Hertha BSC:Rückkehr aus der Isolationshaft

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Fußballlehrer, vorübergehend im Distanzunterricht: Hertha-Trainer Pal Dardai. (Foto: Andreas Gora/dpa)

Nach zweiwöchiger Quarantäne darf Hertha BSC bei FSV Mainz 05 wieder in den Abstiegskampf eingreifen. Trainer Dardai setzt seinem Team ein machbares Minimalziel: vier Punkte aus den kommenden drei Spielen

Von Javier Cáceres, Berlin

Die Auswirkungen der zweiwöchigen Quarantäne auf die Abstimmung unter den einzelnen Mannschaftsteilen von Hertha BSC sind notwendigerweise noch nicht im Detail ausgeleuchtet. Einen validen Aufschluss darüber wird es erst am Montag geben, wenn die Berliner um 18 Uhr zum Nachholspiel beim FSV Mainz 05 antreten. Wegen eines Corona-Infektionsgeschehens waren die Herthaner für die Dauer von 14 Tagen auf behördliche Anordnung weggesperrt worden. Aber: Die Zuordnung stimmt. Oder ist, genauer gesagt: klar geregelt. "Wenn es schiefgeht" mit der Ouvertüre zum Saisonfinal-Stakkato mit sechs Spielen in 20 Tagen, "ist er schuld", sagte Herthas Trainer Pal Dardai, 45, am Sonntag in einer Medienrunde, als er auf Konditionstrainer Henrik Kuchno angesprochen wurde. Und: "Er hat die Arschkarte."

Dardai sagte das mit dem ihm eigenen schelmenhaften Grinsen. Im Scherz. Und dennoch, einen wahren Kern hatte die süffisante Bemerkung schon: Kaum einem Klub-Mitarbeiter ist in den vergangenen Wochen der fußballerischen Abstinenz eine wichtigere Rolle zugekommen als Kuchno.

Der 47-Jährige hatte die Aufgabe, den isolationsbedingten, unvermeidbaren Abbau an physischer Leistungsfähigkeit in Grenzen zu halten. Er leitete die Home-Office-Übungen an; die Einheiten auf den höhenverstellbaren Laufbändern also, auf den Spinning-Rädern, die Stabilisationsübungen auf den Yoga-Matten, die Hantel-Sessions, solche Dinge. Alles überwacht per App. Grundsätzlich sind die Herthaner fit. "Wenn wir über das Herz-Kreislauf-System sprechen, glaube ich nicht, dass wir dort großartige Verluste hinnehmen müssen. Dafür gibt es genug Trainingsmethoden. Da habe ich überhaupt keine Bauchschmerzen", sagt Kuchno. Und dennoch: Der Distanzunterricht musste sich auch erst einmal einpendeln, an den ersten Tagen der häuslichen Isolation gab es offenkundig Klagen über exzessive Beanspruchung und Muskelkater.

Dardai muss vorsichtig sein: Die Gefahr der Überlastung ist im Training allgegenwärtig

Als die Belegschaft Ende der vergangenen Woche das Ende der Isolation auf dem Trainingsplatz feierte, musste Dardai kurzerhand das Training verknappen. Die erfassten Daten signalisierten akute Gefahren für die Integrität der Muskeln. Und dennoch redete Dardai scherzhaft, also entspannt über Kuchno, was vor allem eines lehrte: Die Hertha kehrt vergleichsweise unaufgeregt aus der Isolationshaft zurück.

Damit hätte man vor ihrem Beginn nicht rechnen müssen. Seit ihrem letzten Spiel (2:2 gegen Mönchengladbach) musste die Hertha untätig zusehen, wie die Konkurrenz punktete, weshalb Hertha auf Platz 17 abrutschte. Aber im Grunde waren ihr die Ergebnisse der Konkurrenten hold. Okay, Mainz 05 hat sich wohl aus dem Kreis der Abstiegskandidaten gelöst, aber der Rückstand auf die Nicht-Abstiegs-Plätze 14 (Werder Bremen) und 15 (Arminia Bielefeld) beträgt nur vier Punkte; der Sechzehnte Köln ist nur drei Punkte entfernt, in jedem Vergleichsfall ist Herthas Torverhältnis besser.

"Natürlich ist es ein wichtiges Spiel, aber kein Endspiel", sagte Dardai daher auch mit Blick auf die Partie in Mainz - und formulierte ein Minimalziel. Aus den kommenden drei Partien (in Mainz, gegen Freiburg, auf Schalke) müssten vier Punkte her, "das ist nicht so ein krasser Druck, das ist machbar", sagte Dardai. Erst danach habe Hertha Endspiele - unter anderem daheim gegen Köln und Bielefeld, am letzten Spieltag steht die Partie in Hoffenheim auf dem Programm. Und sollte Hertha bis dahin fünfzehn oder gar 18 Punkte sammeln, wäre Hertha nicht nur gerettet, sondern Dardai wohl auch über den Sommer hinaus Cheftrainer der Berliner.

Der neue Sportvorstand Fredi Bobic wird wohl Dirk Dufner als Kaderplaner mitbringen

Zu Beginn der aktuellen Amtszeit Dardais schrieb der kicker, dass sich Dardais Vertrag automatisch verlängern würde, wenn er bis zum Saisonende 24 Punkte sammele; sein Saldo liegt gerade bei neun Zählern. Herthas Sprecher Max Jung legte am Sonntag Wert auf die Feststellung, dass Hertha die Klausel nicht kommentiert oder kommuniziert habe. Ist man im Lichte der Ereignisse der letzten Monate von der abenteuerlich anmutenden Idee abgekommen, Dardai so etwas wie Business-Ziele vorzugeben? Möglich. Bei der Hertha ist mit Blick auf die kommende Spielzeit viel von einem radikalen Neuanfang die Rede, personifiziert durch den neuen Manager Fredi Bobic (bislang Eintracht Frankfurt), der laut Bild Dirk Dufner als Kaderplaner mitbringt. Zuletzt hatte sich Präsident Werner Gegenbauer für einen Verbleib von Dardai und Sportdirektor Arne Friedrich stark gemacht. Die Verpflichtung Dufners bedeute "gar nichts", sagte Friedrich am Sonntag, zuvor hatte er aber offen erklärt, sich für eine Fortsetzung der Amtszeit von Dardai einsetzen zu wollen.

Dardai selbst hielt sich am Sonntag bedeckt. Er bedankte sich für den Zuspruch und wirkte recht gelassen. "Ich habe bei Hertha auf jeden Fall einen Job", sagte er mit Blick darauf, dass er im Zweifelsfall wieder zurück in die Jugendakademie gehen würde, wo ihm die Arbeit Spaß gemacht hat. Aber er klang schon so, als habe er wieder Geschmack an der Aufgabe als Cheftrainer gefunden. Man solle ihn am Ende der Saison fragen - "dann gebe ich eine ehrliche Antwort."

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