Henning Harnisch im Interview:"Natürlich wollen wir Dirk!"

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Alba-Vizepräsident Henning Harnisch über die Basketballbegeisterung in Deutschland und eine mögliche Verpflichtung von Dirk Nowitzki im Fall des NBA-Streiks.

Jonas Beckenkamp

sueddeutsche.de: Seit Dirk Nowitzkis Auftritten in den NBA-Finals herrscht in Deutschland Basketballbegeisterung - wie dankbar sind Sie ihm dafür?

Dunker, Denker und Förderer: Anfang der 90er war Henning Harnisch einer der ersten Bundesligaprofis, die auch Spektakel ins Spiel brachten. Heute kümmert sich der 43-Jährige um die Jugendarbeit bei Alba Berlin. (Foto: imago sportfotodienst)

Henning Harnisch: Man kann ihm nicht genug danken. Ich bin schon lange dabei und weiß, welche Wichtigkeit solche großen Ereignisse haben. Die Dirk-Nowitzki-Geschichte ist wunderbar, weil sie einen so riesigen narrativen Vorlauf hat. Er stand ja schon einmal im Finale, das er dann verlor. Mit dem Titel schließt sich der Kreis und gleichzeitig eröffnet er dem Sport eine aussichtsreiche Zukunft. Diese nationalen Konnotationen hören im Sport nicht auf. Im deutschen Basketball sind wir mit Erfolgsstorys nicht jeden Tag gesegnet, Nowitzkis NBA-Sieg schafft definitiv ein Plus an Aufmerksamkeit und eine andere Wahrnehmung. Für mich ist er ein toller Sportler und Mensch - eine echte Ausnahme eben.

sueddeutsche.de: Viele sehen ihn auf einer Stufe mit Sportidolen wie Franz Beckenbauer oder Steffi Graf. Zu Recht?

Harnisch: Dass in Zeitungen darüber spekuliert wird, welche Bedeutung er für den deutschen Sport hat und historische Größen als Vergleich herhalten, zeigt doch: Das ist ein starker Gegenstand. Ob er für mich persönlich auf Platz sieben ist oder im Verhältnis zu Larry Bird besser oder schlechter, ist egal. Ich möchte mir nicht anmaßen, das zu beurteilen. Andere tätigen diese Vergleiche, weil der Titelgewinn als Ereignis wichtig ist. Um so weit zu kommen, muss man als Basketballer schon sehr außergewöhnliche Dinge geschafft haben. Ich habe aber in den letzten 20 Jahren zu viel erlebt, um nur wegen dem momentanen Hype um Dirk Nowitzki jetzt an die goldene Zeit des deutschen Basketballs zu glauben. Da gibt es keinen Automatismus. Dennoch sind Dirks Vorstellungen eine günstige Gelegenheit für einen sportlichen Systemwandel.

sueddeutsche.de: Sie waren 1993 selbst Europameister. Nowitzki ist derzeit vielleicht der beste Spieler der Welt - welche Parallelen sehen Sie zwischen damals und heute?

Harnisch: Damals war die Begeisterung total neu: Deutschland wurde überraschend Europameister - auch da redeten plötzlich alle über Basketball, doch direkt aus diesem Ereignis heraus passierte letztlich nicht viel. Die Frage ist, ob es jetzt die Akteure für Verbesserungen gibt. Das kann nicht das klassische deutsche Sportsystem liefern. Da sprießen nicht plötzlich Arbeitsgruppen aus dem Boden nach dem Motto "Dirk und die Folgen". Klar gibt es gewisse Chancen für den Basketball - das nehme ich sehr ernst. Wir haben gerade eine vielversprechende Situation und müssen uns deshalb überlegen, wie man strukturellen Nutzen daraus ziehen kann.

sueddeutsche.de: Also wird nach Nowitzkis Heldentaten jetzt doch nicht alles besser in Basketball-Deutschland?

Harnisch: Derartige Titel und Leistungen haben einen immensen Wert, weil sie eine Sportart der breiten Masse öffnet. Es geht aber auch um eine Wechselwirkung zwischen dem Ausnahmeereignis, den Konsequenzen und der öffentlichen Aufbereitung. Die Medien werden nicht dafür sorgen, dass sich die Struktur im Basketball verbessert, dass wir etwa die Jugend besser fördern. In einem Jahr werden sich alle Journalisten fragen: Wieso hat der Hype nicht zu mehr Entwicklung geführt? Die eigentliche Grundlage müssen die liefern, die den Sport voranbringen wollen.

sueddeutsche.de: Basketball ist nach wie vor Nischensport. Außer Nowitzki kennt kaum jemand deutsche Basketballer - wie könnte sich das ändern?

Harnisch: Diese Frage ist Kern meiner Arbeit bei Alba Berlin. Wir sollten uns überlegen, durch welche Faktoren sich der Sport verändert. Im Unterschied zu anderen Spielsportarten haben wir in den 90ern etwas geschenkt bekommen, was der Entwicklung sehr gut getan hat: Durch Streetball hat sich Basketball enorm geöffnet und wurde für ganz andere Leute attraktiv. Bis dahin war unser Spiel mehr oder weniger ein Akademikersport aus Unistädten und war längst nicht flächendeckend bekannt. Heute geht es wieder darum, neue Wege zu finden, wie man den Kindern das Spiel zeigen kann. Zweimal die Woche nachmittags im Verein zu trainieren reicht als Idee nicht. Selbst Streetball gilt es wieder neu beleben: Dort finden sich kaum Mädchen und generell wenige Kinder. Auf den Freiplätzen in Berlin sehe ich eher die Generation der heute 30-Jährigen, die damals Mitte der 90er mit dem Zocken auf der Straße aufwuchsen. Dieser Zeitgeist prägt die Jugendlichen heute nicht mehr.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielt das Fernsehen bei der Verbreitung? Die NBA-Playoffs waren nur im Internet zu sehen ...

Harnisch: Wer es wirklich sehen will, holt sich die Berichterstattung im Netz. Entscheidend ist der Schritt, dass der normale Bürger auf nba.com klickt und sich einen League Pass kauft, um die Finals zu sehen. Die sportbegeisterten Nerds, die nachts aufstehen und sich die NBA anschauen, gibt es genug. Bekäme der ordinäre Zeitungsleser täglich Informationen über Basketball vorgesetzt, würde er zu den Spielen hingeführt. Die Bundesliga muss also noch sichtbarer werden. Es ist neu, dass die Sportart wieder auf Sport1 im TV zu sehen ist - zuvor war sie jahrelang weg vom Schirm. Eine Liga muss erzählt werden, sie muss öffentlich vorkommen, um attraktiv zu sein. Die BBL ist grundsätzlich in einer guten Situation. Wir haben mittlerweile überall sehr gute Basketballarenen - in der Schulsporthalle spielt im Profibereich keiner mehr. Und was das Niveau angeht: Nehmen Sie unsere Finalserie gegen Bamberg - es gab ein entscheidendes fünftes Spiel, die Partien waren hochdramatisch. Das ist hervorragender Basketball.

Dirk Nowitzki: Reaktionen
:"Dirk ist ein ganz Großer"

Die Teamkollegen überschütten Dirk Nowitzki mit Lob, auch von NBA-Legende Magic Johnson kommen große Worte. Sogar die deutschen Formel-1-Piloten schicken Glückwünsche - Nowitzkis Heimatstadt Würzburg steht ohnehin Kopf.

Die Reaktionen in Bildern

sueddeutsche.de: Spannende Spiele in der Finalserie, ausverkaufte Hallen, das Fernsehen überträgt live - warum ist deutscher Basketball für die Masse trotzdem noch keine Alternative?

"Flying Henning" (links mit langen Haaren) auf dem Höhepunkt: 1993 gewann er mit der deutschen Nationalmannschaft in München den EM-Titel. (Foto: Imago)

Harnisch: Weil es immer noch zu wenig Leute mitkriegen. Wichtig ist, dass Pläne zur Veränderung des Basketballs in Deutschland umgesetzt werden. Der Hype ist schön und gut, aber die eigentlich nötige Strukturarbeit ist eben zäh. Trotzdem sollten wir die erhöhte Aufmerksamkeit und die sich bietende Gelegenheit nutzen.

sueddeutsche.de: Bundestrainer Dirk Bauermann mahnt immer wieder zu mehr Jugendarbeit. Ein junger Deutscher wie Lucca Staiger bekommt bei Alba aber kaum Spielzeit. Wie sehr kümmert Sie das vor dem entscheidenden Spiel um den Titel?

Harnisch: Das ist eine rhetorische Frage. Die Spieler verstehen die Wichtigkeit dieser Partie und wissen ganz genau, wer wann und warum spielt. Die Liga ist mittlerweile so aufgebaut, dass auch junge Deutsche ihre Chancen bekommen können - letztlich müssen sie einfach gut genug sein. Das Wichtigste ist doch: Alle BBL-Klubs haben ihr eigenes Nachwuchsprogramm. Das fängt bei der klassischen Graswurzelarbeit an und deckt mittlerweile alle Schritte bis zum Profibereich ab. Aber ganz ehrlich: Dieses Thema hat in der fünften Finalbegegnung nichts verloren. Es ist natürlich schwieriger, sich als Deutscher in Bamberg oder Berlin in den Vordergrund zu spielen, weil das Spitzenteams sind. Aber wenn man sich Heiko Schaffartzik oder Yassin Idbihi (beides deutsche Nationalspieler, d. Red) in den letzten Monaten anschaut, dann zeigt sich: Sie entwickeln sich toll.

sueddeutsche.de: Was erwarten Sie sich vom FC Bayern, wo dank der Unterstützung von Uli Hoeneß in der kommenden Saison Bundesligabasketball gespielt wird?

Harnisch: Das ist sportlich sehr interessant. Würde der 1. FC Kaiserslautern ein Basketballprojekt starten, wäre das etwas anderes. Dass es jetzt der FC Bayern mit seiner enormen Zugkraft macht, ist eine feine Sache.

sueddeutsche.de: Kritiker werfen den Bayern vor, der Verein habe sich aus dem Nichts "hochgekauft" - haben sie keine Bedenken?

Harnisch: Nein. Ein Klub, der im Fußball seit Jahrzehnten das Maß der Dinge ist und sich jetzt mit viel Elan einer zweiten Sportart widmet - was sollte dagegen sprechen? Eine solche neue Konkurrenz bringt uns doch weiter. Der Name "FC Bayern München" ist sehr anziehend, dieses Basketballprojekt wird niemals auf St.-Pauli-Niveau stattfinden, sondern in großem Rahmen. Das weiß jeder in Deutschland und deshalb finde ich diesen Vorstoß auf allen Ebenen gut.

sueddeutsche.de: Wie weit vorne sehen Sie den FC Bayern mit all seinen Nationalspielern in der kommenden Spielzeit?

Harnisch: Schwer zu sagen. Aber ich weiß, dass ich sie gerne spielen sehen möchte.

sueddeutsche.de: Noch eine hypothetische Frage: Können sich die Zuschauer dann wegen des drohenden Streiks in der NBA auf Dirk Nowitzki im Alba-Trikot freuen?

Harnisch: Unser Teammanager Mithat Demirel (Nowitzkis ehemaliger Nationalteam-Kollege, d. Red) ist mit Dirk befreundet. Auch mit seinem Mentor Holger Geschwindner haben wir seit langem eine herzliche Beziehung. Natürlich wollen Dirk bei uns. Die Grundlage wäre also da. Aber derzeit ist es noch zu weit weg.

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