft von Schwarzpulver erfüllte die kalte Berliner Luft.

Aber Moment - Marius Gersbeck? In der Tat. Zur Überraschung vieler hatte Hertha-Trainer Pal Dardai die Torhüter getauscht. Gersbeck war in dieser Saison bisher nicht zum Einsatz gekommen, weil er im Sommertrainingslager eine Auseinandersetzung hatte, in deren Folge er wegen schwerer Körperverletzung angeklagt wurde. Das Verfahren wurde nach einer Zahlung Gersbecks eingestellt, Gersbeck war wochenlang suspendiert. Wie Tjark Ernst, bis zuletzt die Nummer eins der Hertha, die Rochade nun aufgenommen hat, ist eine interessante Frage. Vor dem Spiel hatte er dem Kicker noch erwartungsfroh berichtet, ein Pokalviertelfinale gegen Kaiserslautern würde das größte Spiel seiner Karriere werden. Dardai sagte vor dem Spiel, es sei geplant gewesen, dass Gersbeck im Pokal Torhüter sein würde.

Ebenso überraschend wie der Torwarttausch war Herthas Reaktion auf den Rückstand: Es gab nahezu keine. Statt die Lautstärke im Stadion zu nutzen, agierte das Team zaghaft. In der 16. Minute missglückte Haris Tabakovic ein Schuss, in der 32. Minute drückte Derry Scherhant einen Kopfball zu schwach Richtung Tor, kurz darauf schoss er schärfer und zwang Lauterns Torhüter Julian Krahl zumindest mal zu einem Hechtsprung Richtung Ball.

Von gehobener Turnqualität: Kaiserslauterns Richmond Tachie zelebriert seinen Treffer zum zwischenzeitlichen 2:0 gegen Hertha BSC. (Foto: Annegret Hilse/Reuters)

Und kurz darauf stand es schon 0:2. Nach einem Berliner Ballverlust im Zentrum schaltete FCK-Spielmacher Marlon Ritter schnell, fand Richmond Tachie, der an Gersbecks Fingerspitzen vorbei ins lange Eck schoss und danach einen Flickflack von gehobener Turnqualität zeigte. Als Kaiserslauterns Elvedi kurz darauf Florian Niederlechner durch eine Risikogrätsche am freien Torabschluss hinderte, jubelte der Schweizer fast wie bei seinem Führungstor.

Immerhin: Hertha hatte den Weg nach vorne gefunden, und nach der Pause waren es die Hertha-Fans, die fast wie bei einem Tor jubelten, als die Anzeigetafel die Einwechslung von Fabian Reese ankündigte. Reese ist Herthas bester Kicker, er hatte das Pokalspiel gegen den HSV in der Runde zuvor fast im Alleingang gewonnen - wurde aber kurz danach sechs Wochen lang vom Coronavirus ausgeknockt.

In seiner ersten Aktion sprintete Reese auch mal direkt an allen Roten vorbei und passte scharf nach innen. Das brachte nichts, erzeugte aber Aufbruchstimmung auf Berliner Seite. Sie hielt bis zur 69. Minute, als Herthas Andreas Bouchalakis tief in der eigenen Hälfte den Ball zu Lauterns Winterzugang Filip Kaloc spielte, der überlegt ins rechte Eck schoss. Damit war das Spiel entschieden.

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