5:0-Sieg in Berlin:Wolfsburg spielt Schach, Hertha spielt Dame

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Wieder auf Platz 17: Hertha BSC rutscht auf einen Abstiegsplatz - Erinnerungen an die vergangene Saison kommen hoch. (Foto: Michael Taeger/Jan Hübner/Imago)

Der VfL schießt auch die Herthaner ab. Die Berliner rutschen auf einen Abstiegsplatz - und müssen vor dem emotionalen Stadtderby am Wochenende erneut gegen drohende Untergangsstimmung kämpfen.

Von Javier Cáceres, Berlin

Niko Kovac, 51, ist ein Kind des Berliner Wedding, das hat er nicht vergessen. Zumindest freute er sich am Dienstagabend erkennbar, eine Reihe von Gesichtern zu sehen, die er aus Zeiten kannte, da er selbst noch in Berlin spielte; dann zog es ihn ja erst als Spieler und später als Trainer quer durchs Land und den Kontinent. Und man konnte ahnen, dass er mit der Hertha leidet, obschon er darüber, wie seine heutige Mannschaft, der VfL Wolfsburg, die Berliner demütigte, kaum freudiger hätte sein können; die Leistung zähle zum Besten, was er in dieser Saison gesehen habe. Der Hertha aber drücke er nun die Daumen, und er wolle es nicht nur bei ideeller Hilfe belassen: "Wir werden alles tun, dass wir die Gegner, die wir bespielen müssen, auch besiegen", gelobte Kovac.

Die Leistung vom Dienstagabend vor 29 483 Zuschauern im - also nahezu verwaisten - Berliner Olympiastadion ließ den Schluss zu: Hertha kann gelebte Schützenhilfe bestens gebrauchen. Zur Halbzeit lagen die Berliner nicht nur mit 0:3 zurück, sie lieferten auch eine derart dudentaugliche Definition des Begriffs "Klassenunterschied", dass die Verantwortlichen des Klubs hernach um kein deutliches Wort verlegen waren. Herthas Manager Fredi Bobic, 51, bezeichnete die Leistung seines Teams als "unterirdisch", Trainer Sandro Schwarz, 44, klagte, man habe "einen Schlag in die Fresse" bekommen, und da die Berliner am Wochenende schon beim VfL Bochum unterlegen gewesen waren (1:3), driftete er bei der Qualifizierung des Starts ins neue Jahr in die Fäkalsprache ab.

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Gibt es mildernde Umstände, weil die Wolfsburger zu den formstärksten Teams des Kontinents gezählt werden können und aufregende Spieler wie den jungen Patrick Wimmer, den resoluten Verteidiger Maxence Lacroix oder Stürmer Jonas Wind dabeihaben? Durchaus. In den vergangenen sechs, ausnahmslos siegreich bestrittenen Partien schoss Wolfsburg 23 Tore und kassierte bloß eins. Nur: Das Problem war, dass man sich in der ersten Halbzeit des Eindrucks nicht erwehren konnte: Wolfsburg spielt Schach, Hertha spielt Dame.

Wo man bei Wolfsburg einen Plan und fußballerische Tugenden entdeckte, war bei Hertha ein riesengroßes Nichts. Und es half auch wenig, dass sich der Eindruck nach der Halbzeitpause für einen kurzen Zeitraum änderte, nach einer Ansprache von Trainer Schwarz, die "emotionale Worte" beinhaltet habe, wie der Coach erklärte. Denn all das Aufbäumen half wenig: Mit dem ersten feinen Angriff Wolfsburgs ließ Ridle Baku den Treffern von Mattias Svanberg (4.), Maximilian Arnold (31., Handelfmeter) und Jonas Wind (34.) das zwischenzeitliche 4:0 folgen, der eingewechselte Omar Marmoush erzielte in der 86. Minute den 5:0-Endstand. Und das warf die Frage auf, was wohl Joshua Wander so dachte.

Einige Hertha-Fans protestieren gegen den möglichen neuen Investor

Wander, 41, ist Mitbegründer der US-Private-Equity-Gesellschaft "777 Partners", die erklärtermaßen die Anteile an der Profiabteilung Herthas übernehmen will, für die Lars Windhorsts Investmentfirma Tennor 374 Millionen Euro bezahlt hat. Auf 200 Millionen Euro soll sich angeblich der Kaufpreis belaufen; Medienberichten zufolge will "777 Partners" zusätzlich einen dreistelligen Betrag in den Klub stecken. Die treuesten der Hertha-Fans positionierten sich gegen "777 Partners", womöglich bekam das auch Wander mit. "Hertha BSC heißt unser Verein - Identität statt Marketing um jeden Dollarschein", stand auf einem Transparent, das in der Ostkurve hochgehalten wurde. Wie sich die Kurve überhaupt mitteilsam gerierte. Auf einem anderen Plakat wurde die aktuelle Preispolitik gegeißelt, mit Blick auf die am Samstag anstehende Aufgabe gegen den 1. FC Union Berlin. "Bezahlbare Tickets für Herthas 12. Mann" wurden gefordert, für ein Oberrang-Ticket habe Hertha 55 Euro aufgerufen.

Es war der vernehmbarste Hinweis auf das Prestigeduell gegen den enteilten Nachbarn. "Die nächsten Tage werden für die Jungs hart werden", unkte Bobic. Trainer Schwarz wiederum erkor die nun dräuende Untergangsstimmung zum größten inneren Feind; die Mannschaft sei an einem Punkt, an dem sie wider das Selbstmitleid ankämpfen müsse. "Ich weiß, die nächsten drei Tage heißt es: 'Oh Gott, jetzt ist das Stadtderby. Was passiert, wenn das verloren wird?'", sagte Schwarz. "Damit darf man sich gar nicht beschäftigen."

Vergangene Saison beschäftigte Hertha drei Trainer - diesmal soll es anders laufen

Er empfahl vielmehr, Hoffnung zu schöpfen. Aus dem Umstand, dass die Partien in Bochum und gegen Wolfsburg eine einzige Zuwiderhandlung gegen das eigene Vorverhalten waren, aus dem Schuldrecht auch bekannt als "venire contra factum proprium". Man habe doch oft genug gezeigt, dass man auch anders auftreten könne, unterstrich Schwarz.

Von Fußball war in seinem Diskurs nicht groß die Rede, dafür umso mehr von den elementarsten aller Dinge. Es gehe jetzt darum, "jeden einzelnen Zweikampf in dem Glauben zu führen, dass du ihn gewinnen kannst". Hertha zählt nach der Vorrunde zu den Teams mit den wenigsten Siegen, mit 14 Punkten steht die Mannschaft sieben Punkte schlechter da als am 17. Spieltag der Vorsaison. Damals rettete sich Hertha in der Relegation gegen den Hamburger SV, nach insgesamt drei Trainerwechseln. Zu einem solchen Szenario soll es diesmal nicht kommen. "Ich habe ganz großes Vertrauen in Sandro. Er steht nicht mal ansatzweise in der Diskussion", erklärte Bobic.

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