Hertha BSC:Winteralbtraum in Berlin

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Auftakt der Niederlage: Ansgar Knauff trifft für Eintracht Frankfurt zum 1:0, Herthas Torwart Marcel Laurenz Lotka fliegt ins Leere. (Foto: Jan Huebner/imago)

Kein Sieg und 23 Gegentore seit Jahresbeginn: Hertha BSC stolpert in der Rückrunde von Debakel zu Debakel. Nach der 1:4-Niederlage gegen Eintracht Frankfurt wirkt Trainer Tayfun Korkut ebenso ohnmächtig wie seine Vorgänger.

Von Javier Cáceres, Berlin

Es gab am Samstag eine Szene im Berliner Olympiastadion, die für den konkreten Spielverlauf irrelevant war und doch die Realität abbildete. Mitte der ersten Halbzeit: Das Spiel war unterbrochen, der Ball lag im Aus, weil ein Spieler behandelt werden musste, wobei nichts zur Sache tut, wer das war. Interessant war dies: Dass die Spieler der Hertha in ihrer taktischen Grundordnung standen, in den richtigen Abständen zueinander, reglos wie Terrakottasoldaten, die Arme in die Hüften gestemmt, ohne auch nur den Anflug einer Kommunikation untereinander.

Acht Minuten waren vergangen, seit die Frankfurter Eintracht - nach zwei, drei ernsten Warnungen - ihr erstes Tor erzielt hatte. Da standen dann die Herthaner und boten ein Bild resignierter, innerer Zusammenhangslosigkeit. Als seien sie einander selbst ein Rätsel. Als trügen sie die Ahnung in sich, wie der Arbeitstag enden würde. Mit einem neuerlichen Debakel. Hertha 1, Eintracht 4.

Die Rückrundentabelle ist ein einziger Winteralbtraum. In dieser ist Hertha ganz am Ende platziert, mit zwei Punkten. Das heißt: ohne einen Sieg im laufenden Kalenderjahr, das nun auch schon in den dritten Monat geht. 23 Gegentore stehen seit Jahresbeginn zu Buche; die Tordifferenz beläuft sich im selben Zeitraum auf: minus 17. Tayfun Korkut kam Ende November mit dem Label "Feuerwehrmann", nun wirkt er genauso ohnmächtig wie seine Vorgänger Bruno Labbadia und Pal Dardai, die immer noch auf der Gehaltsliste stehen.

Unter Korkut, 47, hat die Hertha neun Punkte in zwölf Spielen verbucht, was bedeutet, dass er die Bilanz von Dardai auch dann unterbieten wird, wenn er kommende Woche im Duell mit Borussia Mönchengladbach gewinnen sollte. Dardai holte aus 13 Spielen 14 Punkte. Die Hertha steht nunmehr auf dem Relegationsplatz. Und weil die Stuttgarter die Gladbacher mit 3:2 schlugen, ist der Vorsprung auf den Abstiegsplatz zusammengeschnurrt - auf einen Zähler.

Marc Kempf wettert: "Ich weiß nicht, ob manche nicht verstanden haben, dass wir im Abstiegskampf sind."

Ob er meine, die Wende schaffen zu können, wurde Korkut gefragt, er antwortete: "Na klar! Ich bin immer noch überzeugt, nicht nur von meiner Arbeit, sondern auch von der Mannschaft." Das machte ihn am Samstag zu einem vergleichsweise einsamen Menschen, obwohl es im Olympiastadion mit 25 000 Zuschauern voller war als je zuvor in seiner Amtszeit. "Korkut, raus!"-Rufe waren zu hören, obschon man ihm wohl zugute halten muss, dass er vor der Aufgabe steht, aus einem unausgeglichen besetzten Kader eine Elf zu formen. Der lauteste Chor aus den Kehlen der Berliner aber war von ironischem Spott getragen, es war der Schlager: "Oh, wie ist das schön..." Und als sich die Mannschaft - nach einigem Zögern - doch noch entschloss, nach dem Abpfiff dem treuesten Anhang in der Ostkurve die Aufwartung zu machen, flogen ihnen Flüche, obszöne Gesten und Getränkebecher entgegen. Zu einem Zeitpunkt, da Manager Fredi Bobic den Fernsehsendern ausrichten ließ, dass er für eine Einordnung der Partie nicht zur Verfügung stehe.

Auch für den seit Sommer amtierenden Bobic war das Spiel eine herbe Niederlage. Ein halbes Dutzend Spieler kam zum Einsatz, die er geholt hatte. Zum Beispiel: Kevin-Prince Boateng, der sich ein provozierendes Foul leistete - frei nach dem Motto: erst mal einen umhauen, egal wen - und dafür am Vorabend seines 35. Geburtstags sofort die gelbe Karte sah. Auch Dong-Jun Lee durfte spielen, doch der Koreaner ist mit dem Standard in der Bundesliga so erkennbar überfordert, dass ihn Stevan Jovetic nicht mal anspielen wollte, als Lee gewissermaßen eine ganze Prärie vor sich hatte, um seine bislang einzige erkennbare Tugend, die Schnelligkeit, auszuspielen.

Es spielte auch Marc Kempf. Doch der im Winter aus Stuttgart geholte Innenverteidiger scheint sich mehr oder weniger zu fragen, wo er hingeraten ist. Zumindest klang er so, als ihm der Reporter von Sky ein Mikrofon unter die Nase hielt. Er wisse nicht, "ob manche nicht verstanden haben, dass wir im Abstiegskampf sind", sagte Kempf. Und das war nur die Ouvertüre für das Tribunal, das er dann abhielt.

Bobic erteilte dem Trainier vorige eine Jobgarantie

"Die erste Halbzeit hat mir überhaupt nicht gefallen, weil wir einfach nur Statisten waren", sagte Kempf und lehnte jede Debatte über taktische Feinheiten nachgerade entrüstet ab. "Jede Taktik der Welt ist scheißegal, wenn man nicht die Einstellung an den Tag legt, wenn man nicht läuft, wenn man nicht macht, wenn man nicht tut..." Seine Enttäuschung über den Umstand, dass er seit Januar im Dress der Hertha noch keinen Sieg kosten durfte, kleidete er in einen Satz von überragender Schönheit: "Mich kotzt das übertrieben an."

Wie erstarrt an der Seitenlinie: Herthas Trainer Tayfun Korkut. (Foto: Maja Hitij/Getty)

Dass der letzte Sieg bei den Kollegen noch länger zurückliegt (18. Dezember, 3:2 gegen Borussia Dortmund), lud Kempf zu nicht ganz ausgegorenen anatomischen Theorien ein: "Da muss jeder angekotzt genug sein und sich einfach mal den Arsch aufreißen", sprich, "nicht einfach nur larifari rumlaufen und sich vier-eins abschießen lassen." So war das aber: Bei jedem Frankfurter Tor - durch Ansgar Knauff (17.), Tuta (48.), Lindström (56.) und Borré (63.) - wirkte die Hertha, als kundschafte sie neue Wege des Scheiterns aus. Nicht mal der Anschlusstreffer von Davie Selke, der ein ausgesucht schönes Tor schoss, linderte auch nur irgendwas. Zum einen, weil der 4:1-Endstand nur 120 Sekunden später hergestellt war. Zum anderen, weil Selke aus seinem Jubel eine Tribünenparade machte. Selke legte die Hand ans linke Ohr und blickte zornig drein, als wollte er sich über irgendetwas beschweren. Am Ende der Partie klang er alles andere als aufreizend: Die Fans hätten alles Recht der Welt, auch mal Dampf abzulassen.

Das sagte sinngemäß auch Korkut, "ich kann das ab", kommentierte er die Rufe, die er ertragen musste. Am Sonntag fiel die ansonsten übliche Medienrunde des Trainers aus; an der Pressekonferenz am Donnerstag werde Korkut teilnehmen, teilte Hertha mit. Das steht im Einklang mit der Jobgarantie für Korkut, die Bobic erst vor einer Woche abgegeben hatte. Bobic selbst werde sich am Dienstag stellen, und man darf gespannt sein, ob er da etwas zu verkünden hat.

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