Hertha BSC:"In der zentralen Frage der Finanzen haben wir katastrophal versagt"

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Fast 20 Jahre war Ingmar Pering in verschiedenen Rollen bei Hertha BSC in der Verantwortung - jetzt geht er mit einem Knall. (Foto: Matthias Koch/Matthias Koch/Imago)

Tabellen-Schlusslicht Hertha BSC bleibt im Krisenmodus. Wenige Tage vor der Mitgliederversammlung tritt Ingmar Pering aus dem Präsidium zurück - und hinterlässt ein Begründungsschreiben, das es in sich hat.

Von Javier Cáceres, Berlin

Am Freitag spielt Hertha BSC beim 1. FC Köln, es ist für die Berliner ein Endspiel um den sportlichen Klassenverbleib. Die Partie kann aber auch in anderer Hinsicht wegweisend sein, denn keine 48 Stunden nach Spielschluss beginnt am Sonntag auf dem Berliner Messegelände eine ordentliche Mitgliederversammlung der Hertha. Und es bedarf keiner empirischen Studien, um zu wissen: Siege sind so stimmungsaufhellend wie Niederlagen in prekärer Lage das Ambiente verderben können. Hertha ist Tabellenletzter, das rettende Ufer ist fünf Punkte entfernt. Und die Lage ist auch ansonsten angespannt genug.

Am Montag wurde die Hertha, zwei Tage nach dem sportlich existenziellen Sieg gegen den VfB Stuttgart, durch einen Artikel der Süddeutschen Zeitung aufgeschreckt. Ein Insider der Deutschen Fußball-Liga DFL hatte den Lizenzierungsprozess als "den schlimmsten Fall, den wir je hatten" bezeichnet. Der Grund: Die Kombination aus akuten finanziellen Problemen einerseits und gehörigen Zweifeln andererseits, ob sich die gerade eingegangene Partnerschaft zwischen dem US-Investor 777 Partners und Hertha im Rahmen der "50+1-Regeln" bewegt. Diese Regeln begrenzen den Einfluss von Investoren auf die Entscheidungen in deutschen Profifußballklubs.

SZ PlusLizenzierungsprozess bei Hertha BSC
:"Der schlimmste Fall, den wir je hatten"

Der Sieg gegen Stuttgart verschafft Hertha BSC Hoffnung im Abstiegskampf, aber die Probleme liegen viel tiefer. Die Lage im Lizenzierungsprozess gilt als "hochkritisch". Es geht nicht nur um Etat-Löcher - die DFL untersucht auch, ob der Einfluss des neuen Investors den Regularien entspricht.

Von Javier Cáceres, Uwe Ritzer und Philipp Selldorf

Der Berliner Tagesspiegel berichtete, in der Vereinsführung Herthas hätten "alle sehr aufgeregt" auf den Artikel reagiert. "Das vernichtende Urteil der DFL" sei in der Hertha-Zentrale "zumindest mit Verwunderung zur Kenntnis genommen worden", fügte das Blatt hinzu. Das war am Mittwoch. Am Donnerstag begab es sich dann, dass der Anwalt Ingmar Pering erst in der Bild-Zeitung bestätigte, mit sofortiger Wirkung aus dem Hertha-Präsidium zurückgetreten zu sein. Der Kicker zitierte wiederum aus Perings Begründungsschreiben - das sich härter liest als jede vorangegangene Kritik. "In der zentralen Frage der Finanzen haben wir katastrophal versagt", schrieb Pering. Unter anderem. Pering war für die SZ nicht zu erreichen, die Hertha bestätigte am Donnerstagabend in einer Mitteilung den Rücktritt, den man mit "Bedauern" zur Kenntnis genommen habe, der seit zehneinhalb Monaten amtierende Präsident Kay Bernstein sagte, er sei "enttäuscht".

Pering stellte Bernstein ein desolates Zeugnis aus. Tenor: Unter dem 2022 abgetretenen Präsidenten Werner Gegenbauer sei es schon schlimm gewesen, nun sei alles schlimmer. "Jetzt haben wir es nicht nur mit egoistischen und auf persönliche Vorteile bedachten Machtmenschen zu tun, sondern auch noch mit versammelter Inkompetenz", schrieb er laut Kicker .

Der eine mit Finanzsorgen, der andere im sportlichen Überlebenskampf: Hertha-Präsident Kay Bernstein (li.) und Trainer Pal Dardai. (Foto: O.Behrendt/Contrast/imago)

Nicht nur das: Bei Hertha hätten Leute Einzug gehalten, "die gar keine Erfahrung in der Personalführung eines Unternehmens unserer Größenordnung hatten, und schon gar nicht in dem Spezialsegment Fußball-Management". Sie würden als "Laienspieler" agieren, die "mit fristlosen Kündigungen und dem Austausch weiter Teile der Geschäftsleitung experimentierten". Pering galt vor einem Jahr als möglicher Präsidentschaftskandidat und wurde auch dann noch zum Lager der Bernstein-Gegner gerechnet, als er 2022 akzeptierte, das Bernstein-Regime mitzutragen. Nun bereut er es offen. Pering gehörte davor mehr als 20 Jahre in verschiedenen Rollen der Hertha-Führung an.

Der von der DFL hinterfragte Deal Herthas mit "777 Partners" stellt in den Augen von Pering einen "Fast-Ausverkauf" dar, den er gern abgelehnt hätte. Die Vereinbarungen mit 777 Partners seien "in einem hastigen Verfahren" durchs Präsidium gebracht worden, ohne das Alternativen beleuchtet werden konnten, schrieb Pering. Er habe den Deal letztlich nur mitgetragen, weil es "keine Alternative zum wirtschaftlichen Kollaps und zur Insolvenz gab".

Eine Aussage Bernsteins vom Dezember, wonach Hertha keine Liquiditätsprobleme habe und die laufende und nächste Saison "durchfinanziert" seien, stelle eine "völlige Fehleinschätzung" dar, urteilt Pering. "Egal aus welchen Gründen scheinen sich die Führung des Präsidiums und die Geschäftsleitung bis Jahresende 2022 nicht mit der Sicherstellung einer geordneten Finanzierung befasst zu haben." Erst im November 2022 sei das Thema Anteilsverkauf an 777 "mit einer Finanzierung in Verbindung" gebracht worden; wenig drauf sei thematisiert worden, dass nun auch "das letzte Tafelsilber veräußert werden müsse, weil Hertha BSC ansonsten gar keine Finanzierungsquellen in ausreichendem Maße mehr habe".

Apropos: Am Montag berichtete die Bild, dass zwei zeitlich befristete Kredite von je 12,5 Millionen Euro bei den Versicherungsgesellschaften VHV und R+V nicht verlängert worden seien. "Diese Sicherheit, in der Not auf 25 Millionen Euro zurückgreifen zu können, ist jetzt weg", schrieb die Bild. Hertha reagierte auf wiederholte Anfragen der SZ zu diesem Thema nicht, auch in der Mitteilung ging Hertha auf das Schreiben nicht ein. Einen Fragenkatalog der SZ zum Hertha-Komplex beantwortete 777 mit zwei Sätzen: "Wie wir bereits Anfang des Jahres erklärt haben, haben wir größten Respekt vor der Struktur des Fußballs in Deutschland und sind bestrebt, mit allen Beteiligten zusammenzuarbeiten, um Hertha dabei zu helfen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Aus Respekt vor der DFL und ihrem Prozess enthalten wir uns weiterer Kommentare."

Jenseits all dessen reißt der Pering-Rücktritt eine neue Baustelle auf. Das Präsidium besteht nur noch aus sechs Mitgliedern, es unterschreitet damit die satzungsgemäß erforderliche Mindestbesetzung. Theoretisch wird damit eine außerordentliche Mitgliederversammlung erforderlich. Die Kosten dafür sollen sich auf circa 200 000 Euro belaufen, schrieb der Tagesspiegel. Am Sonntag will der Verein mit seinen Mitgliedern diskutieren, ob die Wahl bei einer solchen außerordentlichen oder einfach bei der nächsten ordentlichen Mitgliederversammlung stattfinden kann. Denn für Hertha BSC sind 200 000 Euro zurzeit sehr, sehr viel Geld.

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